COP29: Indiens vernachlässigte Klimaflüchtlinge
10. November 2024Erdrückende Hitzewellen, verheerende Dürren und katastrophale Überschwemmungen: Indien leidet unter massiven Auswirkungen von Extremwetter. Dazu zählt auch klimabedingte Migration - und die ist in dem südasiatischen Land besonders gravierend, weil viele Menschen bereits jetzt von Vertreibung bedroht sind und erwartet wird, dass ihre Zahl exponentiell steigen wird.
Im Jahr 2020 waren schätzungsweise 14 Millionen Menschen gezwungen, ihren Wohnort in Folge von Extremwetterereignissen zu verlassen, so das Internal Displacement Monitoring Centre (IDMC), eine internationale Datenbank zu Binnenvertreibungen. Der IDMC-Bericht für 2022 listet Indien als das Land mit der dritthöchsten Anzahl an Menschen, die durch Naturkatastrophen zu Binnenflüchtlingen wurden - nach China und den Philippinen. 2050 werden in Indien rund 45 Millionen Menschen klimabedingt migrieren, prognostiziert das Climate Action Network South Asia.
"Viele Wanderungsbewegungen sind durch den Klimawandel verursacht, aber sie werden nicht als klimabedingt identifiziert", erklärt Mathew A. Varghese vom Zentrum für Urbanistik an der Mahatma-Gandhi-Universität im Bundesstaat Kerala.
Ein alter Aktionsplan und ein geplatztes Gesetz
Indien steht auf Platz sieben der am meisten durch den Klimawandel gefährdeten Länder. Das macht klimabedingte Migration zu einer Mammutaufgabe. Dennoch fehlt Indien eine politische Strategie, um den Risiken zu begegnen.
Es gibt einen Aktionsplan aus dem Jahr 2008, den National Action Plan on Climate Change (NAPCC). Der hat einen groben politischen Rahmen geschaffen, um dem Klimawandel in verschiedenen Sektoren zu begegnen. Allerdings "gibt es darin ein entscheidendes Vakuum: Das Rahmenwerk regelt nicht, wie mit Vertreibungen umgegangen werden soll", sagt Saransh Bajpai vom World Resources Institute India gegenüber der DW. "Die Nationale Behörde für Katastrophenmanagement erkennt zwar Vertreibungen und Mobilität, aber sie etabliert keine finanziellen Mechanismen, um diese Herausforderungen anzugehen."
Im Jahr 2022 brachte Pradyut Bordoloi, Abgeordneter des durch den Klimawandel besonders gefährdeten Bundesstaats Assam, im Parlament einen Gesetzentwurf ein, der zum ersten Mal Abhilfe schaffen sollte: den Climate Migrants (Protection and Rehabilitation) Bill. Er sah vor, das Ausmaß klimabedingter Vertreibung in gefährdeten Gebieten regelmäßig zu untersuchen - und einen Hilfsfonds für Klimaflüchtlinge einzurichten.
"Kommunen und Bundesstaaten könnten ihre eigenen Interessen verfolgen. Darum sollte eine föderale Behörde sich um die Bedürfnisse der Klimamigranten kümmern", betont Bordoloi gegenüber der DW. "Und diese Behörde sollte ein festes Budget von der indischen Regierung bekommen."
Was ihn zu dem Gesetzentwurf motiviert habe, erzählt Bordoloi, war das Leid der Menschen auf den Inseln im Brahmaputra. Sie seien zur Flucht gezwungen, nachdem sie ihre Häuser und Existenzgrundlagen in jeder Regenzeit wieder verloren haben. Zudem seien sie Diskriminierung und Verfolgung ausgesetzt.
Als er den Gesetzentwurf im Parlament vorstellte, erklärte Bordoloi, dass die vorgeschlagene Regelung einen "angemessenen politischen Rahmen für den Schutz und die Rehabilitation von internen Klimaflüchtlingen und allem, was damit zusammenhängt", schaffen sollte. Der Vorstoß scheiterte - das Gesetz wurde nicht verabschiedet.
Indien könnte die COP29 für sich nutzen
Dass Indien keine politische Strategie für klimabedingte Migration hat, ist umso bemerkenswerter, als es das Sendai-Rahmenwerk für Katastrophenvorsorge der Vereinten Nationen unterzeichnet hat. Das Dokument identifiziert Vertreibung in Folge von Naturkatastrophen als wesentlichen Faktor von Katastrophenrisiken.
Auch das Rahmenübereinkommen der Vereinten Nationen über Klimaänderungen (United Nations Framework Convention on Climate Change, UNFCCC) beschreibt Migration, Vertreibung und geplante Umsiedlung als entscheidenden Punkt beim Managen von Katastrophenrisiken.
Bei der COP28, der UN-Klimakonferenz in Dubai 2023, gab es die weltweit erste Bestandsaufnahme von Mobilität als wesentliche Auswirkung des Klimawandels auf Menschen und ihre Gemeinschaften. Auch der beschlossene Fonds für die Bewältigung klimabedingter Schäden und Verluste (Loss and Damage Fund) bezieht Vertreibung und Binnenflüchtlinge mit ein.
Bei der COP29, die am Montag in Aserbaidschans Hauptstadt Baku beginnt, will Indien sich starkmachen dafür, dass Entwicklungsländer mehr finanzielle Unterstützung für Klimaschutz bekommen. Doch trotz dieser aktiven Rolle geht das Land die klimabedingte Binnenflucht auch dort nicht an.
"Indien positioniert sich im globalen Verhandlungsprozess und hat sich lautstark eingebracht, als es um Klimaanpassungsmaßnahmen sowie Schäden und Verluste ging", betont Saransh Bajpai vom World Resources Institute India. Das Land könnte von Geldern aus gemeinnützigen Quellen profitieren, empfiehlt der Umweltexperte. "Indien sollte etwas Innovatives entwickeln, sich mit gemeinnützigen Finanziers an einen Tisch setzen und eine Unterstützung ohne festen Verwendungszweck an Land ziehen. Und damit könnte die Regierung im Rahmen ihrer Migrationspolitik einen vertrauenswürdigen Finanzierungsmechanismus in Indien entwickeln."
Dieser Artikel wurde aus dem Englischen adaptiert.