Kein Gehalt, kein Vertrag, keine Lobby
17. April 2020Eigentlich sollte die kolumbianische Frauenfußball-Liga Mitte April in ihre vierte Saison starten. Bis März lief wie geplant die Vorbereitung, doch die neue Spielzeit wurde - wie die meisten anderen Sportereignisse weltweit - im Zuge der Maßnahmen der kolumbianischen Regierung gegen die Verbreitung des Coronavirus abgesagt. Dabei war der Saisonstart von Kolumbiens Fußballfrauen nach Streitigkeiten mit Jorge Enrique Vélez, Präsident der kolumbianischen Fußball-Liga "Dimayor" zuvor mühsam erkämpft worden.
Der kolumbianische Frauenfußball ist nach Ansicht der Liga wirtschaftlich unrentabel und mit keinem funktionierenden Geschäftsmodell ausgestattet. Dennoch konnten Spielervertretung und Liga letztlich eine grundsätzliche Einigung zur Durchführung der neuen Saison erzielen. Ungeklärt blieben dabei aber Terminierungen und andere organisatorische Fragen, was wiederum dazu führte, dass viele Spielerinnen zum Zeitpunkt der Absage nicht mit gültigen Verträgen ausgestattet waren.
Santa Fe ruft Vizepräsidentin auf den Plan
Als einzige Klubs haben die Erstligisten Atletico Nacional, América de Cali und Independiente Santa Fe ihre Spielerinnen mit einer Vertragslaufzeit von zwölf Monaten ausgestattet. Alle anderen Klubs schließen die Verträge mit ihren Spielerinnen nur für die jeweilige Dauer von Vorbereitung und Saison. In einer Pressemitteilung verkündete der Klub aus Santa Fe, der ein Männer- und ein Frauen-Team hat, dass "die Gehälter für die Herrenmannschaft und die Verwaltungsbeamten teilweise weitergezahlt" werden. Die Arbeitsverträge der Spielerinnen werden laut Klub jedoch "einvernehmlich ausgesetzt". Der Klub wolle stattdessen "Hilfe zur Deckung des lebenswichtigen Mindestbedarfs" gewähren, um so zu helfen, "die schwierige Situation zu überwinden".
Kolumbiens Vizepräsidentin Marta Lucia Ramirez ist entsetzt. "Ich möchte Ihnen mit diesem Schreiben mein Unverständnis für die Entscheidung, die im Angesicht des aktuellen Gesundheitsnotstands aus meiner Sicht willkürlich getroffen wurde, mitteilen", schreibt Ramirez in einem offenen Brief und wirft dem Klub darin fehlende Gleichberechtigung und Diskriminierung vor. Santa-Fe-Profi Gabriela Huertas verteidigte ihren Klub anschließend im Gespräch mit einem kolumbianischen Radiosender: "Wir wurden für die Zeit, in der wir trainiert haben, inklusive dem kompletten März bezahlt. Die Verträge werden jetzt zwar für einen oder zwei Monate ausgesetzt, aber das wird im Nachhinein ausgeglichen."
Ohne soziale Absicherung
Sarah Castro von der Tageszeitung "AS Colombia" beschreibt die Situation als Folge eines grundsätzlichen Problems: "Der kolumbianische Fußballverband und die Liga Dimayor schützen in dieser Situation die schwächste Gruppe im kolumbianischen Fußballgeschäft, nämlich die Frauen, nicht. Gleichzeitig bekommen die Klubs aber Anerkennung dafür, dass sie mit finanziellen Hilfen Verantwortung für ihre Spieler übernehmen, obwohl es sich dabei tatsächlich um sehr wenig Geld handelt. In Kolumbiens Gesellschaft ist die Annahme, dass Frauen kein Einkommen erwirtschaften, tief verwurzelt", sagt Castro und erklärt: "Es wird erwartet, dass sie einfach dankbar dafür sind, als Teil eines großen Klubs gesehen zu werden. Finanziell unterstützt wird der Frauenfußball in Kolumbien aber, wenn überhaupt, nur symbolisch. Als die Krise kam, realisierten wir, dass nur drei Klubs überhaupt Verträge mit ihren Spielerinnen geschlossen haben. Der Rest trainierte ohne gültigen Vertrag und wurde anschließend ohne jegliche soziale Absicherung einfach nach Hause geschickt." Liga-Präsident Vélez habe in diesem Fall laut Castro auf die "fehlende rechtliche Handhabe" seitens der Dimayor hingewiesen und betont, dass er "nichts machen" könne.
Keine Gleichberechtigung in der Krise
Laut einem Bericht der kolumbianischen Spielervertretung "ACOLFUTPRO" leben in Kolumbien aktuell acht minderjährige Spielerinnen bei ihrem Trainer. Eine Vereinbarung zwischen dem Klub Millonarios FC aus Bogota und seinen Spielerinnen wurde wieder aufgehoben. Für alle Trainingseinheiten bis zu diesem Zeitpunkt seien Gehälter gezahlt worden, ließ der Klub wissen. Seitdem stehen die Spielerinnen ohne weiteres Abkommen mit dem Klub da.
Orianica Velasquez berichtet, dass der Klub Atlético Junior aus der kolumbianischen Stadt Barranquilla seinen Spielerinnen in Kürze ein Angebot vorlegen will. "Es gibt aktuell keine gültigen Verträge und auch keinen konkreten Zeitplan, wann die Spielerinnen neue Verträge unterzeichnen können. Ich war bei den Verhandlungen dabei, als die Krise plötzlich alles stoppte. Bislang hat der Klub uns die Hälfte des vereinbarten Gehalts gezahlt, jetzt warten wir ab, ob sie uns den Rest in Essensmarken auszahlen oder unsere Mieten übernehmen werden", sagte die Goldmedaillengewinnerin mit Kolumbiens Frauennationalmannschaft bei den Panamerikanischen Spielen 2019 der DW.
Fußballerinnen verdienen in Kolumbien im Durchschnitt umgerechnet 236 Euro pro Monat, im besten Falle sind es etwa 700 Euro. Medienberichten zufolge erhält der bestbezahlte männliche Spieler von Independiente Santa Fe umgerechnet etwa 40.000 Euro monatlich. "Es gibt Gerüchte darüber, dass die Frauen-Liga komplett eingestellt werden könnte. Wir wissen, dass wir Fußballerinnen das schwächste Glied in der Kette sind, insbesondere wenn sich die Vereine so wie jetzt in einer schwierigen finanziellen Situation befinden", sagt Orianica Velasquez.