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Katia und Marielle Labèque - Die ungleichen Schwestern

5. Dezember 2007

Künstler des Monats Katia und Marielle Labèque am 6. Januar und am 20. Januar jeweils um 21.00 Uhr MEZ

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Katia und Marielle LabèqueBild: Brigitte Lacombe

Karneval im Dschungel. Tierisch verkleidete Kinder in einer fantasievoll-farbigen Dekoration. Und ein schillernder Dino, der trotz eindrucksvoller Zahnreihen keinem der kleinen Zuschauer Angst macht. Mitten im bunten Treiben sitzt an zwei großen Konzertflügeln ein weltbekanntes Duo, das gemeinsam mit Musikern im Alter von zwölf bis 16 Jahren Camille Saint-Saëns’ „Karneval der Tiere“ interpretiert, unterbrochen von Schülerinnen und Schülern, die dazu selbst verfasste Texte vortragen, die sie zuvor in Workshops mit einem jungen Schriftsteller entwickelt haben. Das Education-Programm des Klavier-Festival Ruhr erlebt einen Höhepunkt. Und es setzt dabei erneut auf Katia und Marielle Labèque.

„Es ist sehr wichtig, sich um Education-Programme zu kümmern“, sagt Katia Labèque, „an allem, was in diese Richtung geht, nehmen wir teil, und wir genießen es jedes Mal. Dabei wollen wir mit unseren Projekten nicht nur Kinder erreichen, sondern auch Erwachsene, die nicht so vertraut sind mit Musik. Wir versuchen, den Besucherkreis auszuweiten. Nicht, weil wir das ,klassische‘ Publikum nicht mögen. Aber wir wollen auch andere Publikumsschichten in die klassischen Konzerte bringen.“

Ob „Zukunft@BPhil“ – das Jugendprogramm der Berliner Philharmoniker –, der Konzertzyklus des Wiener Musikvereins für Kinder und Jugendliche oder das Education-Projekt des Klavier-Festival Ruhr – die Schwestern Labéque stellen ihren prominenten Namen und sich selbst gern in den Dienst der guten Sache. Übrigens auch bei Aktionen, die eher hinter den Kulissen ablaufen und nicht so öffentlichkeitswirksam sind wie ein Kinderkonzert: „Wir haben im letzten Sommer beim Klavier-Festival Ruhr damit begonnen, eine Gruppe von jungen Leuten über einen längeren Zeitraum in ihrer Entwicklung zu begleiten“, erzählt Katia Labèque. „Wir hören ihnen zu, geben Ratschläge, nicht wie Lehrer, sie haben alle welche. Aber sie lernen durch den Kontakt mit uns das Leben von Künstlern kennen. Als wir etwa ,Les Noces‘ von Strawinsky in der Kölner Philharmonie gespielt haben, kamen dieselben Kinder zu den Proben, waren auch hinter der Bühne mit uns zusammen.“

Katia und Marielle Labèque
Bild: Brigitte Lacombe

Für Katia und Marielle Labèque selbst – 1950 und 1952 im baskischen Hendaye geboren – war es geradezu unausweichlich, das Leben einer Künstlerin kennen zu lernen. Denn ihre aus Italien stammende Mutter, Ada Cecchi, war selbst Pianistin, Schülerin von Marguerite Long, die wiederum zu den bedeutendsten französischen Klavierpädagogen des 20. Jahrhunderts zählt. „Es gab immer Musik in unserem Haus, auch Oper“, erinnert sich Marielle an die Kindheit. „Und das war fantastisch, weil wir in der Musik gelebt haben. Es ist nicht so gut, wenn man seinen Lehrer nur einmal die Woche sieht. Das Klavier war immer da, Musikmachen war für uns etwas ganz Natürliches.“ Ihre Schwester Katia ergänzt: „Ich war vier Jahre alt und Marielle fünf, als wir den ersten Klavier-Unterricht erhielten. Unsere Mutter hatte eine sehr liebevolle Haltung, war aber auch sehr streng. Es gab eine Menge Disziplin. Und ich danke ihr sehr dafür.“ Der Weg zur professionellen Musikausübung führte über das Pariser Konservatorium, wo die beiden bei Lucette Descaves studierten. 1968 – nachdem jede der Schwestern das Studium dort mit einem Ersten Preis abgeschlossen hatte – arbeiteten sie als Duo mit Jean Hubeau.

Erste Aufmerksamkeit erregten sie 1970, als sie mit dem Komponisten als Produzenten Messiaens „Visions de l’Amen“ aufnahmen. Es folgten weitere Einspielungen für Erato, außerdem für Philips, EMI und Sony, wobei sie einerseits den üblichen Klavierduo-Katalog abarbeiteten, andererseits aber immer wieder auch Raritäten und Neuheiten vorstellten. Besondere Erfolge feierten sie als Gershwin-Interpreten, von dem sie fast alle bedeutenden Orchesterwerke auch in Fassungen für zwei Klaviere eingespielt haben. „Ich bete diesen Komponisten an“, verdeutlicht Katia Labèque – übrigens im Interview wie auf der Bühne impulsiver als die ruhigere, nachdenklichere Marielle –, welchen Stellenwert Gershwin bis heute für die beiden besitzt.

Qualitativ können bereits die frühen Gershwin-Aufnahmen neben jenen von Bernstein, Prévin oder Tilson Thomas bestehen. Neben der musikalischen Homogenität der Gesschwister ist es vor allem der Begriff der Vitalität, der den Stil der Labèques am besten umschreibt. Rhythmische Intensität, eine Freiheit der Artikulation, die Gershwins Herkunft aus dem Jazz deutlich macht wie selten, schließlich auch eine große Portion Virtuosität zeichnen das Duo aus. Das perkussive Element kommt in diesen frühen Einspielungen stark zur Geltung. Als Beispiel dafür können neben den Gershwin-Alben auch ihre äußerst temperamentvolle Aufnahme des Poulenc-Konzerts oder ihre Bartók-CD gelten. Letztere wird auch dadurch interessant, dass sie neben der populären Sonate für zwei Klaviere und Schlagzeug noch Bartóks Bearbeitung des Werkes für zwei Klaviere, Schlagzeug und Orchester beinhaltet.

Die Pianistinnen selbst sehen ihre älteren Aufnahmen heute eher skeptisch, nehmen gerade vieles für das vor kurzem gegründete eigene Label KML Recordings neu auf. „Wenn ich heute die älteren Aufnahmen höre“, so Marielle Labèque, „die immer noch verkauft werden, aber ganz weit weg sind von dem, wie wir heute spielen, dann möchte ich sie am liebsten alle selbst aufkaufen und alles neu machen. Wir haben uns definitiv viel verändert, wir haben in der Zwischenzeit viel Barockmusik gespielt, mit Giovanni Antonini, Reinhard Goebel und John Eliot Gardiner gearbeitet, und das hat ernorm viel gebracht. Wenn man zuerst ältere Aufnahmen und dann die neuen von uns hört, meint man, das sei nicht dasselbe Stück.“ Eine der größten Gefahren als Pianist sei, sagt Katia Labèque, dass man am Ende nur noch noch mechanisch spiele. „Aber die Musik ist nicht so. Man muss organisch spielen. Aber man muss genauso nachdenken – und frei sein. Um diese Freiheit zu erreichen, müssen wir daran arbeiten. Es kann nicht nur darum gehen, laut und schnell zu spielen. Wir haben vor zwanzig Jahren sehr laut und sehr schnell gespielt. Und wir können es sicherlich immer noch. Musikalisch war das einfacher. Aber wenn man sich die Zeit nimmt, über etwas nachzudenken, geht man viel mehr Risiken ein.“

So gibt es unter den zahlreichen frühen Einspielungen des Klavierduos eigentlich nur eine einzige, welche die beiden herzlich gern auf dem eigenen Label veröffentlichen würden: „Das Berio-Konzert“, sagt Marielle Labèque. „BMG hat es aufgenommen. Das ist mehr als zehn Jahre her. Und sie haben es wohl aus rechtlichen Gründen nie veröffentlicht.“ Es sei ein sehr wichtiges Stück für sie, ergänzt Katia. „Und es war eine der letzten Aufnahmen, die Luciano selbst dirigiert hat. Wir würden das gern kaufen und veröffentlichen, selbst wenn es nicht jene Art von Aufnahme ist, von der man Millionen verkaufen wird.“

Ums reine Geldverdienen geht es den Labèques beim eigenen Label ohnehin nicht. Katia Labèque meint: „Wir sind heute in der Lage, wirklich das zu machen, was wir wollen, was nicht der Fall ist, wenn ein junger Künstler von einer Plattenfirma unter Vertrag genommen wird. Am Anfang weiß man nichts. Es ist für die Plattenfirmen immer ein Geschäft. Und man muss als Künstler immer Kompromisse eingehen, beim Marketing, beim Image, sie wollen alle Glamour. Das ist nicht zu kritisieren. Denn sie versuchen, ihr Produkt zu verkaufen. Sie müssen ihr Produkt verkaufen.“ Sie hingegen, so ergänzt Marielle Labèque, hätten in erster Linie andere Motive: „Natürlich möchten wir verkaufen. Aber wir können auch weiterproduzieren, ohne Geld damit zu verdienen. Für uns ist wichtig, zu wissen, wo wir stehen. Und etwas zu produzieren, auf das wir stolz sein können. Wir machen das, weil wir das machen wollen. Nicht, weil es gut für unsere Karriere ist.“

Katia und Marielle Labèque
Bild: Brigitte Lacombe

Schaden wird es der Karriere allerdings auch nicht, dass die beiden nun wieder regelmäßig mit CD-Veröffentlichungen im Musikleben präsent sind. Und mit ihrer ersten Veröffentlichung, auf der sie Werke von Maurice Ravel präsentierten, legten sie die qualitative Messlatte sehr hoch (siehe Empfehlungen des Monats in FF 9/2007). Warum ein Start mit Ravel? Katia Labèque sagt: „Wir haben uns immer gedacht, dass die ersten Aufnahmen, wenn wir unsere eigene Schallplattenfirma gründen, jenen Komponisten gewidmet sein sollten, die wir zuerst gespielt haben. Und wir sind aufgewachsen mit französischer Musik und französischen Komponisten, noch bevor wir zur Klassik gekommen sind, etwa zu Mozart und Beethoven. Ravel wurde nur ein paar Kilometer von uns entfernt geboren. Und unsere Mutter war eine Schülerin von Margerete Long, die wiederum mit Ravel befreundet war.“

Höhepunkt der Ravel-Platte ist der „Boléro“, den die Schwestern in einem Arrangement für zwei Klaviere und Percussion vorstellen. Geholfen hat den beiden beim Arrangement der baskische Komponst Michel Sendrez. „Michel ist ein großer Experte für baskische Instrumente und auch einer der größten Experten für die Musik Ravels“, so Katia Labèque. „Wir haben ihn gefragt, welche baskischen Instrumente Ravel wirklich inspiriert haben. Denn es gibt viel mehr baskische Wurzeln in seiner Musik als spanische. Zum Beispiel Feria, der Fandango aus seiner spanischen Rhapsodie, ist kein spanischer Rhythmus, sondern ein baskischer. Und selbst der Bolero hat nichts mit dem spanischen Bolero zu tun. So wollten wir anstelle der sehr raffinierten Orchester-Version Ravels, die einfach umwerfend ist, eine Fassung, die stärker auf seine Herkunft verweist.“

Die zweite Veröffentlichung der Schwestern auf dem eigenen Label berücksichtigt Werke von Strawinsky und Debussy. Und darin gibt es parallel zur CD noch eine DVD-Video. So lässt sich die mitreißend schwungvolle, dann wieder nuanciert-sensibel ausgelotete Musik entweder ohne begleitende Bilder hören, oder man sieht sich dazu Videos an, die Tal Rosner zu den verschiedenen Werken gedreht hat. „Wir haben ihm alle Freiheit gelassen, erwarteten nur, dass er ausdrückt, was ihm die Musik bedeutet. Es ist seine Sicht auf diese Musik, es ist eine Arbeit der Vorstellungskraft, der Imagiation. Und ich denke, wir brauchen Künstler mit einer Vision“, stellt Katia Labèque fest. So sieht man auf diesem Video bei Strawinsky zum Beispiel vorbeifliegende Häuserschluchten und Straßen, einen Mann, der sich in einem engen Hinterhof bewegt, mit Klötzchen spielt, die sich verselbstständigen, bei Debussy dann sich kräuselnde Wogen, ruhig liegende Schiffchen, dann wieder treibende Wolken, vom Wind wirbelndes Gras, immer wieder reale Bilder, die im Rhythmus der Musik geschnitten sind, Gegenstände und Landschaften, die sich zu geometrischen Figuren auflösen. Klassische Musik wird hier verbunden mit einer Bildästhetik, die man eher aus der Popmusik und aus avantgardistischen Video-Kunst-Projekten zu kennen glaubt. Katia Labèque: „Rosner fragte uns nur nach konkreten Bildern für den zweiten Satz von Debussys ,En blanc et noir‘ [in dem man die Damen nun auch wirklich mal beim Musizieren sieht] und für den Tango von Strawinsky [den der Regisseur anschließend als Making-of inszenierte]. Alles andere kommt ohne uns aus. Das ist ein bisschen wie Klee oder Kandinsky. Jedes Bild hat seinen Klang, man sieht die Musik.“

Verbindungen herzustellen zwischen der Musik und den anderen Künsten, Experimente zu ermöglichen, neues Publikum auch für die Klassik zu gewinnen, das sind auch Ziele der „KML Fondazione“, die von Katia und Marielle Labèque 2005 ins Leben gerufen worden ist. „Wenn man klassische Musik filmt, zeigt man normalerweise die Interpreten. Man hat einen Pianisten, der eine Beethoven-Sonate spielt. Und natürlich kann das großartig sein. Als wir in der Waldbühne in Berlin vor 20.000 Leuten gespielt haben, waren wir sehr glücklich, dass sie das Konzert gefilmt haben. Ein Konzert wie dieses gibt man nur einmal in seinem Leben“, sagt Katia Labèque, „aber um ehrlich zu sein: Wie viele Konzerte sind wirklich so gut? Oftmals wirkt das abgefilmte Konzert nur fad.“

Dabei möchten die Schwestern gerade über multimediale Projekte ein neues Publikum auch für die Klassik begeistern: „Überall auf der Welt regiert das Bild“, sagt Katia Labèque, „die jungen Leute haben eine große Beziehung zu Bildern. Sie kommen nach Hause und setzen sich vor den Computer. Und wenn wir sie dort nicht weglocken können, müssen wir ihnen klassische Musik in der Form präsentieren, die sie kennen. Wenn wir wollen, dass die Kinder eine Beziehung zur klassischen Musik aufbauen, dann ist es nicht notwendigerweise der beste Weg, sie zuerst in ein Konzert mitzunehmen.“

Grenzen abbauen (auch zwischen Klassik, Jazz und Pop), Offenheit leben, Experimente wagen – bei Katia Labèque geht das so weit, dass sie das Klavierduo auch mal gegen eine experimentelle Popband eintauscht. Wie bei „B for Band – Across the Universe of Languages“, eine von der Musik der Beatles inspirierte CD-Produktion und Multimediashow, die beim letzten Klavier-Festival Ruhr auch live zu sehen war. Aber trotz Katias gelegentlicher Abstecher – sie hat auch schon mit so prominenten Jazzern wie Herbie Hancock, Chic Corea, Joe Zawinul und Gonzalo Rubalcaba zusammengespielt – bleibt das Duo mit ihrer Schwester Marielle auch für sie stets das Wichtigste. Und wenn dann wieder einmal – wie jetzt gerade – eine programmatisch ganz konventionelle, aber tief empfundene, musikalisch schlichtweg hinreißende Duoplatte mit Werken von Schubert und Mozart erscheint, so ist das ebenfalls etwas, auf das die beiden ungleichen Schwestern stolz sein können.

CD-Hinweis

Katia und Marielle Labèque

Schubert, Fantasie D 940, Andantino varié D 823; Mozart, Sonate KV 448 (2007); KML/HM CD 3760002138206