Kaum bekannt: Pakistans überraschende Solar-Revolution
27. November 2024Der Ausbau der Solarenergie in Pakistan gleicht einer Explosion: Allein im Jahr 2024 wird das Land seine Solarkapazität schätzungsweise um 17 GW erhöhen – das entspricht mehr als einem Drittel der gesamten Kapazität der Stromerzeugung. Möglich wird das durch sehr billige Solartechnologie aus China, die ins Land importiert wird.
Pakistans Solarausbau sei "wahrscheinlich der extremste, der in jemals in einem Land in dieser Geschwindigkeit stattgefunden hat", sagt Dave Jones, der als Energieanalyst bei der britischen Denkfabrik Ember die globale Energiewende verfolgt. Laut Jones' Team wird das Entwicklungsland Pakistan neben großen, reichen Volkswirtschaften wie China, den USA und Deutschland zu den führenden Ländern bei der Installation von Solaranlagen gehören.
Doch Hauptreiber des Solarausbaus ist nicht etwa der pakistanische Staat, es sind die privaten Verbraucher, die Unternehmen und die Industrie. Alle wollen die günstige, erneuerbare Sonnenkraft möglichst schnell als Alternative zur unberechenbaren und teuren staatlichen Energieversorgung nutzen und installieren eigene Solaranlagen.
Das unzuverlässige pakistanische Stromnetz ist durch schlechte Infrastruktur und Unterversorgung geprägt. Millionen von Menschen müssen mit der ständigen Unsicherheit leben, ob sie dann wirklich Strom haben, wenn sie ihn brauchen. Der russische Angriffskrieg in der Ukraine hat die Energiepreise ebenso in die Höhe steigen lassen wie überhöhte Investitionen in Wärmekraftwerke. Für Kredite des Internationalen Währungsfonds musste die Regierung zudem die staatlichen Energiesubventionen kürzen.
Es ist unklar, wie viel Solarkapazität bis Ende 2024 genau installiert sein wird, da staatliche Stellen angesichts des Tempos der privat betriebenen Umstellungnicht alles dokumentieren können. Aber für Haushalte im ganzen Land bringt die Energiewende schon jetzt eine Erleichterung. "Jetzt ist es für die Menschen in Pakistan kein Problem mehr, Strom für ihren Tagesbedarf zu produzieren", berichtet Jones.
Solarstrom von Pakistans Dächern: Lebensretter bei Hitzewellen
Als Shafqat Hussains Mutter während eines 28-stündigen Stromausfalls, der mit einer Hitzewelle zusammenfiel, fast starb, beschloss er, sich das zunutze zu machen, was seine Mutter fast das Leben gekostet hatte: die Sonne.
"In diesem Land gibt es keine Alternative", sagt Hussain, der mit seinen drei Kindern, seiner Frau und seinen Eltern im Zentrum von Islamabad lebt.
Die Stromausfälle seien vor allem in den Sommermonaten ein großes Problem", erzählt Hussain. "Wenn du keinen Strom hast, kannst du die Klimaanlage vergessen. Ihre Ventilatoren funktionieren nicht. Die Kühlschränke sind nicht in Betrieb. Man hat nicht einmal kaltes Wasser zu trinken."
Hussains Mutter musste zwei Tage im Krankenhaus bleiben, um sich von dem Hitzschlag zu erholen, den sie an jenem heißen Sommertag ohne Strom im Haus erlitten hatte. Nach diesem Schlüsselerlebnis beschloss Hussain, Sonnenkollektoren auf seinem Dach zu installieren. Ein Kollege empfahl ihm, bei einem lokalen Unternehmen zu kaufen, das die Paneele aus China importierte.
Seitdem sank die Stromrechnung der Familie um etwa 80 Prozent, einen Stromausfall gab es nicht mehr. Sie freuten sich jetzt über das "neu gewonnene Gefühl an Sicherheit", sagt Hussain.
Pakistanischer Solar-Boom bereitet dem Stromnetz Schwierigkeiten
Der Solar-Boom bringt Pakistan auf einen besseren Weg, sein angestrebtes Klimaziel von 60 Prozent Erneuerbarer Energie bis 2030 zu erreichen. Doch der massive Ausbau der Solarkraft bringt auch Komplikationen mit sich.
Da immer mehr Menschen ihren eigenen Energiebedarf tagsüber mit Solarstrom decken, ist der Nachfrage an Strom aus dem Netz erheblich zurückgegangen. Und das bereitet den Betreibern des wichtigsten nationalen Stromnetzes erhebliche Probleme.
"Die Kraftwerke wurden so geplant und finanziert, dass sie eine Mindestanzahl von Stunden laufen", erklärt Energieexperte Jones. Da diese Mindeststunden nicht mehr verbraucht werden, werde der Strom für die verbleibenden Verbraucher erheblich teurer, so Jones. Zudem führe die gesunkene Nachfrage auch zu grundsätzlichen Problemen im Netz, da die Betreiber nur schwer vorhersagen könnten, wie viel Energie sie wann liefern müssten.
Sollte die pakistanische Regierung diese Auswirkungen des privaten Solar-Booms als zu störend einstufen, könnte das den Aufschwung abwürgen, warnt Jones. "Es besteht die Gefahr, dass Pakistan ein generelles Verbot für weitere Solaranlagen verhängt."
Sinkende Herstellungskosten beflügeln chinesische Solarexporte
Die Solar-Revolution in Pakistan ist nur möglich, weil die Kosten für Solarmodule drastisch gesunken sind. Allein in den letzten 15 Jahren hat sich ihr Preis um 90 Prozent verringert. Die meisten billigen Solarmodule werden von China verkauft, dem weltweit führenden Hersteller von Photovoltaikmodulen. Innerhalb von vier Jahrzehnten hat sich die Solarenergie in den meisten Ländern der Welt von einer der teuersten zu einer der billigsten Stromquellen entwickelt.
Pakistan ist nicht das einzige Land, das die kostengünstige Alternative nutzt. Im Laufe des Jahres 2024 beobachtete Jones' Team bei Ember eine hohe Zahl chinesischer Solarexporte nach Saudi-Arabien, auf die Philippinen, in die Vereinigten Arabischen Emirate, nach Thailand, Südafrika und Oman.
"Sie ist transformativ und erschwinglich", sagt Azeem Azhar über die Solartechnologie. Der Autor, Unternehmer und Gründer der Technologie-Forschungsgruppe Exponential View vergleicht den exponentiellen Kostenrückgang der Solartechnologie mit der Revolution in der Computertechnik in den 1980er Jahren. "Was wir damals sahen, war eine Ausbreitung der Computertechnik in allen unseren Volkswirtschaften sowie eine Demokratisierung dieser Technologie", so Azhar.
Die nächste Schwelle der pakistanischen Energiewende werde die Batteriespeicherung sein, prognostiziert Azhar. Während Solarmodule tagsüber Strom erzeugen können, würden Batterien es den Haushalten ermöglichen, Energie für den nächtlichen Gebrauch zu speichern.
"Wir haben die Preise für Batterien noch nicht so weit gesenkt, dass wir uns auf die Batteriespeicherung verlassen können. Aber das wird in den nächsten Jahren geschehen. Die Preise für Batterien werden sehr, sehr stark sinken", so Azhar.
Dieser Artikel ist eine Auskopplung aus einer Folge des DW-Podcasts Living Planet. Hier geht es zur Podcast-Version (englisch) : Die versteckte Solarrevolution, die Experten verblüfft
Adaption aus dem Englischen: Jeannette Cwienk