Kein Grund zur Panik auf der Berlinale
12. Februar 2015Zehn Tage lang Filmpremieren, Pressekonferenzen, Workshops, Stars und Sternchen, Messen, Partys, Afterfilm-Partys und After-Afterfilm-Partys. Ein Klon wäre jetzt eine gute Sache, besser 40 Klone. Auf der diesjährigen Berlinale werden gigantische 441 neue Filme gezeigt, und die allermeisten werde ich verpassen.
Die meisten Menschen hier sind vollkommen auf den roten Teppich fixiert: welche VIPs sind in Berlin, wer ist mit wem aufgetaucht, wer trägt welches Label und wohin gehen sie alle in ihren teuren Klamotten zum Dinner?
Das Sahnehäubchen 2014 war der Auftritt von George Clooney. Dieses Jahr ist er wohl zu sehr mit seinem Liebesleben beschäftigt, um sich hier zu zeigen. Kein George in Sicht, und mehr als zwei Prozent der Filme schaffe ich nicht - also habe ich mir vorgenommen, mich dieses Jahr auf die Suche nach außergewöhnlichen Filmen zu konzentrieren.
Regie per Skype
"Berlin, I Love You" - der Livestream des chinesischen Konzeptkünstlers Ai Weiwei fällt sofort ins Auge. Die Regierung zog seinen Pass ein und verbat ihm, das Land zu verlassen, also überlegte er sich einen anderen Zugang zur Berlinale.
Die Regieanweisungen für seinen Kurzfilm gab Ai Weiwei kurzerhand über Skype und Telefon aus China, und das Ergebnis konnte man live auf einer Videoleinwand am Potsdamer Platz beobachten.
"In dem Film geht es um meinen Sohn. Er lebt seit August in Berlin, und ich kann ihn nicht besuchen", erklärt der Regisseur im Interview mit "The Hollywood Reporter." Der sechsjährige Ai Lao spielte im Film sich selbst, sein Vater führte aus der Ferne Regie und in Berlin sorgte der Produzent Claus Clausen am Set dafür, dass alles gut lief.
In der Reihe "Berlinale Shorts" präsentiert der Indonesier Wregas Bhanuteja, mit 22 Jahren der jüngste Regisseur der Filmfestspiele, mit "Lembusura" einen Film über einen Dämonen, der in einem Vulkan auf der Insel Java lebt.
Auf der Berlinale gibt es allerdings nicht nur kurze Filme, sondern auch extrem kurze Titel. Zum Beispiel die argentinisch-amerikanische Koproduktion "H" im experimentellen Forum. Der Beitrag des bilateralen Regiepärchens Rania Attieh und Daniel Garcia ist eine zeitgenössische Neuinterpretation der griechischen Sage um die schöne Helena.
'Starke Frauen in extremen Situationen'
Einen Mangel an Frauen gibt es auf dieser Berlinale ganz bestimmt nicht. 'Starke Frauen in extremen Situationen', so fasst Berlinale-Direktor Dieter Kosslick die weibliche Seite des Festivals zusammen - und darunter befinden sich zahlreiche Hollywoodgrößen.
Ab in die Wüste heißt es für Nicole Kidman als englische Forschungsreisende und Spionin Gertrude Bell. Kidman ist in fast jeder Szene von Werner Herzogs neuem Werk "Queen of the Desert" zu sehen. In Isabel Coixets "Nobody Wants the Night" - der Film lief bereits vergangene Woche an - spielt Juliette Binoche die Frau des Polarforschers Robert Peary.
Nicht zu vergessen Cate Blanchett und Natalie Portman in Terrence Malicks romatischem Fantasyfilm "Knight of Cups". Die Hauptrolle spielt Christian Bale, aber der passt nicht in die Kategorie 'Starke Frauen in extremen Situationen'.
Frauen waren auch hinter der Kamera äußerst präsent: 155 der diesjährigen Filme wurden von Frauen produziert, bei 115 führten Frauen Regie.
Das Internet ist immer dabei
Auf meiner Suche nach ungewöhnlichen Beiträgen musste ich letztlich nicht weiter schauen als auf das Display meines Smartphones: ein blick auf Twitter, Facebook, Instagram und YouTube, und man entdeckt ständig etwas überraschend Neues.
Neu ist auch BerlinaleMoments, hier finden sich unter #Berlinale and #BerlinaleMoments die besten Posts.
"Du weißt, dass Du auf einem Festival bist, wenn ein hastig verschlungener Blaubeermuffin auf dem Weg zum Kino Dein Frühstück und Mittagessen sind" - dieser Post hat meines Erachtens den Nagel auf den Kopf getroffen.
Der Sprint ins Kino ist ja schlimm genug, aber wenn man dann noch vergisst, was man eigentlich sehen wollte …das könnte ein Fall für den Psychiater sein. Vielleicht sollte ich das mal auf BerlinaleMoments posten.
Episode Eins
Genauso verrückt finde ich die Gespräche, die sich momentan immer um Fernsehserien drehen. Da komme ich nicht mehr mit. Im Büro, beim Mittagessen, auf Facebook: alle reden über "House of Cards", "Game of Thrones" und andere Serien, die ich unbedingt sehen soll.
Da muss ich mich wirklich ranhalten, vor allem da sich Serien-Formate laut Berlinale-Organisatoren zu einer "essentiellen Komponente der audiovisuellen Kultur" entwickelt haben. Im Gegensatz zu mir ist die Berlinale über Trends auf dem Laufenden und Serien-Formate werden dieses Jahr heftig gefeiert. "Better Call Saul" und "Bloodline" aus den USA, "Blochin" aus Deutschland und "False Flag" aus Israel feiern auf der Berlinale Premiere.
Das ist irgendwie beruhigend. Wenigstens gibt es dann die TV-Serien, demnächst, wenn nichts Besonderes im Kino läuft, die Stars in ihren Designeroutfits verschwunden, der rote Teppich eingerollt und die Panik wegen Partys und Afterpartys vorbei ist.