Katalonien schreckt ab
20. Dezember 2012José Cruset hat den katalanischen Ego-Trip satt. „Es vergeht fast kein Tag, an dem ich nicht daran denke, nach Deutschland zurückzugehen.“ Der Chef der spanischen Niederlassung des IT-Dienstleisters OPUS 5 hat eine deutsche Mutter und einen katalanischen Vater. Lange Zeit war Barcelona für ihn, wie für viele andere Deutsche, der ideale Ort zum Leben und Arbeiten. Katalonien galt als „das Deutschland Spaniens“, weil die Katalanen das Image hatten seriös, sparsam und fleißig zu sein. „Inzwischen hat sich das Bild jedoch enorm gewandelt“, sagt der 43-jährige Cruset.
Korruption beunruhigt Deutsche
Korruption in Sparkassen, Banken und öffentlichen Verwaltungen, Vetternwirtschaft auf allen öffentlichen Ebenen und auch die katalanischen Bestrebungen, sich vom spanischen Staat abzutrennen haben viele Deutsche vor Ort verunsichert. Sie erkennen ihre Wahlheimat nicht wieder: "Die Stimmung unter den deutschen Führungskräften und Unternehmern hier ist sehr aufgewühlt. Die Unabhängigkeit von Spanien wäre das Aus für die autonome Region,“ glaubt Cruset.
Bisher war die 7,5-Millionen-Einwohner-Region an der Grenze zu Frankreich für viele ausländische Unternehmen der wichtigste Industriestandort in Spanien. Hier sitzt nicht nur die Volkswagen-Tochter Seat, sondern auch ein Großteil der deutschen Automobilzulieferer, die abhängig sind von dieser Infrastruktur. „Die Firmenniederlassungen können hier nicht so einfach weg, aber viele bereuen ihre Entscheidung inzwischen sicherlich, dass sie vor 20 Jahren nicht nach Madrid gegangen sind,“ sagt Philipp Dyckerhoff. Der deutsche Finanzberater arbeitet und lebt seit vielen Jahren in Barcelona, auch er ist inzwischen verwurzelt in der autonomen Region und kann nicht einfach so seine Koffer packen. Aber er pendelt immer mehr zwischen Barcelona, Deutschland und Madrid: "Die katalanische Regierung hat es eindeutig zu weit getrieben mit der Förderung ihrer Regionalsprache und den Unabhängigkeitbestrebungen."
Seit einigen Jahren müssen Firmen ihre Werbung auch ins Katalanische übersetzen, auch wenn sie an dem Regionalmarkt eigentlich nicht interessiert sind und dort jeder Spanisch versteht. Katalanisch ist Pflichtfach in der Schule geworden, auch für Erasmusstudenten an den Unis. Die öffentlichen Verwaltungen kommunizieren schriftlich nur auf Katalanisch, mit den Mitarbeitern muss schriftlich auch in Katalanisch kommuniziert werden. "Das versteht niemand der deutschen Firmen, die wegen des spanischen Marktes und nicht wegen der Katalanen nach Barcelona gekommen sind", sagt Dyckerhoff.
Weniger Investitionen
Diese Politik hat zusammen mit der Krise inzwischen rund eine Millionen Menschen in Katalonien in die Arbeitslosigkeit getrieben. Die Attraktivität der autonomen Region ist seit 2010 messbar gesunken. Im Jahr 2011 gingen die Direktinvestitionen um fast 25 Prozent im Vergleich zum Vorjahr zurück. Madrid ist inzwischen mit 12,5 Milliarden Euro im Jahr 2011 Anführer der Liste der attraktivsten Business-Regionen Spaniens. Katalonien kam im gleichen Zeitraum gerade mal auf 3 Milliarden Euro. "Wer jetzt entscheiden kann, der geht nach Madrid, das ist klar“, glaubt José Cruset.
Er selbst spricht Katalanisch. Das sei grundsätzlich zwar wichtig, um sich in Barcelona wirklich heimisch zu fühlen. Dennoch fühlt er sich inzwischen immer mehr als Fremder in der Multi-Kulti-Stadt Barcelona. Ihn und viele andere Deutsche vor Ort beunruhigt zudem, dass der noch amtierende Chef der dortigen Regionalregierung, Artur Mas, sich immer mehr wie ein Messias sieht, der sein Volk von der "Knechtschaft der Spanier“ befreien will. Demnächst soll eine Umfrage Klarheit schaffen, ob auch die Mehrheit der Katalanen das will. Glaubt man den gerade stattgefundenen Regionalwahlen, wo der Unabhängigkeitsvertreter Mas mit seiner christdemokratischen Convergència i Unió eine Schlappe hinnehmen musste, will die Mehrheit weiter zu Spanien gehören.
Katalanische Produkte boykottiert
Auch die brisante Finanzlage Kataloniens schreckt viele deutsche Investoren derzeit ab. Mit 25 Milliaren Euro Schulden ist die ehemalige Vorzeigeregion zum Schwarzen Schaf Spaniens geworden. "Das beunruhigt viele deutsche Unternehmer hier. Aber Firmen wie BASF oder Bayer haben eine feste Verwurzelung in Katalonien, da kann man nicht einfach seinen Sitz verlegen“, sagt Andrés Gómez, Vorsitzender des Kreises der Deutschen Führungskräfte, ein Interessenverband mit Sitz in Barcelona.
Die Tatsache, dass Mas einerseits Unahängigkeit von Spanien fordert und dann doch eine Staatshilfe von 5 Mrd. EUR bei der Zentralregierung anfragt, irritiert auch viele Katalanen. Darunter zum Beispiel den Event-Manager Marcos Canas. Auch wenn er sich mehr Eigenständigkeit für seine Region wünscht, glaubt er, dass die katalanischen Politiker den Bogen eindeutig überspannt haben. Boykotts von katalanischen Produkten seien im Rest Spaniens wieder an der Tagesordnung. Die Spannungen zwischen Katalonien und der Zentralregierung würden auf gefährliche Weise wachsen: "Wir haben jetzt wirklich andere Probleme als uns um unsere Unabhängigkeit zu kümmern."
Initiative für Transparenz und Ehrlichkeit
Viele Grundübel der spanischen Wirtschaft finde man in Katalonien auf konzentrierte Weise wieder, glaubt Vicente Reyes. Für den katalanischen Buchhalter verdienen die katalanischen Politiker zum Beispiel überdurchschnittlich viel Geld: "Mas bezieht ein Jahresgehalt von 144.000 Euro, mehr als der spanische Premierminister Mariano Rajoy verdient, vielmehr als jeder andere spanische Regionalchef". Ein weiteres Übel sieht Reyes in der öffentlichen Verwaltung: “Wir haben allein in Katalonien eine halbe Millionen Beamte. Was wollen wir damit? Viele Dienstleistungen sind nicht notwendig, viele öffentliche Firmen veruntreuen Steuergelder.”
Reyes hat die katalanische Politik so satt, dass er zusammen mit anderen Wirtschaftsvertretern eine Initiative gegründet hat, um eine andere Politik zu betreiben: “Wir wollen mehr Transparenz und Ehrlichkeit:” Eine Stiftung soll die Bestrebungen, die inzwischen auch bis nach Brüssel reichen, offiziell machen. Auch Cruset will nicht aufgeben: "Deutschland lockt, aber ich will hier noch was verändern.“