Generationengerechtigkeit ins Grundgesetz?
14. September 2017"Du, der Hurrikan in Texas, ist der eigentlich vom Klimawandel verursacht? Und wird uns das in Zukunft öfter passieren?", fragt der kleine Junge, der auf der Schaukel sitzt, den älteren Herrn neben ihm. "Ja, in vielen Regionen der Erde wird es stärkere tropische Stürme geben, Hurrikans, Taifune", antwortet der Ältere. "Und das hat vor allem damit zu tun, dass das Meer sich erwärmt. Und die tropischen Stürme saugen ihre Kraft aus diesem warmen Wasser."
Der Dialog zwischen Zoltan und seinem Vater, dem Klimaforscher Manfred Schellnhuber, ist auf Video aufgezeichnet. Das "Generationenmanifest" will mit diesem und anderen Statements auf den Klimawandel und seine Ursachen aufmerksam machen. Schellnhuber, Leiter des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, ist einer der prominenten Unterzeichner des Manifests. Für ihn und seine Mitstreiter ist Klimaschutz keine Angelegenheit für eine Legislaturperiode von vier Jahren, sondern eine langfristig notwendige Operation, mit der die jetzigen Generationen die Verantwortung für ihre Kinder und Kindeskinder tragen .
Bundesregierung soll sich bei Kohleausstieg festlegen
Neu ist das Projekt nicht: Schon zur letzten Bundestagswahl 2013 rief die Initiatorin Christine Langer die Parteien auf, sich einem Generationen-Gipfel zu stellen. Außerdem konfrontierte sie die Politiker mit den Forderungen, die in einem 10-Punkte-Plan zusammengefasst sind. Bei der Präsentation des Manifestes haben die Verfasser aus Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft jetzt die zukünftige Bundesregierung unter anderem aufgefordert, sich für eine friedliche Zukunft und die endgültige Abschaffung aller Atomwaffen einzusetzen und dafür zu sorgen, dass keine Kriegswaffen in Krisengebiete exportiert werden. Bis 2040 sollten keine fossilen Brennstoffe wie Kohle, Erdgas und Erdöl mehr zum Einsatz kommen. Die Bundesregierung solle ein tragfähiges Konzept für die CO2-Besteuerung und den Emissionshandel vorlegen. Die Erträge sollen in einen Fonds für Innovationen und für kommende Generationen fließen.
Egoismus und Profitgier seien mitverantwortlich für die Flüchtlingsströme, heißt es in der Charta. "Wir müssen hier Verantwortung übernehmen und uns der Situation stellen. Wir fordern einen Gestaltungsplan, der auf internationaler Ebene Vorsorge für die zu erwartenden erheblichen Migrationsströme der Zukunft trifft, und einen Verteilungsplan, der über einen gerechten Schlüssel dafür sorgt, dass diese Menschen aufgenommen und integriert werden können."
Generationenvertrag im Grundgesetz festschreiben
Das Papier verweist auf die Unmengen Plastikmüll, die ganze Ozeane füllen, auf radioaktiven Abfall aus Kernkraftwerken, für den es keinerlei Entsorgungslösung gibt. Die künftige Bundesregierung solle in Zukunft nur noch Materialien zuzulassen, die innerhalb einer Generation natürlich abgebaut oder technisch entsorgt werden können. Außerdem sind Forderungen für Bildung und Armutsbekämpfung im Manifest postuliert. Geht es nach den Verfassern, sollte ein Generationenvertrag verabschiedet werden, der unumstößlich im Grundgesetz verankert ist. Denn nur so könnten zukünftige Generationen Verursacher in Haftung nehmen und ihre Rechte einklagen. Die Ziele sollen, so die Initiatoren, im Koalitionsvertrag aufgenommen werden und Grundlage politischer Entscheidungen sein.
Langer, die die Idee zum Generationenmanifest hatte, ruft die Öffentlichkeit auf, per Unterschrift die Forderungen zu unterstützen: "Wir haben das Gefühl, dass nicht alles so gut läuft in diesem Land, wie die Politik und wir selber uns das gerne glauben machen wollen."
Jaenicke: "Dieselskandal hat gezeigt, wer wirklich im Land regiert"
Die gleiche Meinung vertritt Hannes Jaenicke. Der Schauspieler engagiert sich seit langem für die Umwelt, hat Filme gedreht über bedrohte Tierarten und einen Bestseller geschrieben, 'Die große Volksverarsche'. Darin geht es um Müllmassen, Lobbyismus, Billigmode aus Bangladesh sowie um Verbrauchertäuschung durch Industrie und Medien.
"Die Politiker tun ja immer so, als würde alles laufen, als wäre alles super", sagt Jaenicke, aber die Umweltpolitik sei eine Katastrophe. "Meine Generation hinterlässt ein Nest, das wir so beschmutzen und beschmutzt haben, dass die Folgegeneration darin gar nicht mehr leben kann."
Jaenicke echauffiert sich auch über Zeitgenossen, "die mit großen Geländewagen durch deutsche Innenstädte fahren". Der Diesel-Skandal sei ein wunderbares Beispiel dafür, wer wirklich regiere im Land. Der Umweltaktivist verweist auch auf die Aussage von Bundeskanzlerin Angela Merkel von 2011, bis 2020 die Zulassung von einer Million Elektrofahrzeugen auf Deutschlands Straßen zu erreichen. Aktuell liegt diese Zahl bei 60.000.
"Deutschland ist Blase des Wohlstands"
TV-Moderator Eckart von Hirschhausen appeliert, nachhaltig zu denken: "Künftige Generationen sollen es besser, und keinesfalls schlechter haben als wir." Joana Breidenbach, Autorin und Sozialunternehmerin, regt nachhaltige Wirtschaftsmodelle wie die Kreislaufwirtschaft an: "Dort ist der Abfall eines Produktionsvorgangs wiederum der Rohstoff für ein neues Produkt. So entsteht aus Mangel Überfluss."
Und Maja Göpel, Generalsekretärin des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU), findet: "Die Klimapolitik kann sich kaum gegen Dieselskandale oder Besitzstandswahrung in der Landwirtschaft durchsetzen." Die Umweltökonomin bezeichnet Deutschland als Blase des Wohlstands: "Die Flüchtlingsproblematik haben wir mit neuen Zäunen gelöst, aber uns mit den Fluchtursachen gar nicht wirklich beschäftigt. Und die Schere zwischen Arm und Reich läuft weiter auseinander."
Der aktuelle Wohlstand sei nicht nachhaltig und nicht zu halten, deshalb brauche es eine neue Definition von Wohlstand für die digitalisierte Zukunft mit zehn Milliarden Menschen, die uns bevorsteht. "Es braucht langfristig am Gemeinwohl orientierte Investitionen, bei denen erfolgreiches Wirtschaften nicht mehr zu Lasten sozialer Standards und [Hand in Hand mit] ökologischer Ausbeutung stattfindet", sagte Göpel bei der Vorstellung des Manifestes. Schließlich müsse man im Sinne des Gemeinwohls einen Strukturwandel angehen.
Schellnhuber prophezeit mehr als 100 Millionen Klimaflüchtlinge
Durch den Anstieg des Meeresspiegels müssten die Küstenregionen evakuiert werden. Es brauche daher eine geregelte Umsiedlung, die auf solidarischer Weise umgesetzt werde, fordert Klimaforscher Schellnhuber. Der Physiker spricht die Migrationsproblematik an, eines der relevanten Themen im Bundestagswahlkampf. Es gebe in Deutschland eine große Hysterie über die vielen Flüchtlinge aus Syrien, Eritrea und dem Irak.
"Als Klimaforscher sagte ich: Dies ist nur der Beginn einer Völkerwanderung", so Schellnhuber. "Und die wird sich nicht um eine Million, sondern um 100 Millionen Menschen und mehr drehen."