Kirche sucht Dialog mit Nichtgläubigen
25. November 2013Gregor Gysi bezeichnet sich bisweilen als "Heide". Das sei "so ein Trick" seines Vaters, sagt der Linken-Politiker der Deutschen Welle. "Der hat gesagt: Heide ist jemand, zu dem Gott noch nicht gekommen ist. Das klingt ganz gut, fand ich." An diesem Donnerstag (28.11.) kann Gysi sich darüber auch mit prominenten Kirchenleuten austauschen. In Berlin folgt er der Einladung zum Gespräch mit Kurienkardinal Gianfranco Ravasi.
Der Präsident des Päpstlichen Kulturrats kommt im Rahmen einer mehrtägigen Veranstaltung unter dem Titel "Vorhof der Völker" mit religiösen und nicht religiösen Abgeordneten des Bundestages zusammen. "Geschlossene Veranstaltung" heißt es zu dem Treffen im Programm. Und doch steht sie beispielhaft für den offenen Charakter des Berliner Dialogs. Papst Benedikt XVI. begründete den "Vorhof der Völker" vor gut drei Jahren, um das Gespräch mit Atheisten zu suchen. Benedikt selbst hatte - noch als Kurienkardinal Joseph Ratzinger - Anfang 2005 in München ein solches Gespräch mit dem Philosophen Jürgen Habermas geführt.
Benedikt und Franziskus
Der merkwürdig anmutende Titel spielt übrigens auf den jüdischen Tempel an, in dem es einen allen zugänglichen "Vorhof der Heiden" gab. Erst nach den ersten Veranstaltungen Anfang 2011 in Bologna und Paris ersetzte man den Begriff "Heiden" durch "Völker". Das Vorhaben passt jedenfalls zu Benedikts großem Anliegen, Vernunft und Glaube zusammen zu sehen. Und Benedikts Nachfolger Franziskus griff dieses Anliegen auf und stärkte es. Zu den diversen Sensationen während der ersten Monate des Papstes aus Argentinien gehörte ein im September in der linksliberalen Tageszeitung "La Repubblica" veröffentlichter Brief. Darin rief Franziskus Nichtglaubende zu einem offenen Dialog ohne "vorgefertigte Konzepte" auf.
Dass Rom die Verantwortung für diesen Dialog Ravasi, dem Präsidenten des Päpstlichen Rates für Kultur, übertrug, ist richtungsweisend. Der 71-jährige vielsprachige Italiener gehört zu jener Schar kirchlicher Repräsentanten, der keine Angst vor dem Gespräch mit der Moderne und kritischen Intellektuellen versteht. Der dabei Differenzen aushalten und Perspektiven benennen kann.
Gottesfrage statt Skandale
Das Anliegen dieses Gesprächs liegt abseits der zuletzt in der Öffentlichkeit diskutierten Kirchen-Themen. In den Medien dominieren Skandale wie die Amtsführung des Limburger Bischofs Franz-Peter Tebartz-van Elst oder der sexuelle Mißbrauch von Kindern durch Kleriker. Die innerkatholische Debatte kreist vielfach um Reformfragen, Finanzprobleme und strukturelle Neuordnungen. Die eigentliche Gottesfrage gerät da - in der öffentlichen Wahrnehmung - nicht selten in den Hintergrund.
Der Berliner Kardinal Rainer Maria Woelki sieht den "Vorhof der Völker“ als Forum zum Gespräch mit jenen, "die sich die Fragen nach Orientierung und dem Sinn ihres Lebens, nach Freiheit, nach Herkunft und Zukunft des Menschen stellen". Es solle um die großen Menschheitsfragen gehen: Was ist der Mensch? Woher kommt er? Darf der Mensch seinem Leben selber ein Ende setzen? Woher kommt das Böse in der Welt? Grundfragen nach Wahrheit und Humanität.
Gysi und die Kassiererin im Supermarkt
Gregor Gysis Vater Klaus war in der DDR Staatssekretär für Kirchenfragen. Der heute 65-jährige Fraktionschef der Linken kennt die Themenlage also seit langem. Er findet es verständlich, dass sich – als Beispiel – die alleinerziehende Mutter zweier Kinder, die den Tag über im Supermarkt an der Kasse arbeite, sich solche Grundfragen nicht stelle. "Wann soll die über so tiefgreifende Fragen nachdenken?", fragt Gysi im Welle-Gespräch. Ebenso wie die Politik übersetzten die Kirchen ihre Themen zu wenig mit Blick auf solche Adressaten. "Man muss wieder Bedingungen dafür schaffen, dass die Menschen wirklich tiefer über bestimmte Dinge nachdenken." Für ihn sei das Entscheidende, "dass man sich für Frieden und soziale Gerechtigkeit einsetzt", sagt er. "Ob man das aus einem religiösen oder aus einem weltanschaulichen Motiv macht, ist mir ehrlich gesagt ziemlich egal." Und auch wenn er selbst nicht religiös sei, wisse er, wie groß die Rolle der beiden großen Kirchen und anderer Glaubensgemeinschaften in Deutschland sei.
Dem Berliner "Vorhof der Völker" gingen Veranstaltungen in einer Reihe überwiegend europäischer Städte voraus. Das Rote Rathaus im Herzen Ostberlins und die Charite, das Deutsche Theater und das Bode-Museum sorgen als Austragungsorte für ein Ambiente der Feierlichkeit - für Philosophen, Theatermacher ebenso wie für darstellende Künstler.
Abzuwarten bleibt, wie das Aufeinandertreffen von Gottgläubigen, Agnostikern und Atheisten gelingt. Aber schon das Gespräch ist bemerkenswert, nachdem es in Deutschland katholischerseits über Jahrzehnte fast eingeschlafen war. Die deutsche Hauptstadt, sagt der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch, sei "mit ihren ganz eigenen und unterschiedlichen Erfahrungen von Freiheit" ein inspirierender Ort für den Dialog über die menschliche und gesellschaftliche Freiheit.