Kaum Urteile nach Kölner Übergriffen
7. Dezember 2016Younes A. ist Marokkaner, er ist ein junger Mann, er lebt in Deutschland und er wurde nach den Ereignissen in der Kölner Silvesternacht verurteilt. Allerdings nicht wegen eines sexuellen Übergriffs, sondern wegen eines Handydiebstahls.
Sein Opfer, eine 22-Jährige aus Baden-Württemberg, war auch sexuell bedrängt worden. Younes A. habe zudem in unmittelbarer Nähe gestanden, so die junge Frau während des Prozesses vor dem Kölner Amtsgericht, allerdings kommen in ihrem Fall mindestens vier Männer in Betracht, die sie unsittlich berührt haben könnten.
Der Fall von Younes A. wirft ein Schlaglicht darauf, wie schwierig der Umgang mit Straftätern wie solchen aus der Kölner Silvesternacht ist. Zum Jahreswechsel hatten Hunderte Männer, nach Zeugenaussagen vor allem mit nordafrikanischem und arabischem Aussehen, Frauen am Kölner Hauptbahnhof eingekreist, bedrängt und bestohlen.
Bis Anfang Dezember wurden nach Angaben der Staatsanwaltschaft 1222 Strafanzeigen bearbeitet, 513 davon beziehen sich auf den Vorwurf eines sexuellen Übergriffs. Dazu zählen sexuelle Nötigungen, "sexuell motivierte" Beleidigungen und auch Vergewaltigungen.
Debatte um verschärftes Sexualstrafrecht angeschoben
Die Aufarbeitung der meisten Fälle ist schwierig. Die Zustände in der Nacht waren chaotisch, die Situation unübersichtlich, der Nachweis für eine Straftat, trotz über 600 Stunden Videomaterial, oft unmöglich. Von insgesamt 267 Verfahren wurden 124 inzwischen wieder eingestellt, allein 80, weil sich laut Staatsanwaltschaft kein hinreichender Tatverdacht begründen ließ.
Trotz dieser mageren Bilanz hatten die Anzeigen und die öffentliche Debatte über die Ereignisse ihre Wirkung auf politischer Ebene nicht verfehlt. Im Jahr 2015 hatte das Justizministerium einen Gesetzentwurf zum Sexualstrafrecht in Deutschland erarbeitet. Der Entwurf dümpelte vor sich hin, dann kam die Kölner Silvesternacht und plötzlich ging alles ganz schnell: Anfang Juli 2016 wurde nach heftigen Debatten im Bundestag ein neues Gesetz verabschiedet.
Galt vor der Reform, dass Berührungen unter der Kleidung erfolgen mussten, um als sexuelle Beleidigung zu gelten, so wird der Täter nun schon belangt werden können, wenn er das Opfer "in sexuell bestimmter Weise körperlich berührt und dadurch belästigt". Es können nun also auch Berührungen über der Kleidung bestraft werden. Wie das Gesetz letztlich ausgelegt wird, muss sich allerdings erst zeigen.
Während der Silvesternacht kam es zu zahlreichen Übergriffen aus Männergruppen heraus. Daher wurde ein Passus in das Gesetz eingearbeitet, wonach jeder, der sich "an einer Personengruppe beteiligt, die eine andere Person zur Begehung einer Straftat bedrängt", für sexuelle Übergriffe bestraft werden kann, auch wenn er diese Taten nicht selbst begangen und keinen Vorsatz gehabt hat.
Zudem wurde das Prinzip "Nein heißt Nein" in Gesetzesform gegossen. Musste das Opfer sich bisher tätlich zu Wehr setzen, massiv bedroht werden oder in einer objektiv schutzlosen Lage gewesen sein, so ist der Straftatbestand nun erfüllt, wenn sich der Täter über den "erkennbaren Willen" seines Opfers hinwegsetzt, um mit einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren bestraft zu werden.
Kaum Prozesse im Zusammenhang mit sexuellen Übergriffen
All diese Gesetzesänderungen werden bei der Beurteilung der Fälle aus der Kölner Silvesternacht keine Rolle spielen, da es das neue Gesetz zum Zeitpunkt der Übergriffe noch nicht gab. Genau wie bei Younes A. geht es, entgegen der öffentlichen Wahrnehmung, in den meisten Verfahren nicht um sexuelle Übergriffe. Nur bei 87 von insgesamt 333 namentlich Ermittelten hat der Vorwurf eines sexuellen Übergriffs bisher eine Rolle gespielt.
Florian Storz ist der Anwalt von Younes A. Schon während des Prozesses hatte er eindringlich vor Verallgemeinerungen gewarnt und hinsichtlich seines Mandanten gleichzeitig kein Blatt vor den Mund genommen: "Diese arme Wurst hat ein Verbrechen begangen. Das ist ganz klar." Allerdings, so der Kölner Jurist, könne sein Mandant nicht stellvertretend für alle Übergriffe verantwortlich gemacht werden.
Im Fall Younes A. verfing der eindringliche Appell des Anwalts nicht. Younes A. und 23 andere sind bisher wegen Delikten in der Kölner Silvesternacht verurteilt worden und stehen damit besonders in der öffentlichen Wahrnehmung. Mit sechs Monaten und zwei Wochen auf Bewährung hat sein Strafmaß das in diesen Fällen übliche weit überstiegen.