Kein Nachlassen bei Anti-Korruptionskampagne
27. Januar 2015Dicke Luft in Peking, der Stadt des Beamtentums. Chinas Hauptstadt hat den höchsten Anteil an Staatsbediensteten unter den Einwohnern, und das schon seit mehr als 600 Jahren. Von hier aus herrschten die Kaiser in den letzten beiden Dynastien über das Reich der Mitte. Mitte Januar 2015 trafen sich hier die Mitglieder der Zentralen Disziplinkontrollkommission der KP Chinas zur Vollsammlung, also jener gefürchteten Behörde, die gegen korrupte Parteimitglieder ermittelt. Auf ihrer Webseite werden seit dem Antritt der neuen Parteiführung unter Xi Jinping 2013 andauernd neue Fälle bekannt gegeben wie in einer Fernsehserie.
"Null-Toleranz"
Viele Menschen in China träumen vom Job im Dienste des Staats. Dafür müssen sie nach ihrem Uni-Abschluss eine komplizierte Eignungsprüfung bestehen, was durchschnittlich nur zwei Prozent der Anwärter gelingt. Die Besoldung ist zwar bescheiden. Attraktiv machen den Job aber das hohe Ansehen eines solchen "Mandarins", weil er die Macht des Staats ausübt, und die Zusatzverdienste außerhalb des offiziellen Gehalts, die keiner öffentlich zugeben will.
Die Herkunft dieser "Sonderzahlungen" interessieren die Ermittler der Disziplinkontrollkommission. Jeden Tag gehen bis zu 800 Anzeigen bei der Behörde ein. Im Abschlusskommuniqué der Sitzung hieß es: Im Krieg gegen Korruption gebe es "keine Grenze und kein Tabu, aber Null-Toleranz".
Machtkampf der Cliquen?
Nach offiziellen Angaben wurde 2014 gegen 68 hohe politische Beamte ermittelt, unter anderem gegen den früheren Sicherheitschef des Landes Zhou Yongkang und Xu Caihou, einst Vizechef der Zentralen Militärkommission.
Vor allem die öffentliche Anklage gegen Zhou wegen Korruption, Geheimnisverrat, Amtsmissbrauch und vielfachen Ehebruch gilt als Traditionsbruch, denn Zhou war Ständiges Mitglied im Politbüro und damit im innersten Machtzirkel Chinas. Ihm droht nun möglicherweise die Todesstrafe.
Als Saubermann will sich Parteichef Xi präsentieren, der selbst im höchsten Gremium der Partei kein Pardon kennt. Mit Zhou hatte er im Politbüro von 2007 bis 2012 zusammengearbeitet. Mehrere bereits bestrafte Beamte und Manager von Staatsunternehmen hatten mittelbar oder unmittelbar mit Zhou in Verbindung gestanden. Die Moderatorinnen des Staatsfernsehens, denen eine Daueraffäre mit Zhou nachgesagt wurde, verschwanden vom Bildschirm. Steckt hinter dieser Kampagne ein Machtkampf?
Es sei noch zu früh zu behaupten, dass es sich dabei um "die radikale Entmachtung einer bestimmten Herrschaftselite handelt, die zu einer bestimmten Fraktion gehört", glaubt Nora Sausmikat, Programmleiterin China der Stiftung Asienhaus in Köln. Diese Aktionen würden aber auch nicht dazu beitragen, grundlegend etwas an den Ursachen der Korruption im chinesischen System zu ändern.
Diese "Entmachtung" findet in der Partei, in der Regierung und auch im Militär statt, wo solche Skandale normalerweise vor der Öffentlichkeit versteckt werden. Am Donnerstag (15.01.) meldete Xinhua, dass gegen 16 Generäle der chinesischen Streitkräfte "wegen schwerwiegender Verletzung der Parteidisziplin" ermittelt werde.
Selbstmord aus Verzweiflung
Die harte Anti-Korruptionskampagne treibt offenbar viele Funktionäre in die Verzweiflung. Nanfang Zhoumo (Southern Weekly), die kritische Wochenzeitung aus der südchinesischen Stadt Guangzhou, hat im Jahr 2014 32 bekannt gewordene Fälle von Selbstmord durch Staatsbeamte oder Funktionäre aufgelistet. Vermuteter Grund waren Korruptionsermittlungen, wie Reuters berichtet. "Mit dem Selbstmord eines Korruptionsverdächtigen enden normalerweise die Ermittlungen", zitiert Reuters einen ehemaligen Parteifunktionär. "Denn es ist schwierig, an die Vermögenswerte seiner Familie heranzukommen. Mit Selbstmord enden auch die Albträume der Freunde eines solchen korrupten Beamten. Die kümmern sich dann um die Hinterbliebenen."
Bei schweren Korruptionsfällen, die auch strafrechtlich belangt werden können, übergibt die Disziplinkontrollkommission die Fälle an die zuständige Staatsanwaltschaft. Es wird anschließend ein öffentliches Verfahren durchgeführt, dessen Ergebnis intern festgelegt wird. Bei geringerer Schuld werden die betroffenen Mitglieder "nur" aus der Partei ausgeschlossen und ihrer Ämter enthoben.
Wer sein Vermögen verbergen und langfristig sichern wollte, ließ bis Kurzem seine Familienangehörigen ins Ausland auswandern, Aufenthaltsrechte erwerben und dort oder in Steueroasen Briefkastenfirmen gründen. Solche Funktionäre werden als "luo guan" (nackte Beamte) bezeichnet.
Korruption im System verwurzelt
Vor allem die Provinz Guangdong geht seit 2014 gegen die "nackten Beamten" vor. Nach Angaben der Nachrichtenagentur Xinhua haben rund 200 Staatsbedienstete der mittleren Ebene sich bereit erklärt, ihre Familien zurück nach China zu holen. 866 haben eine Strafe in Form einer Herabstufung akzeptiert, neun davon waren Bürgermeister.
Eine Studie des Internationalen Konsortiums investigativer Journalisten (ICIJ) in Washington, an dem unter anderem die „Süddeutsche Zeitung“ beteiligt war, stellte 21.000 Offshore-Firmen in der Karibik mit Verbindungen nach China und Hongkong fest. Tausende von chinesischen Namen tauchen in den vertraulichen Unterlagen auf. Dazu gehören zum Beispiel die Tochter des ehemaligen Ministerpräsident Li Peng, der Sohn des früheren Ministerpräsidenten Wen Jiabao und der Schwager des Staatspräsident Xi Jinping. Schätzungen zufolge wurden seit dem Jahr 2000 Gelder und Firmenanteile im Wert von bis zu vier Billionen Dollar aus der Volksrepublik verschoben. Zum Vergleich: Ein normaler Bürger darf ohne besonderen Grund jährlich nur 50.000 US-Dollar von China ins Ausland überweisen.
Kann der Korruption der "Fliegen" (normale Funktionäre) und der "Tiger" (prominente Funktionäre) Einhalt geboten werden? "Effektive Aufsicht durch unabhängige Medien und echte Bürgerbeteiligung" seien unabdingbar, meint etwa Transparency International. China-Expertin Sausmikat ist skeptisch, dass eine effektive Vorbeugung in der gegenwärtigen Struktur funktionieren kann. "Das ganze System ist auf Mechanismen aufgebaut, die die Korruption unterstützen. Es gibt keine unabhängige Institution, die die Politiker und die politischen Institutionen überwachen kann."