Kino, das keiner kapiert
25. April 2007Ein neuer Albtraum in Bildern hat laufen gelernt. Fast drei Stunden lang verharrt der Zuschauer von Lynchs neuem Streifen im Kinosessel, bevor er völlig verwirrt zurück auf die Straße kehrt. Alle Sehgewohnheiten finden bei diesem abstrakten Arthouse-Kino, das ab Donnerstag (26.4.) in Deutschlands Filmsälen Einzug hält, keinerlei Platz. Wer sich auf die Reise ins Mysteriöse einlässt, muss sich bereits im Vorfeld frei machen von irgendwelchen Erwartungen auf entspanntes Popcorn-Kino à la Hollywood. Eine stringente und in sich abgeschlossene Handlung oder sinnstiftendes Geschichtenerzählen gehört nicht zu den Methoden des Experimentierkünstlers. Unverständnis und Frustration sind, vor allem beim nicht-Lynch-gewöhnten Kinogänger, vorprogrammiert. "Es geht nicht darum etwas zu verstehen, sondern darum, etwas zu erfahren", sagt der Filmemacher selbst über seine bizarre Neuschöpfung.
Seit "Mulholland Drive" (2001) war Lynch von der Bildfläche verschwunden. Jetzt setzt er genau da an, wo er damals aufgehört hat. Er nimmt sich die Freiheit, den Zuschauer im Dunkeln stehen zu lassen, ihn mit einer kunstvollen Bildsprache zu konfrontieren, die niemand zu deuten imstande ist. Einmal mehr stellt er sein Abstraktionsgenie unter Beweis und nimmt dabei sogar in Kauf, dass die Begeisterung der Menschen für seine surrealistischen Gebilde nachlässt.
Wer ist wer und wann und wo?
Die Handlung lässt sich grob wie folgt zusammenfassen: Die reiche und berühmte Schauspielerin Nikki Grace (Laura Dern) lässt sich trotz Vorwarnungen auf die Dreharbeiten zu einem Film ein. Dabei handelt es sich um ein Remake einer Jahrzehnte alten Produktion, die niemals zu Ende gedreht werden konnte, da die beiden Hauptdarsteller auf geheimnisvolle Art ums Leben kamen. Die Verwirrung beginnt jetzt. Ab dem Zeitpunkt, an dem Nikki in ihre Rolle steigt, lässt sich nicht mehr nachvollziehen, wo die Wirklichkeit anfängt und die Fiktion aufhört. Natürlich wächst die Ratlosigkeit noch zusätzlich durch die Verstrickung mehrerer Erzählebenen. Die Geschichte in der Geschichte lässt die Figuren mehrere Identitäten gleichzeitig annehmen, die Grenzen zwischen Vergangenheit und Gegenwart werden überschritten bis zur totalen Aufgabe der Chronologie. Unscharfe Kameraaufnahmen wirken inmitten dieses Szenarios beängstigend. Und immer wieder tauchen im Hintergrund absurde Bilder von Menschen mit Kaninchenköpfen auf.
Diese Form der Filmkunst lässt den normalen Kinogänger gewiss an seine Grenzen stoßen. Lynchs Filme zielen eben nicht auf ein Mainstream-Publikum ab. Von der Filmbewertungsstelle Wiesbaden (FBW) wurde das Traum-Szenario als "eine Herausforderung für die Sinne" bezeichnet und mit dem Prädikat "besonders wertvoll" versehen. Der Film sei "tiefgründig, verschlüsselt, provokant und makaber". Gewiss handelt es sich um ein filmisches Experiment, das die Strukturen und die Formate des gewohnten Erzählkinos weit hinter sich lässt und dementsprechend zum Avantgarde-Film gezählt werden muss. Genau das macht ihn so wertvoll - die ungezähmte Lust auf Innovation.
Völliges Desinteresse
In Amerika haben den Film noch nicht mal 100.000 Zuschauer gesehen. "Je abstrakter ein Film ist, desto weniger Zuschauer findet er", kommentiert Lynch die Zuschauerzahlen. Ebenso wenig interessierten sich die Verleihfirmen für Lynchs neuestes Werk. In Deutschland hat er mit Concorde einen Verleiher gefunden, der "Inland Empire" in die Kinos bringt. In seiner Heimat hingegen musste er den Film im Eigenverleih herausbringen.