Kein Ausbau der EU-Türkei-Zollunion
27. Juni 2018Zwei Tage nach der Wiederwahl des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan haben die EU-Staaten offiziell beschlossen, mit dem Land vorerst keine Verhandlungen über eine Ausweitung der Zollunion aufzunehmen. Die Türkei habe sich zuletzt weiter von der Europäischen Union wegbewegt, heißt es in einer bei einem Ministertreffen in Luxemburg verabschiedeten Erklärung der Europäischen Union. Vor allem die anhaltenden Rückschritte bei Rechtsstaatlichkeit, Grundrechten und Meinungsfreiheit seien zutiefst besorgniserregend. Das Vorgehen gegen Journalisten, Akademiker, Menschenrechtler, Oppositionspolitiker und Nutzer sozialer Medien könne nicht geduldet werden.
Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte bereits vor Monaten deutlich gemacht, dass sie in der derzeitigen Lage kein Mandat für Verhandlungen über den Ausbau der Zollunion erteilen wolle. Eine offizielle gemeinsame Positionierung der EU-Staaten gab es dazu aber bisher nicht.
Würde der freie Warenverkehr, ohne Zölle und Beschränkungen, wie es bisher geplant war, auf den Agrar- und Dienstleistungssektor ausgedehnt, hätte das für die Türkei voraussichtlich massive Vorteile. Der Ausbau der Wirtschaftsbeziehungen der EU war bislang immer eines der Kernanliegen der Regierung in Ankara gewesen. Wie die Türkei auf die EU-Erklärung und das offizielle Nein zu Gesprächen über die lange geplante Vertiefung der seit 1995 existierenden Zollunion reagieren wird, war zunächst unklar.
Türkei bleibt weiter Kandidat für EU-Beitritt
Forderungen Österreichs nach einer offiziellen Beendigung der EU-Beitrittsverhandlungen fanden trotz der aktuellen Situation keine Mehrheit. In der Erklärung wird jedoch noch einmal deutlich gemacht, dass nur nach grundlegenden Änderungen in der Türkei Fortschritte bei den Beitrittsgesprächen erzielt werden können. Die Türkei bleibe zwar "Beitrittsland", die Verhandlungen dazu seien aber "praktisch zum Stillstand gekommen".
Die Türkei ist seit 1999 Beitrittskandidat. Seit 2005 gibt es offizielle Beitrittsverhandlungen. Das Verhältnis hat sich nach dem gescheiterten Militärputsch von Mitte 2016 aber massiv verschlechtert. Wegen der folgenden Massenverhaftungen von Kritikern Erdogans beschlossen die EU-Staaten im Dezember 2016, die Beitrittsverhandlungen nicht mehr auszuweiten. Im November 2017 wurden auch die Finanzhilfen für Ankara im Zusammenhang mit dem Beitritt gekürzt.
Oberste Priorität für den Flüchtlingsdeal
Als ein Grund für das grundsätzliche Festhalten am EU-Kandidatenstatus der Türkei gilt die Migrationskrise. Der Entzug des Status könnte aus Sicht vieler Staaten den Flüchtlingspakt mit dem Land gefährden. Er gilt als Basis dafür, dass derzeit deutlich weniger Migranten nach Europa kommen als auf dem Höhepunkt des Flüchtlingszuzugs über die Ägäis und die Balkanroute 2015.
Ankara hatte der EU im März 2016 zugesichert, alle Migranten, die illegal über die Türkei auf die griechischen Inseln kommen, zurückzunehmen und gegen Schlepperbanden vorzugehen. Dies führte zu einem drastischen Rückgang der Ankunftszahlen in Griechenland. Im Gegenzug sagte die EU sechs Milliarden Euro zur Versorgung der Syrien-Flüchtlinge in der Türkei zu.
qu/kle (dpa, afp)