Katharina Sieverding: Emanzipation durch Fotokunst
Katharina Sieverdings großformatige Fotoarbeiten sind spektakulär und politisch. Jetzt zeigt eine Ausstellung im Schloss Dachau eine Auswahl ihrer Werke.
Bevorzugtes Motiv: das eigene Gesicht
Seit mehr als fünf Jahrzehnten erkundet Katharina Sieverding mit ihrer Kunst das menschliche Antlitz. Es ist ihre künstlerische Antwort auf den körperzentrierten Feminismus vieler Künstlerinnen ihrer Generation. Zentrales Motiv ihrer großformatigen Fotoarbeiten ist immer wieder sie selbst.
"Chance zur Emanzipation"
Starkes Make-up und Goldpuder, das alle Poren und Unebenheiten glättet, ließen ihr Gesicht zur Ikone werden. Wie eine Maske, die keinerlei Mimik oder Gefühlsregung verrät. Mit ihren extrem großen Fotos positionierte sich die Meisterschülerin von Joseph Beuys Anfang der 1970er-Jahre, obwohl die Fotografie damals nicht als Kunst galt. "Ich empfand das als große Chance zur Emanzipation", sagt sie.
Pionierin der Fotokunst
Geboren 1944 in Prag wuchs Katharina Sieverding im Ruhrgebiet auf. Ihre Mutter war Goldschmiedin, ihr Vater Radiologe. Die Vorliebe für die Farbe Gold wurde ein prägendes Element in ihrer Kunst. Sieverdings Werkserie "Die Sonne um Mitternacht schauen", für die sie ihr Gesicht mit feinem Goldpuder verfremdete, ist ein Schlüsselwerk in ihrem künstlerischen Werdegang.
Besonderer Ort: Schloss Dachau
Ein barockes bayerisches Schloss, voll mit historischen Skulpturen, wie diesen Höllenhunden, ein langgestreckter Saal im Stil der Renaissance, wuchtige Kristalllüster an der Decke: die Ausstellungsräume im Schloss Dachau waren eine Herausforderung für Katharina Sieverding. Doch die gelernte Bühnenbildnerin entschied sich für einen radikal einfachen Umbau.
Blick in die Ausstellung
Diagonal durch den langgestreckten aristokratischen Festsaal ließ die Künstlerin einen weißen Quader bauen. 30 Meter lang, auf beiden Seiten ihre Fotoarbeiten, die sie als Poster auf Papierbahnen drucken ließ und an der Wand zum klassischen Poster-Format 2,52 x 3,56 Meter zusammenfügte. Am Kopfende: die Arbeit "Die Sonne um Mitternacht schauen" von 2013.
Kunst statt Bühne
Auch frühe Fotoarbeiten von ihr sind in Dachau dabei, wie "Maton Solarisation XIV; XIII" (Detail) von 1969-1972. Sieverding war damals Meisterschülerin von Joseph Beuys an der Kunstakademie in Düsseldorf. Die Studentenproteste hatten die junge Künstlerin stark politisiert. Ihre Assistentenstelle bei Theaterregisseur Fritz Kortner und Bühnenbildner Teo Otto gab sie zugunsten der freien Kunst auf.
Begegnung mit der eigenen Geschichte
Für die Künstlerin ist ihre Ausstellung auch eine Begegnung mit der eigenen Biografie. Beuys sah Fotografie nicht als Kunstform an, die Zeit der 1970er war offen für Happenings, Performance, Action Painting, aber nicht für Fotokunst. Aber Katharina Sieverding erforschte auf ihre Weise das politische Zeitgeschehen: anfangs mit Automatenfotos, später mit aufwendig gedruckten Fotoprints.
"Die Pleite" (2005)
Oft sind ihre künstlerischen Kommentare zum politischen Geschehen in der Bundesrepublik oder zur Wirtschaftskrise auf eine poetische Weise zeitlos. Wie das Bild "Die Pleite", das bis heute seine Gültigkeit nicht verloren hat. Plakatiert im öffentlichen Raum löste es immer wieder Diskussionen und Nachdenken über die Welt aus.
"Die Sonne um Mitternacht schauen" (2010-2015)
Katharina Sieverding arbeitet häufig mit "Foreign Footage", also öffentlich zugänglichem Presse- oder Fremdmaterial. Für diese Videoprojektion "Die Sonne um Mitternacht schauen/SDO/NASA" verarbeitete sie mehr als 200.000 Fotos von Eruptionen auf der Sonne. Diese Sonnenbilder nutzt die Künstlerin auch als Hintergrund. Die verdunkelte Rauminstallation wechselt zwischen den Farben Blau und Rot.