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Kindergarten - der erste deutsche Exportschlager

Jan D. Walter28. Juni 2015

Kinder sollen sich frei, aber geführt entwickeln - wie Pflanzen im Garten. Mit diesem Konzept revolutionierte der deutsche Pädagoge Friedrich Fröbel vor 175 Jahren die frühkindliche Pädagogik.

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Kinder und Betreuerin in einem Kindergarten (Foto: )
Bild: picture-alliance/dpa/J. Büttner

"Kindergarten" ist eines der wenigen deutschen Worte, die es in die englische Sprache geschafft haben. Auch in vielen anderen europäischen Sprachen - und sogar im Chinesischen und Usbekischen - setzt sich die entsprechende Vokabel aus den Wörtern "Kind" und "Garten" zusammen. Der Grund dafür: Die Institution Kindergarten ist eine deutsche Erfindung und wurde - bereits 100 Jahre vor dem Wirtschaftswunder - einer der ersten deutschen Exportschlager.

Inmitten der industriellen Revolution, am 28. Juni 1840, gründete der Pädagoge Friedrich Wilhelm August Fröbel im thüringischen Blankenburg den "Allgemeinen Deutschen Kindergarten" und damit den ersten Kindergarten der Welt.

Orte zur Kinderbetreuung gab es schon vorher. "Die hießen dann Bewahranstalten oder Warteschulen", erklärt Margitta Rockstein, die als Kustodin im Blankenburger Fröbel-Museum das Schriftenarchiv verwaltet. In solchen Einrichtungen ließen Eltern ihre Kinder, wenn sie in den Fabriken des aufkommenden Industriezeitalters arbeiteten. "Für ältere Kinder herrschte bereits Schulpflicht", erläutert Rockstein. "Für Kleinkinder gab es bestenfalls Einrichtungen, die sie vor Verwahrlosung 'bewahrten'." Wie der Name verkündet.

Revolutionäre Pädagogik

Das reichte Fröbel nicht. Inspiriert von den Gedanken der Aufklärung verstand er Menschen als freie Individuen, die von Geburt an zur freien Entfaltung geschaffen sind. Und dazu gehörte für Fröbel auch die Bildung. Wie dem Schweizer Reformpädagogen Johann Heinrich Pestalozzi, bei dem Fröbel als junger Mann studierte, galt auch ihm die Bildung aller Kinder - unabhängig von Herkunft und Geschlecht - als Grundpfeiler eines demokratischen Gemeinwesens.

Fröbel aber ging noch einen Schritt weiter als sein Mentor Pestalozzi und vertrat die Auffassung, dass Kinder so früh wie möglich Zugang zu Bildung haben sollten. Darunter verstand er - insbesondere bei Kleinkindern - jedoch keinen Unterricht. Fröbel fand, dass Kinder am besten durch das natürlichste Verhalten lernen, das sie an den Tag legen können: das Spielen.

Das Fröbel-Haus in Bad Blankenburg, Außenansicht (Foto: )
Dort wo, vor 175 Jahren der erste Kindergarten der Geschichte entstand, steht heute das Fröbel-MuseumBild: picture-alliance/dpa

"Insofern war Fröbels Pädagogik durchaus revolutionär", sagt die Psychologin Petra Strehmel vom Institut für Soziale Arbeit an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg. "Er erkannte bereits, was wir noch heute in der Entwicklungspsychologie immer betonen, nämlich dass Lernen und Entwicklung ein aktiver Prozess ist." Und kein passiver. Anstatt also tatenlosen Kindern Wissen einzutrichtern, wollte er es den Kindern überlassen, ihre Welt zu erforschen.

Professionelle Ausbildung

Zur frühkindlichen Vermittlung grundlegender mathematisch-physikalischer Zusammenhänge etwa entwickelte Fröbel Spielzeug in Form von geometrischen Figuren wie Würfel, Zylinder und Kugel. Erziehern, und Erwachsenen allgemein, fällt dabei die Aufgabe zu, die Kinder beim Spielen sprachlich und emotional zu begleiten. So lernen die Kinder, das Erfahrene zu artikulieren, und entwickeln ihre sozialen Kompetenzen.

Den ersten Kindergarten der Weltgeschichte musste Friedrich Fröbel aus Geldmangel schon nach zwei Jahren wieder schließen. Doch Fröbel gab sich nicht geschlagen und reiste umher, um Vorträge zu halten und - wie im Schulsystem bereits üblich - professionelle Erzieher im Sinne seiner Lehre auszubilden. Anfangs waren es meist Männer, die Schulen leiteten, später vor allem unverheiratete Frauen, denen Fröbel damit eine damals noch seltene Gelegenheit zu einem qualifizierten Beruf eröffnete.

Exportschlager Kindergarten

Doch nach dem Scheitern der bürgerlich-demokratischen Revolution von 1848/49 verbot der preußische Staat allzu progressive pädagogische Konzepte. Gehorsame Untertanen waren den Machthabern lieber als frei denkende Individuen. Im größten deutschen Einzelstaat durfte es ab August 1851 keine Kindergärten mehr geben. Fröbels Pädagogikreform schien am Ende, zumal ihr Schöpfer kaum ein Jahr später im Alter von 70 Jahren starb.

Kinder sitzen beim Lernen um einen Tisch (Foto: )
Neben einer Sammlung und dem Schriftenarchiv beherbergt das Fröbel-Haus eine SprachheilschuleBild: picture-alliance/dpa

Tatsächlich aber trat der Kindergarten nun seinen Siegeszug um die Welt an. Das Ende der Kindergärten in Preußen kam einem Berufsverbot für Kindergärtnerinnen gleich. "Das waren aber meist sehr kluge, gebildete Frauen, die auch Fremdsprachen beherrschten", berichtet Fröbel-Expertin Rockstein. "Sie schwärmten aus in die Länder, in denen der Kapitalismus schon fortgeschrittener und der Bedarf an Kindergärten höher war als in Deutschland und verbreiteten das Konzept."

Fröbels zweite Ehefrau Luise pflegte Kontakte nach Russland, wo sich Lew Tolstoi für Fröbels Lehre interessiert haben soll. Andere trugen die Kindergarten-Idee nach England, Frankreich, Spanien, in die USA und bis nach Ostasien.

Der Name ist Programm

Dass mit dem Konzept auch der Name in alle Welt gelangte, liegt wohl auch daran, dass Fröbel das Wort "Kindergarten" sehr behutsam gewählt hatte. "Fröbel zeigt damit, dass er das Kind als Samenkorn versteht, in dem potenziell alles angelegt ist", sagt Margitta Rockstein.

Psychologin Strehmel sieht noch einen weiteren Aspekt in dem Bild vom Garten: "Das geht in die Richtung, dass Kinder sich entsprechend ihrer Potenziale entwickeln sollen, aber dass sie eben auch ganz bestimmte Anregungen erhalten, mit denen sie sich auseinandersetzen." So wie Gartenpflanzen wachsen sollen, aber beschnitten werden, damit sie nicht wuchern.

Zeitgenössischer Stich des Pädagogen Friedrich Fröbel (Foto: gemeinfrei)
Die Ideen des Pädagogen Friedrich Fröbel sind noch heute aktuellBild: picture-alliance/akg

Merkwürdig, dass ausgerechnet in Deutschland das Wortungetüm "Kindertagesstätte" aus dem Beamtenregister und seine joviale Abkürzung "Kita" den nahezu philosophischen Begriff "Kindergarten" inzwischen verdrängt haben. Tröstlich ist allerdings, dass Fröbels Konzept auch in Kitas bis heute aktuell ist. Und das nicht nur in Deutschland.