Kerry und die Kandidaten
16. Mai 2004Jim Johnson ist unterwegs in geheimer Mission. Der Anwalt, der über ausgezeichnete Kontakte im politischen Washington verfügt, wurde vom Demokratischen Präsidentschaftskandidaten John Kerry mit der Auswahl des Vizepräsidentenkandidaten beaufragt. Rechtzeitig vor dem Nominierungsparteitag der Demokraten im Juli in Boston muss die Entscheidung fallen. Für die Aufgabe ist Johnson genau der richtige Mann. Als ehemaliger Assistent des amerikanischen Vizepräsidenten Walter Mondale weiss er aus eigener Erfahrung, was einen guten Kandidaten ausmacht - und vielleicht noch wichtiger - welche Eigenschaften einen Politiker für das Amt disqualifizieren.
Über den derzeitigen Stand der Suche hüllen sich das Kerry-Team und Johnson offiziell in Schweigen. Dennoch sickerte durch, dass die Vergangenheit von drei möglichen Kandidaten derzeit von Beratern und Anwälten des Such-Kommittees gründlich durchleuchtet wird. Neben Kerrys ehemaligen Herausforderern um die Partei-Nominierung Richard Gephardt und John Edwards ist auch der Gouverneur des Bundesstaates Iowa, Tom Vilsack, im Rennen.
Veteran aus dem Mittleren Westen
Die Vorzüge des Partei-Veteranen Gephardt sind klar: Er verfügt über langjährige Erfahrung im Kongress, hat großen Rückhalt bei den Gewerkschaften und könnte Kerry helfen, die Wahlmännerstimmen seines Heimatstaates Missouri und anderer Staaten mit starker Gewerkschaftslobby wie Ohio zu gewinnen. Gegen Gephardt sprechen seine mangelnde Attraktivität für Wähler im Süden und die Tatsache, dass er seine ganze Karriere "inside the beltway" - also innerhalb der politischen Käseglocke Washington - absolviert hat. Die Wähler schätzen dagegen traditionell eher Politiker, die sich als Außenseiter darstellen und nicht ihr ganzes politisches Leben in der Hauptstadt verbracht haben.
Genau diese Rolle weiß Edwards wie kein zweiter Demokrat zu spielen. Er hat nur eine Amtszeit als Senator für North Carolina auf dem Buckel und kann sich aufgrund seines Aufstiegs vom Arbeiterkind zum millionenschweren Anwalt guten Gewissens als "self-made-man" präsentieren. Zudem verfügt er als einziger Bewerber der Demokraten über die wichtige Fähigkeit von den Bürgern als authentisch und sympathisch wahrgenommen zu werden und stammt aus den womöglich wahlentscheidenden Südstaaten. "He can connect", heißt es bei US-Wahlexperten übereinstimmend über Edwards. Nicht umsonst wird er nicht nur wegen seines Südstaaten-Akzents häufig mit dem früheren Präsidenten Bill Clinton verglichen. Negativ schlägt Edwards geringe Vernetzung in den Partei-Strukturen sowie seine mangelnde außenpolitische Erfahrung zu Buche.
Nominierung als Belohnung
Iowas Regierungschef Tom Vilsack wäre im Gegensatz zu Gephardt und Edwards eine echte Überraschung. Auf nationaler Ebene unbekannt, verfügt Iowa auch nur über sieben Wahlmännerstimmen und votierte ohnehin in den vergangenen vier Präsidentschaftswahlen für die Demokraten. Als wichtigster Grund warum Vilsack überhaupt in die engere Auswahl kam, gilt seine Frau: Iowas First Lady unterstützte Kerry öffentlich bei der Vorwahl in Iowa. Kerry, damals nur Außenseiter hinter Howard Dean, gewann die Wahl und begann seinen Siegeszug zur Nominierung. Er hat daher noch etwas gut zu machen mit seinen Förderern aus Iowa. Allerdings ist fraglich, ob das Amt des Vizepräsidenten dafür die adäquate Belohnung darstellt.
Neben Edwards, Gephardt und Vilsack sind mindestens drei weitere Demokraten im Visier des Kerry-Teams: Der Gouverneur von New Mexico, Bill Richardson, sowie die Senatoren Bob Graham aus Florida und Sam Nunn aus Georgia. Richardson, der bekannteste "Latino-Politiker" der Demokraten könnte die wachsende hispanische Bevölkerungsgruppe mobilisieren und verfügt als ehemaliger UN-Botschafter auch über umfangreiche internationale Erfahrung.
Für Graham und Nunn spricht neben ihrer geographischen Herkunft ihre Erfahrung im US-Senat. Ex-Senator Nunn gilt zudem als einer der profiliertesten Außen- und Sicherheitspolitiker der Demokraten.
Nur einen Herzschlag entfernt
Was auch immer die sonstigen Vorteile der Kandidaten sein mögen, auf eine Grundvoraussetzung achtet der amerikanische Wähler und der Kerry-Beaufragte Jim Johnson besonders. "Der Vizepräsident ist nur einen Herzschlag vom Präsidenten entfernt", lautet der klassische Lehrsatz über die Aufgaben des Vizepräsidenten, der immer noch gilt. Zwar haben die Vizepräsidenten Al Gore und Dick Cheney ihre Rolle sehr aktiv interpretiert, dennoch ist wichtigste Aufgabe, die eines Ersatzspielers. Ein Vizepräsident muss das Zeug zum Präsidenten haben, aber bereit sein, vier Jahre auf der Auswechselbank zu sitzen.