Kinderhölle im Darknet
2. August 2018Deutsche Welle: Sie sind Sprecher der Zentralstelle für die Bekämpfung der Internetkriminalität bei der Staatsanwaltschaft Frankfurt. Die hat auch die Ermittlungen zur Padöphilenplattform "Elysium" mit knapp 90.000 Nutzern geführt. Erst einmal grundsätzlich: Wie hat das Darknet, dieser nur über spezielle Suchmaschinen erreichbare und unkontrollierte Teil des Internets, die Kriminalität verändert?
Georg Ungefuk: Wir stellen seit Jahren fest, dass bestimmte Bereiche der allgemeinen Kriminalität sich zunehmend in das Darknet verlagert haben. Da geht es um den Bereich des Rauschgifthandels, aber auch des illegalen Waffenhandels, des Handels mit Falschgeld und sonstigen Fälschungsgütern. Bestehende kriminelle Strukturen haben das Darknet als neuen Absatzkanal für sich entdeckt. Und das führt zu einer Art Migration von Kriminalitätsstrukturen in das Darknet.
Hat das Darknet auch neue, eigene Kriminalitätsformen geschaffen?
Das Darknet hat die Möglichkeiten erweitert, Straftaten zu begehen. Das betrifft natürlich auch die Kinderpornografie. Der organisierte Vertrieb von Kinderpornografie hat sich in den letzten Jahren zunehmend ins Darknet verlagert. Im normalen Internet haben wir eigentlich kaum noch kinderpornografische Plattformen. Diese Plattformen befinden sich sämtlich im Darknet. Und das erschwert die Ermittlung ungemein.
Ist die Gesellschaft, sind die Behörden auf diese neuen digitalen Erscheinungsformen von Kriminalität im Darknet eingestellt?
In Deutschland ist das Thema in den letzten beiden Jahren zunehmend in den Blickpunkt der Öffentlichkeit gelangt. In der Gesellschaft beschäftigt man sich mit dem Thema Darknet. Das Thema hat natürlich ein Stück weit auch mit Freiheit zu tun und mit der Möglichkeit, der Zensur in bestimmten Ländern dieser Welt zu entkommen - oder der Strafverfolgung in Ländern, wo man keine Meinungsfreiheit hat wie bei uns. Auf der anderen Seite ist es aber auch ein Auslöser für Kriminalitätsentwicklung. Das heißt: Das Darknet ist zum einen ein wichtiges Mittel, um anonym zu kommunizieren, um vielleicht doch seine Meinung zu äußern in bestimmten Ländern. Auf der anderen Seite ist es - wie jede Technologie - etwas, das von Kriminellen eingesetzt wird, um der Strafverfolgung zu entgehen.
Aber bei der Polizei und bei den Justizbehörden hat sich in den letzten Jahren einiges getan. Auch wir bei der Zentralstelle Internetkriminalität haben sehr viel in Schulungen investiert, in den Aufbau von Wissen, in den Aufbau von Informationen für Staatsanwälte, Polizeibeamte, auch für Richter, um dieser neuen Kriminalitätsentwicklung standzuhalten.
Aber es ist mitnichten so, dass die Nutzung des Darknet für Straftaten insgesamt auf dem Rückzug ist. Diese Möglichkeit zur Begehung von Straftaten ist für viele immer noch sehr verlockend: Weil man in dem Glauben ist, der Strafverfolgung zu entgehen und sich anonym zu bewegen, wenn es um Straftaten geht.
Damit zu den Tätern und den Menschen, die Plattformen wie "Elysium" nutzen: Die hatte geschätzt knapp 90.000 Nutzer, als sie im Juni 2017 geschlossen wurde. War "Elysium" nur die Spitze des Eisbergs?
"Elysium" war eine sehr bedeutende Plattform im Bereich der Kinderpornografie. Nach unseren Ermittlungen hat diese Plattform innerhalb eines vergleichsweise kurzen Zeitraums - innerhalb von sechs Monaten - eine sehr beachtliche Anzahl von Mitgliedern gefunden. Das hat mit zwei Gesichtspunkten zu tun: Zum einen war die Plattform sehr offen. Das heißt: Die Interessenten mussten keine besonderen Voraussetzungen erfüllen, um Mitglied der Szene zu werden. "Elysium" hat auch deshalb sehr viele Mitglieder angelockt, weil andere Plattformen zu dieser Zeit verschwunden sind. "Elysium" war auf den weltweiten Absatz von Kinderpornografie ausgerichtet, so dass sich die internationale Kinderpornografie-Szene auf dieser Plattform bewegte. Wir hatten Tatverdächtige aus der gesamten Welt.
Wie funktioniert die internationale Zusammenarbeit zwischen den Polizeibehörden?
Internet-Kriminalität allgemein, aber auch die Bekämpfung der Darknet-Kriminalität ist eine internationale Aufgabe. Wir haben es eigentlich immer damit zu tun, dass die Infrastruktur in einem Land steht und die Tatverdächtigen aus einem völlig anderen Land heraus agieren. Das bedeutet zwangsläufig: Wenn nicht Behörden mehrerer Länder zusammenarbeiten, gibt es auch keinen Ermittlungserfolg. Hier hat sich in den letzten Jahren einiges getan. Gerade wir bei unserer Zentralstelle sind heute auch international mit vielen Behörden im Ausland gut vernetzt. Das ist wesentlich mitverantwortlich dafür, dass es in den letzten Jahren gelungen ist, im Darknet Plattformen abzuschalten. Weil die internationale Zusammenarbeit gut funktioniert hat, weil Kommunikationswege zwischen mehreren ausländischen Behörden sehr schnell waren.
Können Sie beurteilen, wie die pädophile Szene auf das Ende von "Elysium" reagiert hat?
Nach unserem Eindruck kam es zu einer beachtlichen Verunsicherung der Szene. Aktuell ist es nach unserem Kenntnisstand so, dass bislang keine bedeutende kinderpornografische Plattform "Elysium" ersetzt hat. Aber man muss immer auch sagen: Kinderpornografie wird heute auf vielen Wegen getauscht - auch auf konventionellen Verbreitungswegen. Das können E-Mail-Dienste sein, das können Messenger-Dienste sein oder sonstige Kommunikationswege.
Wie halten es die Ermittler aus, Stunde um Stunde furchtbare Bilder grausamen Kindesmissbrauchs anschauen zu müssen?
Es ist eine Arbeit, die belastend ist - für die Kollegen bei der Polizei, aber auch für die Staatsanwälte. Jeder muss mit dieser Grausamkeit, die man sieht, auf seine persönliche Art fertig werden. Im Regelfall gelingt uns das gut. Da spielt auch die Arbeit im Team eine wichtige Rolle. Man kann sich immer mit den Kollegen austauschen. Oft - und so habe ich es auch bei mir selbst festgestellt: Auch wenn man am Anfang denkt, dass diese Arbeit belastend ist und man sie nicht lange machen will - die meisten bleiben lange Jahre in dem Bereich aktiv. Weil man in diesem Arbeitsbereich auch Genugtuung bekommt und viel Wertschätzung, wenn es gelingt, andauernden sexuellen Missbrauch von Kindern zu unterbinden.
Georg Ungefuk ist Sprecher der Zentralstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität, angesiedelt bei der Staatsanwaltschaft Frankfurt. Hier wurden auch die Ermittlungen zu "Elysium" geführt.
Die Fragen stellte Matthias von Hein.