Kimmich auf Lahms Spuren
13. Dezember 2018Für einen kurzen Augenblick fuhr der als stets besonnen geltende Joshua Kimmich beim 3:3 (1:0)-Auswärtsspiel in Amsterdam dann doch aus seiner Haut: Es war die 27. Minute, als Kimmich und die Bayern mit 2:0 hätten in Führung gehen müssen. Doch zuerst scheiterte Lewandowski nach feinem Zuspiel freistehend aus etwa sechs Metern, dann wurde Kimmich aus vollem Lauf heraneilend im letzten Moment geblockt und das recht rüde.
Der 23-Jährige krümmte sich erst vor Schmerzen und ließ den Schiedsrichter anschließend seinen Unmut über das aus seiner Sicht nicht geahndete Foul im Strafraum in aller Deutlichkeit spüren, in dem er ihm einige empörte Worte entgegen schmetterte. Statt des 2:0 oder eines Elfmeters gab es für Kimmich dann nur die Gelbe Karte. Es war einer der seltenen Momente der Unkontrolliertheit, der Wut und der Emotion in der bisherigen Karriere Kimmichs - eigentlich überhaupt nicht die Art des Mittelfeldmannes, der in München schon länger als potenzieller Führungsspieler gesehen wird und aktuell an der Schwelle genau dahin steht.
Es gibt verschiedene Typen von Führungsspielern. Beim deutschen Rekordmeister FC Bayern München wurde lange Zeit der Typus "Aggressive Leader" geschätzt - etwa in Person von Stefan Effenberg oder Mark van Bommel. Beide waren selbstverständlich auch Kapitän des Klubs, alles andere als selbstverständlich ist es aber mittlerweile, dass ein Kapitän beim FC Bayern aus diesem Holz geschnitzt sein muss. Dieser Umstand ist zweifelsohne ein Erbe des letzten großen Bayern-Kapitäns: Philipp Lahm.
Parallelen zu Lahm
Sowohl bei den Münchnern, als auch beim DFB perfektionierte Lahm seinen Führungsstil mit weniger Lautstärke und eher strategischer, sanfter Machtausübung hinter den Kulissen, anstatt Machtdemonstrationen gegenüber Mitspielern auf dem Rasen. Viele sagen Kimmich eine ähnliche Karriere voraus und das liegt nicht daran, dass er dem Triple-Kapitän von 2013 recht ähnlich sieht.
Vielmehr ist es die Kombination des sportlichen und persönlichen Profils, das Kimmich zum legitimen Lahm-Nachfolger werden lässt: Wie Lahm ist Kimmich eigentlich ein laufstarker Außenverteidiger. Lahm drängte mit fortschreitender Karriere immer mehr ins Mittelfeld auf die Sechser-Position und bekleidete diese unter Guardiola dann auch regelmäßig. An genau diesem Punkt steht Kimmich nun sogar schon bedeutend früher. In fünf der letzten acht Partien in der Bundesliga und der Champions League bot Bayern-Trainer Niko Kovac den Nationalspieler im Mittelfeld auf - mit Erfolg: Mit Kimmich gab es seitdem drei Siege und zwei Unentschieden, verloren hat der FC Bayern mit Kimmich als Sechser in dieser Saison noch nicht.
Dafür hat Trainer Niko Kovac etwas gewonnen und zwar die Erkenntnis, dass die lang vermisste Stabilität – gerade was die Konteranfälligkeit der Bayern betrifft – wieder zurück ist und daran hat Joshua Kimmich, der das Spiel im Mittelfeld noch mehr gestalten, ihm noch mehr seinen Stempel aufdrücken kann, großen Anteil. Doch nicht nur er alleine: Der andere Teil der erfolgreichen bayrischen Problemlösung ist die Rückkehr zur Doppel-Sechs, die beim Rekordmeister schon Triple-Trainer Jupp Heynckes aus Gründen der Stabilität bevorzugte.
Versprechen für die Zukunft
Und auch dieser Teil der Doppel-Sechs hat natürlich einen Namen: Leon Goretzka, vor der Saison ablösefrei aus Schalke geholt, gibt als eher körperbetonter Part die perfekte Ergänzung im defensiven Mittelfeld der Münchner und ist aktuell neben Kimmich auf der Doppelsechs gesetzt. Und auch Goretzka ist noch sehr jung, der Bayern-Neuzugang (23) ist nur zwei Tage älter als Kimmich und hat noch viele Jahre vor sich – im besten Fall als Kopf des Bayern-Spiels der Zukunft gemeinsam mit Joshua Kimmich.
Während beim und über den FC Bayern München derweil diskutiert wird, ob es möglicherweise ein Fehler gewesen sein könnte, mit Nibelungentreue an Arjen Robben und Franck Ribéry als Außenstürmer festzuhalten, verkörpern die beiden jungen Spieler aktuell den so dringend benötigten Generationswechsel. Und das nicht nur auf dem Platz, Kimmich spielt bekanntlich seit Jahren Stamm in München, sondern eben auch im Machtgefüge, in der Riege der Führungsspieler des deutschen Fußball-Rekordmeisters.
Und da ist Kimmich sicher noch ein ganzes Stück näher dran, als sein erst vor der Saison zum Team gestoßener Partner Leon Goretzka. Und Kimmich macht es wie Lahm: Einfluss auf und neben dem Rasen steigern, gepaart mit persönlichen Eigenschaften wie Fleiß, Ehrgeiz, Demut und ein stets respektvolles Auftreten - mit dieser Mischung hat Philipp Lahm es zum unbestrittenen Kapitän von Deutschlands Fußball-Topadresse, zum Triple-Sieger und zum Weltmeister gebracht. Zuzutrauen ist es Joshua Kimmich, dass er auch weiterhin den Weg geht, den einst Lahm ging und der eigentlich immer nur nach oben und weiter führte.
Einer, der weiß, was es heißt, einen langen, erfolgreichen Weg im Fußballgeschäft zu gehen, ist Inter Mailands Klublegende Javier Zanetti. Auch er sieht in Kimmich den legitimen Lahm-Nachfolger. "Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass er einen Weg wie Philipp Lahm einschlagen kann, der eine herausragende Karriere hatte. Aber nicht nur das, Philipp war ein Vorzeigefußballer, nicht nur in Deutschland, sondern weltweit. Sein Beispiel geht über den Fußball hinaus.“ Ein beträchtliches Stück dieses Weges ist Kimmich im Alter von erst 23 Jahren bereits gegangen. Von den nächsten Schritten scheint den ehrgeizigen Profi nichts außer schweren Verletzungen oder Ähnlichem abhalten zu können. Was das angeht, hatte Lahm großes Glück, blieb von schweren Verletzungen, abgesehen von einem Kreuzbandriss zu Beginn der Karriere, weitestgehend verschont. Unterstellt man einfach mal, dass es sich hierbei um das Glück des Tüchtigen handelt, dann wird es Kimmich ganz sicher auch zu Teil.