IstGH Kenia
22. Januar 2012Die sechs hochrangigen Politiker und Personen des öffentlichen Lebens gelten als Drahtzieher hinter den Unruhen, die nach den Wahlen am 27. Dezember 2007 mehr als 1000 Tote und Hunderttausende Vertriebene zur Folge hatten. Nach einem knappen Wahlsieg für Präsident Mwai Kibaki, der von Herausforderer Raila Odinga angezweifelt wurde, kam es zu schweren Auseinandersetzungen zwischen Anhängern beider Lager. Auch die verschiedenen Volksgruppen von Kibaki, einem Kikuyu, und Odinga, einem Luo, wurden gegeneinander ausgespielt. Erst am 28. Februar 2008 konnte durch internationale Vermittlung eine politische Einigung erzielt werden, zu der eine Regierungsbeteiligung der Oppositionspartei unter Odinga als Ministerpräsident gehörte.
Warten auf die Entscheidung in Den Haag
In der Anklage, über die der Internationale Gerichtshof am Montag (23.01.2012) zu entscheiden hat, wird drei prominenten Mitgliedern der Oppositionspartei Orange Democratic Movement (ODM) vorgeworfen, die Morde und Vertreibungen von Kikuyu provoziert zu haben. Für die Gegenschläge, die weitgehend von der Polizei durchgeführt wurden, werden drei Mitglieder der Regierungspartei Party for National Unity (PNU) verantwortlich gemacht.
Die große Bekanntheit der sechs Beschuldigten und die Möglichkeit, dass erneut die verschiedenen Volksgruppen mobilisiert werden, schürte immer wieder die Angst vor neuen Unruhen. Schon am vergangenen Montag wurde daher die Präsenz der Polizei in Gegenden, die als besonders gefährdet gelten, verstärkt. Peter Oesterdiekhoff von der Friedrich-Ebert-Stiftung in Kenia, ist aber optimistisch: "Bis jetzt kann man keine sehr große Spannung verspüren", sagt er, "die Erwartung ist eigentlich überwiegend, dass die Bevölkerung die Ergebnisse mit Gelassenheit aufnehmen wird."
Kenianer gegen Straflosigkeit politischer Führungskräfte
Die Fälle waren nach Den Haag vermittelt worden, nachdem wiederholt die Bemühungen, ein nationales Verfahren einzuleiten, im Parlament gescheitert waren. Hier zeigt sich die Brisanz der Situation: Die Mehrheit der Beschuldigten sind politische Größen, die in Kenia viel Einfluss geltend machen können.
Zu den Hauptverdächtigen gehören der ehemalige Wissenschaftsminister William Ruto auf Seiten des ODM und der Wirtschaftsminister und stellvertretende Ministerpräsident Uhuru Kenyatta auf Seiten der PNU. Beide haben angekündigt, bei den Präsidentschaftswahlen 2013 zu kandidieren. Indem sie Ministerpräsident Odinga, einem weiteren aussichtsreichen Kandidaten, vorwarfen, eine Verschwörung gegen sie angezettelt zu haben, sorgten sie für Schlagzeilen. Doch noch immer steht die Bevölkerung weitgehend hinter dem Verfahren.
Dies beobachtet auch Neela Ghoshal, Kenia-Spezialistin für Human Rights Watch: "Alle hier in Kenia wissen, dass es hier eine lange Geschichte der Straflosigkeit gibt, dass jahrzehntelang Politiker im wörtlichen Sinne morden konnten, ohne Konsequenzen fürchten zu müssen." Der Prozess vor dem Strafgerichtshof sei ein Mittel, um damit zu brechen, so Ghoshal. "Ich denke, die meisten würden es begrüßen, wenn die Anklage aufrecht erhalten wird, die Arbeit des Strafgerichtshofs hat großen Rückhalt in der Bevölkerung. Natürlich gibt es auch Gegenstimmen, aber generell ist man der Ansicht, dass dies ein notwendiger Schritt für die Entwicklung Kenias ist."
Sorge vor politischem Tauziehen
Es bleibt abzuwarten, wie die Entscheidung am Montag ausgehen wird. Laut Oesterdiekhoff rechnet man mit einer ausgewogenen Entscheidung. Das würde bedeuten, dass Verfahren gegen Vertreter beider Seiten eingeleitet werden - eine Strategie, die dazu dienen könnte, neuen Spannungen vorzubeugen. Bei einer Bestätigung aller oder einzelner Klagen ist jedoch davon auszugehen, dass die Betroffenen erneut ihre Beziehungen dazu nutzen werden, in der Regierung politischen Widerstand gegen die Ermittlungen zu aktivieren. Neela Ghoshal erklärt: "Viele Kenianer waren empört, wie viele Steuergelder verwendet wurden, damit der Vizepräsident Kalonzo Musyoka afrikanische Länder bereisen konnte, um Unterstützung für ein Aussetzen des Verfahrens durch den UN-Sicherheitsrat zu bekommen. Es könnte in Zukunft mehr dieser legalen und politischen Akrobatik bemüht werden, um die Angeklagten aus der Verantwortung zu ziehen."
In jedem Fall haben Ruto und Kenyatta bereits angekündigt, ihre Kandidatur auch im Falle einer Anklage aufrechtzuerhalten. Ob dies im Sinne der neuen Verfassung ist, ist jedoch strittig. Die Verfassung legt fest, dass die Auswahl für politische Ämter auf Grundlage der persönlichen Integrität geschehen muss. Im Falle einer Anklage wird in Kenia darüber zu entscheiden sein, ob bereits ein laufendes Verfahren ein Ausschlusskriterium ist.
Autor: Philipp Sandner
Redaktion: Katrin Ogunsade