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Kinowunderland: Die Filmnation Neuseeland

Jochen Kürten5. Oktober 2012

Zwischen Blockbuster und Maori-Kultur: Neuseeland ist eine der führenden Filmnationen der Welt. Peter Jackson sorgt für Millionenbudgets, Jane Campion und andere für Festivalehren und künstlerischen Aufschwung.

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Szene aus dem neuseeländischen Film Heavenly Creatures (Foto: Arsenal - Institut für Film und Videokunst e.V.)
Bild: Arsenal

Sie war und ist bis heute die einzige Regisseurin, die beim wichtigsten Filmfestival der Welt eine Goldene Palme errang: Jane Campion. Als ihr Film "Das Piano" in Cannes 1993 den Hauptpreis gewann, war die Begeisterung groß. Die Geschichte der stummen Klavierspielerin Adam McGrath, die aus Schottland in ihre Heimat Neuseeland zurückkehrt und dort mit einem ihr verhassten Briten verheiratet werden soll, berührte das Festivalpublikum ungemein. Ein Regiestar schien geboren. Und mit ihr eine ganze Filmnation, die plötzlich im Rampenlicht des Weltkinos stand.

Regiestart mit einer Goldenen Palme Dabei hatte Jane Campion bereits zwei bemerkenswerte und in Fachkreisen viel beachtete Spielfilme gedreht und sieben Jahre zuvor schon einmal eine Goldene Palme in Cannes gewonnen - für ihr Kurzfilmdebüt. Aufmerksame Beobachter des internationalen Kinos hatten zu Beginn der 1990er Jahre längst registriert, dass Neuseeland zwar noch eine recht junge Kinonation war, aber schon einige vielbeachtete Filme und Regisseure hervorgebracht hatte. Campions "Piano" rief damals einige Motive in Erinnerung, die beim neuseeländischen Kino schon früher eine wichtige Rolle spielten: Der Konflikt mit der ehemaligen Kolonialnation Großbritannien, die Rolle der Maori, der neuseeländischen Ureinwohner, das Verhältnis zwischen Mensch und Natur.

Jane Campion (Foto: ddp images/AP Photo/Joel Ryan)
Jane CampionBild: AP

Der Konflikt zwischen Briten und Neuseeländern war auch Thema von "Schlafende Hunde" (1977). Das Debüt von Regisseurs Roger Donaldson weckte damals die Filmnation aus einem 15jährigen Schlaf. Der Film schaffte es als erste neuseeländische Produktion auf den amerikanischen Markt. Die heimische Filmindustrie wuchs und sorgte für einen ungeahnten Aufschwung des Kinos in Neuseeland.

Eine Filmnation erwacht Vergessen schien damals, dass bereits zu Beginn der 1950er Jahre der Filmpionier John O' Shead die neuseeländische Kinogeschichte mit seinen Arbeiten begründet hatte. Doch das hatte zunächst kaum Folgen. Im Gegenteil: In den folgenden Jahrzehnten genügten dem heimischen Kino verklärende Dokumentarfilme, die die Schönheiten von Flora und Fauna des Landes priesen und ein Neuseeland feierten, dass an der Oberfläche Ruhe und Wohlstand ausstrahlte. Donaldson öffnete dann 1977 den Kessel und es schien, als ob damit ein paar lange unterdrückte Emotionen an die Oberfläche kommen sollten.

Das Klavier aus dem Film "Das Piano" in einem neuseeländischen Museum (Foto DW/Ulrike Sommer)
Das Klavier aus "Das Piano" steht inzwischen im MuseumBild: DW/Ulrike Sommer

Peter Jackson verblüffte 1994 mit seinem Film "Heavenly Creatures" (unser Bild, oben) die Fachwelt. Die von Jackson erzählte Geschichte beruhte auf authentischen Ereignissen. Zwei junge Mädchen werden in "Heavenly Creatures" zu Mörderinnen. Der Film bot einen schockierenden Einblick in die Gefühlswelten von Heranwachsenden. Jacksons Karriere sollte die Filmwelt ein paar Jahre später noch nachhaltig verändern.

Zwischen Maori-Kultur und Science Fiction Sein Kollege Geoff Murphy hatte bereits zu Beginn der 1980er Jahre den in Neuseeland als Kultfilm verehrten "Mach's gut, Pork Pie" in Szene gesetzt. Später reüssierte er mit Filmen zur Maori-Thematik und Science Fiction-Epen. Vincent Ward machte sich mit seinen phantasievollen wie düsteren Fantasyfilmen einen Namen. Lee Tamahori schuf den ungemein eindrucksvollen "Once were Warriors", der 1994 die Leiden einer Maori-Frau in aller sozialer Drastik schilderte.

Die neuseeländischen "West Side Studios" Copyright: DW/Ulrike Sommer
Produktionsstandort Neuseeland: Die "West Side Studios"Bild: DW/Ulrike Sommer

Hollywood wurde schnell aufmerksam auf dieses Talentreservoir vom anderen Ende der Welt und lockte die Regisseure nach Amerika. Dort konnten die meisten von ihnen an die heimischen Erfolge anknüpfen. Donaldson wurde ein verlässlicher Studioregisseur, der unter anderem "Die Bounty" mit Mel Gibson verfilmte und dem jungen Tom Cruise in "Cocktail" den entscheidenden Karriereschub gab. Vincent Ward schrieb unter anderem das Drehbuch zum dritten Teil der Alien-Staffel, Tamahori drehte in Hollywood einen James Bond-Film.

Den größten Erfolg hatte Peter Jackson, der die drei Teile von "Herr der Ringe" produzierte und inszenierte, dann den uramerikanischen Mythos "King Kong" neu verfilmte. Derzeit bereitet er den Start der drei Hobbit-Filme vor, die wieder auf Vorlagen von J.R.R. Tolkien basieren. Jackson war es auch, der große Hollywood-Budgets für Produktionen auf seine Heimatinsel holte. Heute ist die Filmwirtschaft in Neuseeland ein wichtiger und profitabler Wirtschaftszweig, lockt sogar Regisseure wie Steven Spielberg ("Tim und Struppi") und James Cameron ("Avatar") an.

Szene aus dem neuseeländischen Film Once were warriors Bild: Arsenal - Institut für Film und Videokunst e.V.
Maori-Thematik: Nur phasenweise ausgelassen - Eine Frau wehrt sich in "Once were Warriors"Bild: Arsenal

Internationale Erfolge aus der jüngsten Zeit

Inzwischen hat Neuseeland eine neue, jüngere Generation von Filmemachern hervorgebracht. Es scheint, als ob das kleine Land nahtlos an die Erfolge der letzten Jahrzehnte anknüpfen sollte. "Whale Rider" von Niki Caro aus dem Jahre 2002, auch in den deutschen Kinos erfolgreich, basiert auf einem Roman des Maori-Schriftstellers Witi Ihimaer und schildert die wechselhaften Erfahrungen eines zwölfjährigen Mädchens, dass ihren Platz in der Gesellschaft zwischen Maori-Traditionen und Moderne sucht. Und "Boy" (Regie: Taika Waititi), der gerade noch in den deutschen Kinos läuft, ist eine klassische Coming-of-Age-Geschichte, die offenbar auch die Erwartungshaltungen der Zuschauer auf der ganzen Welt befriedigt. Das kleine Neuseeland hat den Aderlaß einer ganzen Generation von Filmemachern, die in die USA auswanderte, gut verkraftet. Zum einen sind neue Talente nachgewachsen. Und zum anderen haben die in Hollywood erfolgsverwöhnten Regisseure Neuseeland zu einem der profitabelsten Produktionsstandorte des Weltkinos gemacht.

Szene aus dem neuseeländischen Film Whale Rider Bild: Arsenal - Institut für Film und Videokunst e.V.
Auf der Suche nach Identität: das junge Mädchen in "Whale Rider"Bild: Arsenal

Unter den Titel "Cinema Storytelling from New Zealand" startet im Berliner Kino Arsenal im August eine Reihe mit mehreren Filmen aus dem Land. Das Programm wird um einige Filme erweitert während der Buchmesse in Frankfurt im Kino des Deutschen Filmmuseums gezeigt.