Klage gegen öffentlich-rechtliches TV in Polen
29. Januar 2019"Ich kann nur an der Professionalität des Richters zweifeln", sagt Waldemar Sadowski wenige Minuten, nachdem das Urteil gefallen ist. Er hatte gegen Polens öffentlich-rechtlichen Sender TVP geklagt. Der Sender, so argumentierte Sadowski, verletze seine Menschenwürde, indem er in seinen Nachrichtenprogrammen Informationen manipuliere. Das Urteil des Warschauer Bezirksgerichts fiel jedoch eindeutig aus: Der Richter wies die Klage am späten Dienstagnachmittag in allen Punkten ab. Die Würde des Klägers sei nicht verletzt worden, heißt es in der Urteilsbegründung, weil er in den Sendungen nicht persönlich erschienen ist.
In den vergangenen Wochen hat der Fall an Brisanz gewonnen: Paweł Adamowicz, der Bürgermeister der Stadt Danzig, verstarb, nachdem ihn ein Messerstecher auf offener Bühne attackiert hatte. Der Täter verkündete, er räche sich mit dem Mord an der Oppositionspartei. Polen diskutiert seither, inwieweit die polarisierende Berichterstattung im Land Schuld trägt an dem Mord. Regierungskritiker ziehen TVP in die Verantwortung. Ihr Vorwurf: Der Sender hetze gegen die Opposition und lasse keine kritischen Stimmen gegen die Regierung zu. Seit dem Tod des Bürgermeisters versammeln sich jeden Morgen Dutzende Demonstranten vor dem TVP-Gebäude in Warschau.
"Adamowicz ist eines der Beispiele für die Hetze durch die öffentlich-rechtlichen Medien", findet auch Sadowski. Der Unternehmer und Diplom-Jurist habe sich auf Youtube TVP-Sendungen angesehen, in denen Adamowicz angegriffen werde. "Einer der Beiträge war ein Konglomerat an unzusammenhängenden Nachrichten", sagt er, "Die erste Hälfte thematisierte Adamowiczs neuen Immigrationsrat, in der zweiten Hälfte zeigten sie Archivmaterial, das Adamowicz Steuerbetrug vorwirft". Laut Sadowski indoktrinierten solche Beiträge die Zuschauer und verletzten damit ihre Menschenwürde. Deshalb habe er sich für eine Klage entschieden.
Die Regierung übt schon immer Einfluss auf die öffentlich-rechtlichen Medien aus
Tatsächlich beeinflusst die Regierung die öffentlich-rechtlichen Medien in Polen. Das war noch nie anders. Früher lief es nur subtiler. Bis Ende 2015 wählten der Präsident und das Parlament die Mitglieder des Landesrundfunk- und Fernsehrats. Der Rat besetzte die Führungspositionen der öffentlich-rechtlichen Medien, darunter auch TVP. Die nationalkonservative PiS-Regierung verabschiedete im Dezember 2015 allerdings ein neues Mediengesetz. Seither entscheidet der Schatzminister, ein Regierungsmitglied, wer die leitenden Posten erhält. Ein PiS-Politiker ist seit Januar 2016 TVP-Chef. Einige Journalisten wurden gekündigt, andere wechselten freiwillig in den privaten Sektor.
"Die Gesetze in Polen erlauben jeder Regierungspartei, die öffentlich-rechtlichen Medien zu ihren Gunsten zu besetzen", sagt Sadowski, "Ich denke, die Vorgängerregierung nutzte die Möglichkeiten aber nicht in diesem Maße aus." Er reichte seine Klage im August 2017 ein, knapp zwei Jahre, nachdem PiS die Wahl gewonnen hat. Anlass für seine Klage sei eine Studie der Warschauer Universität SWPS gewesen. Ein Team untersuchte eine Woche lang die Nachrichten der Sender TVP, TVN und Polsat. Es kam zu dem Ergebnis, dass TVP die gesetzlich vorgeschriebenen Standards - "Pluralismus, Unparteilichkeit, Ausgewogenheit und Unabhängigkeit sowie Innovation, hohe Qualität und Integrität" - nicht erfülle. "Ich wusste damit, dass es objektive Beweise gibt, und es nicht nur mein persönliches Empfinden ist", sagt Sadowski.
"Es ist die einzig mögliche Entscheidung, die das Gericht fällen konnte"
Sadowski berief sich auf die Artikel 30 und 31 der Verfassung, die die Freiheit und Würde des Menschen versichern. Der TVP-Verteidiger Bartolomiej Braun beantragte die Ablehnung der Klage von Anfang an. Er argumentierte, dass TVP niemals ein Programm über ihn ausgestrahlt habe und deshalb auch seine Menschenwürde nicht verletzen konnte.
"Die Entscheidung des Richters überrascht mich nicht", sagt Jolanta Hajdarz, Direktorin des Zentrums zur Überwachung der Pressefreiheit. Ob es einem gefalle, oder nicht: Dies sei die einzig mögliche Entscheidung, die das Gericht habe fällen können. "Waldemar Sadowski wurde in keiner Sendung persönlich angegriffen", sagt Hajdarz weiter, "Es wäre ein Präzedenzfall, auf den sich Tausende Bürger berufen könnten, denen die Berichterstattung nicht gefällt oder die etwas Geld verdienen wollten". Dies könnte zu einer Lähmung der Justiz führen. "Wir haben für solche Fälle Institutionen wie den Nationalen Medienrat, an den sich Bürger mit ihren Beschwerden wenden können."
Sadowski klingt nicht sehr enttäuscht über seine Niederlage vor Gericht. "Für mich hat der Fall einen intellektuellen Charakter", erklärt er. Der Artikel zur Menschenwürde sei nach dem Copy-Paste-Prinzip in die Verfassung geschrieben worden, ohne große Diskussion. "Würde ich gewinnen, würde das den Polen mehr über ihre Verfassung lehren und gleichzeitig würde TVP unter Druck geraten: Das Recht würde den Demonstranten vor dem TVP-Gebäude den Rücken stärken", sagt er. Deshalb werde er Berufung einlegen. Und falls das nicht reiche, werde er weiter klagen, bis sein Fall vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg lande.