Der Kampf gegen die Zwangsverheiratung
2. Mai 2017Ende April hat das Bundeskabinett einen Gesetzesentwurf in den Bundestag gebracht, der Eheschließungen von Minderjährigen grundsätzlich verbietet. Das Mindestalter für Trauungen in Deutschland soll künftig bei 18 Jahren liegen. Bis jetzt waren Ehen unter Minderjährigen möglich, wenn einer der Partner mindestens 16 Jahre alt war und die Familiengerichte ihr Einverständnis gaben.
Zudem sieht der Gesetzesentwurf vor, dass alle Ehen von Personen unter 16 Jahren nichtig sein sollen. Im Einzelfall sollen Ausnahmen möglich sein, vor allem, wenn der jüngere Partner die Volljährigkeit erreicht und die Ehe bestätigt.
Mit dem Verbot soll unter anderem ein Zeichen gegen die hohe Zahl von Kinderehen unter Flüchtlingen gesetzt werden. Seit der Flüchtlingskrise 2015 haben mehr als eine Million Geflüchtete in Deutschland Schutz gesucht. Laut einer Auskunft des Innenministeriums im Juli 2016 verzeichnete das Ausländerzentralregister 1.457 in Deutschland lebende ausländische minderjährige Personen als verheiratet. Darunter befanden sich auch 361 Fälle, in denen eines der Kinder unter 14 Jahre alt war.
Verheerende Folgen einer Kinderehe
Das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen UNICEF definiert eine Kinderehe als eine formale Ehe oder ein informelles Ehebündnis, bei dem beide oder einer der Partner unter 18 Jahre alt ist. Nach Angaben von Lakshmi Sundaram, Vositzende der NGO "Girls not brides", werden jedes Jahr rund 15 Millionen Mädchen als Kinder verheiratet. Derzeit gebe es mehr als 700 Millionen Kinderbräute weltweit und 156 Millionen Jungs, die minderjährig verheiratet wurden.
Viele Kinderbräute werden früh schwanger, so Sundaram. Das kann verheerende Folgen haben, darunter oftmals Komplikationen während der Schwangerschaft und bei der Entbindung. "Innerhalb einer Ehe sind die Mädchen sehr anfällig für körperliche Gewalt und sexuelle Übergriffe und sie haben oft nicht die Kraft, ihren Ehepartnern zu widersprechen oder mit ihnen zu verhandeln."
Es gibt verschiedene Gründe dafür, warum Eltern ihre Kinder früh verheiraten, sagt Sundaram. "Einer der Hauptgründe ist die Geschlechterungleichheit und der "Wert" der Mädchen. Sie würden bloß als künftige Ehefrauen und Mütter gesehen. "Die Eltern und die Gesellschaft schätzen sie weniger als Jungs und halten es nicht für notwendig, in ihre Bildung zu investieren oder Alternativen zu einer Kinderehe zu suchen."
Tradition spielt auch eine wichtige Rolle - Eltern glauben, dass sie ihren Kindern etwas Gutes tun, indem sie sie jung verheiraten, so Sundaram. Aber auch Armut oder unsichere Verhältnisse bei Krieg und Krisen wirken als Verstärker.
Kinderehen in Krisengebieten
Monika Michell recherchiert zum Thema Ehrenmorde bei der NGO Terre des Femmes. Ihr zufolge sind Frauen und Mädchen immer die ersten Leidtragenden in Krisen und gewaltsamen Konflikten. "Sie sind besonders verwundbar. Laut Statistik steigen die Fälle von Kinderehen in Flüchtlingslagern in Jordanien, Libanon und auch im Jemen. Viele reiche ältere Männer nutzen diese Situation aus und kaufen junge Mädchen als ihre Zweit- oder Drittehefrau", erklärt Michell.
In einer 2016 von der New Yorker "Women’s Refugee Commission" herausgegebenen Studie heißt es: “Instabilität und Konflikt haben einen Einfluss auf die Entscheidungen bei Kinderehen. Es gibt verschiedene Faktoren: Eltern wollen die Mädchen vor Vergewaltigung und Stigmatisierung im Fall einer überlebten Vergewaltigung schützen. Sie möchten sie vor Schwangerschaft außerhalb der Ehe schützen und vor dem Einfluss anderer Wertegemeinschaften", schreiben die Autoren von "A girl no more: the changing norms of child marriage in conflict."
Laut der Studie gelten neun der 10 Länder mit den meisten Kinderehen als fragile Staaten - Niger, die Zentralafrikanische Republik, der Tschad, Mali, Bangladesch, Burkina Faso, Guinea, der Südsduan und Mosambik. Obwohl Syrien ebenfalls ein fragiler Staat ist, taucht das Land nicht in der Top-10 Liste auf.
In Folge von Vertreibung und Instabilität aber steigt auch die Rate der Kinderehen in Syrien. Die Studie legt dar, dass vor allem junge Frauen aus den ländlichen Teilen Syriens versuchten, ihre "Ehre" und ihre Zukunft zu sichern. "In der syrischen Gesellschaft ist die "Ehre" maßgeblich für eine Zukunft mit Perspektiven. Eltern möchten den unsicheren Verhältnissen und der ungewissen Zukunft als Flüchtlinge etwas entgegensetzen und glauben, dass die Heirat ihrer Kinder hilft."
Geflüchtete Frauen aus der Demokratischen Republik Kongo (DRC) im Flüchtlingscamp Nakivale in Uganda berichteten den Autoren der Studie, dass Vergewaltigungen einen großen Einfluss auf das Schließen von Kinderehen hätte. Einige Frauen würden an ihre Vergewaltiger verheiratet, und viele würden sich früh zu einer Heirat entschließen aus Angst, dass sie nach dem sexuellen Missbrauch keinen Partner mehr finden.
Kinderehen abschaffen
Lakshmi Sundaram von "Girls not Brides" plädiert für eine vierteilige Strategie, um Kinderehen langfristig abzuschaffen. Diese beinhaltet die direkte Förderung und Stärkung von Frauen, die Mobilisierung von Familien und Gemeinden, Initiativen für Bildung und Gesundheit sowie leicht anwendbare Gesetze. "In jedem Fall müssen die Bemühungen, Kinderehen abzuschaffen, auch die Mädchen erreichen, die schon verheiratet sind", so Sundaram. "Es müssen Strukturen und Hilfsangebote eingerichtet werden, die sich speziell an die Bedürfnisse dieser Mädchen sowie deren möglicher Kinder richten. Jedes Gesetz sollte im Kern ihre Interessen wahren."
Den Gesetzesentwurf zum Verbot von Kinderehen in Deutschland begrüßt Michell von Terre des Femmes. Sie hält den Vorschlag der Bundesregierung, alle schon bestehenden Ehen zwischen Minderjährigen zu annullieren, für richtig.
Doch es gibt auch ein Problem. Nach Ansicht von Michell regele der Entwurf nicht eindeutig, dass eine Frühehe ein Indiz dafür sind, dass das Wohl des Kindes gefährdet ist. "Sollte eine 16-Jährige, die mit 15 im Ausland geheiratet hat, mit ihrem „Ehemann“ und ihren Eltern nach Deutschland einreisen, ist ihre Ehe unwirksam. Da sie allerdings in Begleitung ihrer Eltern ist, wird das Jugendamt, so unsere Befürchtung, nicht aktiv werden bzw. eventuell gar nicht informiert", sagt Michell. "Das birgt die Gefahr, dass die Minderjährige trotz der Unwirksamkeit die Ehe in Deutschland leben muss, mit allen Konsequenzen. Denn oft sind es eben die eigenen Eltern, die solch eine Ehe forcieren."