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Weihnachten in Pandemiezeiten

23. Dezember 2021

Überschattet von der drohenden Omikron-Welle feiern die Kirchen in Deutschland das Weihnachtsfest. Zwischen Ermattung und Aufbruchsstimmung nach zwei Pandemie-Jahren.

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Deutschland Weihnachtsmärkte Coronavirus Pandemie
Bild: Martin Meissner/AP/picture alliance

"2020 waren wir in einem echten Stall, mit zwei Eseln und sechs Schafen." Pfarrer Rüdiger Kopp strahlt fast beim Erzählen. Als beim vergangenen Weihnachtsfest große Gottesdienste wegen der Corona-Pandemie nicht mehr möglich waren, hatte seine Gemeinde im badischen Kehl am Rhein aus der Not eine Tugend gemacht. Lediglich einige Akteure trafen sich zu einer per Livestream übertragenen Feier, sie feierten in einem Stall. Und weit über tausend Menschen waren per Livestream dabei.

Weihnachten im Stall 2020
Pfarrer Rüdiger Kopp und Theresia Hunnius, Vorsitzende des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ) im Erzbistum Freiburg, bei der Feier 2020.Bild: Privat

Nun kämpfen sich Deutschland und die Welt und auch das Hanauerland um Kehl mit seinen vielen kleinen Kirchen seit fast zwei Jahren durch Corona. Und wieder feiert Kopp vor einem Stall. Diesmal "vor einem angedeuteten Stall auf dem Dorfplatz", erläutert der 47-jährige Geistliche im Gespräch mit der Deutschen Welle. Rund 100 Gläubige können dabei sein, und wieder gibt es eine Übertragung.

"Einfachheit und Armut"

Der Stall, sagt Kopp, sei für ihn "elementar wichtig". Die Botschaft von Bethlehem habe mit Einfachheit, Leere, Armut zu tun. Daraus erwachse die Weihnachtsfreude. Vor Corona feierten die Katholiken im Hanauerland um Kehl überwiegend in den vielen kleinen Kirchen. Aber einzelne kleinere Heiligabend-Gottesdienste gerade für jüngere Leute in Fahrradschuppen, in einem Stall oder auf dem Dorfplatz gab es nach Angaben Kopps schon seit einer Reihe von Jahren. Nun ist dies das Hauptangebot.

Zum zweiten Mal Weihnachten in Corona-Zeiten… Anders als 2020 gelten nun keine bundesweit einheitlichen engen Grenzen für Gottesdienste am kirchlichen Hochfest. Aber frei entscheiden können die Kirchen nicht. Die rund 10.100 katholischen Pfarrgemeinden und gut 14.000 evangelischen Pfarrgemeinden müssen Vorgaben der 16 Bundesländer beachten. Ein Flickenteppich.

Gottesdienst im Livestream mit Kamera
Gottesdienst im Livestream mit Kamera (im März 2020 in einer Berliner Kirche)Bild: Maja Hitij/Getty Images

Zudem haben katholische Bistümer und evangelische Landeskirchen unterschiedliche Regelungen formuliert. Da gibt es striktes 2G (doppelt geimpft oder genesen) oder 3G (geimpft, genesen oder getestet), aber auch 0G mit strikter Maskenpflicht und Abstandsregeln. Klar ist: Erneut werden Millionen Christen ihren Gottesdienst im Livestream oder am Fernsehen erleben.

Sorge des Robert-Koch-Instituts

"Die freie Religionsausübung muss immer gewährleistet sein", sagt der Pressesprecher der Deutschen Bischofskonferenz, Matthias Kopp. Vor dem bislang letzten Spitzentreffen der Politik am Dienstag vor Weihnachten herrschte gespannte Erwartung, ob es weitere Vorgaben geben würde. Aber lediglich das Robert-Koch-Institut (RKI) empfahl dringend, strikt auf 2G+ zu setzen (geimpft, genesen, zusätzlich negativ getestet) und auf Gesang zu verzichten. Aber die Politik griff das nicht konkreter auf.

Hauptpastor der Kirche St. Michaelis Alexander Röder
Hauptpastor Alexander Röder im Hamburger MichelBild: S. Wallocha/St. Michaelis

So reicht die Bandbreite vom Open-Air-Gottesdienst vor der Stallkulisse bis hin zu großen Feiern in großen Kirchen, im traditionsreichen Hamburger Michel, der evangelischen Hauptkirche St. Michaelis. "Wir haben an Heiligabend sechs Gottesdienste", sagt Hauptpastor Alexander Röder der DW. Sechs Mal die Botschaft von Bethlehem in 45 Minuten. Das Gotteshaus erlaubt es, dass man Zutritt und Ausgang strikt trennt.

"Unser Glück ist, dass wir den größten Kirchenraum der Stadt haben", so der 61-Jährige Röder. Zu den sechs Feiern seien jeweils 400 Teilnehmende angemeldet. Insgesamt 2.400 - das klingt zunächst einmal viel. Aber vor Corona zählte der Michel "weit über 10.000 Gottesdienstbesucher allein an Heiligabend", erläutert der Pfarrer. Einzelne Feiern kamen da auch mal auf 3.500 Teilnehmende.

Jubelsturm im Advent

Ob die wachsenden Sorgen vor der Omikron-Variante die Fest- und Sangesfreude der Gläubigen schmälert? "Es gibt einige Stornierungen. Menschen geben ihre Karten zurück. Aber die werden sofort wieder gebucht." Aber Röder erinnert sich auch an das Weihnachtsfest 2020. Damals standen weit weniger Plätze zur Verfügung, waren begehrt und rasch ausgebucht. "Und mindestens die Hälfte der Leute ist dann doch nicht gekommen."

Aber Röder spürt bei den Menschen weder Müdigkeit noch Verbitterung. "Es gibt fast so etwas wie eine trotzige Freude." Die Menschen nähmen das strikte Corona-Management in Kauf. "Sie wollen die Feiern erleben." Der Pastor berichtet vom Weihnachtsoratorium im Michel am vierten Advent. 1300 Zuhörer unter 2G-Bedingungen. "Es gab am Ende einen regelrechten Jubelsturm", sagt er.

Ostersonntag - Ostergottesdienst in Hamburg
Der Hamburger Michel in Corona-ZeitenBild: Markus Scholz/dpa/picture alliance

Auch im Michel gibt es zwei Feiern mit 0G. Die Teilnehmenden müssen mehr Abstand halten, auf Gesang wird verzichtet. Ähnlich verfahren Verantwortliche in anderen Regionen. Denn die Kirche sagt, sie wolle niemanden ausschließen. Das katholische Erzbistum Berlin schreibt strikt 2G vor. Und sorgt dann doch dafür, dass es ein kleines Angebot an 0G gibt, bei dem aber auch die Daten der Teilnehmenden erfasst werden, Masken und Abstände vorgeschrieben sind.

Weihnachten und "Christen im Widerstand"

Einige Freikirchen, aus deren Milieu 2020 mehrere Massen-Infektionen bekannt wurden, propagieren auf einer gemeinsamen Homepage "wir-schliessen-niemanden-aus.de" Gottesdienste ohne Impfnachweis und Corona-Tests. Die Gemeinde Jesu Christi dürfe niemanden ausschließen. Manche Formulierung, auch der Titel der beteiligten Gruppe "Christen im Widerstand" erinnern an die öffentlichen Proteste gegen Corona-Vorgaben. Doch neben diesem Bündnis haben sich andere Freikirchen bewusst für 2G-Feiern entschieden.

Vor den erneut begrenzten Teilnehmerzahlen bei den Weihnachtsgottesdiensten formulieren Hilfswerke, die traditionell an Weihnachten um Spenden für Notleidende bitten, ihre eigenen Sorgen. Denn wenn die Kirchen leer bleiben, kommt auch weniger Geld zusammen. "Brot für die Welt" auf evangelischer Seite und "Adveniat" auf katholischer Seite rufen deshalb zu Spenden auf anderen Wegen auf. Aber die Angst wächst, dass es zu Einbußen kommen wird.