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Tunesien

23. Januar 2011

Demonstranten aus ganz Tunesiens haben in der Hauptstadt den Rücktritt der Übergangsregierung gefordert. Die Rolle der Sicherheitskräfte bei den Unruhen wird untersucht und die Zensur weiter gelockert.

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Teilnehmer der 'Karawane der Freiheit' mit einem Plakat in Form der Landkarte Tunesiens und der Losung 'Tunesien ist frei. Die Revolution fordert eine neue Regierung frei von Vertretern des alten Regimes' (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Die Proteste gegen die nach dem Sturz des langjährigen Präsidenten Zine El Abidine Ben Ali gebildete Übergangsregierung reißen nicht ab. Ein Demonstrationszug von rund 1000 Menschen aus der verarmten Zentralregion des Landes um die Stadt Sidi Bouzid, wo der Aufstand seinen Anfang nahm, ist am Sonntag (23.01.2011) in die Hauptstadt Tunis gezogen.

"Das Volk ist gekommen, um die Regierung zu stürzen", skandierten die zumeist jugendlichen Protestler, die eine "saubere" Regierung ohne Vertreter des gestürzten Regimes verlangen. Je mehr Orte die "Karawane der Freiheit" passierte, umso mehr Menschen schlossen sich an, berichteten Beobachter. Auch aus anderen Landesteilen marschierten Demonstranten zu Protesten nach Tunis.

Tunesische Zeitungen (Foto: DW)
Neue PressefreiheitBild: DW/ Swissi

Bereits am Samstag hatten sich Tausende Polizisten und Sicherheitskräfte den wieder erstarkten Massenprotesten angeschlossen. Sie erteilten damit dem amtierenden Ministerpräsidenten Mohamed Ghannouchi eine Abfuhr, der um Geduld gebeten und seinen baldigen Rückzug in Aussicht gestellt hatte. Die Polizeibeamten distanzierten sich mit ihrem Protest demonstrativ vom gestürzten Präsidenten. Ben Ali, der einst als Innenminister seinen eigenen Vorgänger entmachtet hatte, zählte bei der Unterdrückung von Protesten jahrelang auf die Polizei und die Sicherheitskräfte.

Aufklärung der blutigen Unruhen

Eine unabhängige Kommission soll die Rolle der Sicherheitskräfte bei den gewaltsamen Übergriffen auf Demonstranten untersuchen, bei denen in den vergangenen Tagen Dutzende Menschen getötet wurden. "Wir werden der Frage nachgehen, wer gab die Erlaubnis für den Einsatz der Schusswaffen", sagte der Chef der Untersuchungskommission, Taoufik Bouderbala, am Samstag. Er verwies darauf, dass in einzelnen Fällen offenbar gezielt auf Köpfe und Oberkörper der Menschen geschossen worden sei. Es gehe jetzt darum, die Fakten zu prüfen, warum mit Waffen gegen Menschen vorgegangen sei, die unbewaffnet Brot und Freiheit gefordert hätten.

Nach Angaben des UN-Hochkommissars für Menschenrechte wurden bei dem Aufstand 117 Menschen getötet, 70 davon durch Schüsse mit scharfer Munition. Tunesiens Innenminister Ahmed Friaa gab die Zahl der Toten mit 78 an.

Lockerung der Zensur

Polizeieinsatz gegen Demonstranten am 18.01.2011 in Tunis (Foto: AP)
Polizei gegen DemonstrantenBild: AP

Die tunesischen Behörden kündigten am Samstag an, künftig auf eine Zensur importierter Bücher, Zeitschriften, Filme, CD-Roms und anderer elektronischer Medien zu verzichten. Für die Einfuhr solcher Publikationen sei keine vorherige Erlaubnis mehr nötig, teilte die Zollbehörde nach Angaben der amtlichen Nachrichtenagentur TAP am Samstag mit.

Bislang wurden importierte Medien durch das Innenministerium zensiert. Zuvor hatte Übergangsregierung den Tunesiern bereits vollständige Informationsfreiheit zugesagt. Das Kommunikationsministerium, das unter Ben Ali für Medienzensur und Propaganda zuständig war, wurde abgeschafft.

Die Gewerkschaft der Volksschullehrer will derweil mit einem Streik von unbegrenzter Dauer die Übergangsregierung zum Rücktritt zu zwingen. Der Streik beginne am Montag, sagte ein Sprecher der tunesischen Gewerkschaft UGTT. Es gehe auch darum, sich solidarisch mit den Opfern der Unruhen in den vergangenen Wochen zu zeigen. Die einflussreiche UGTT hatte ihre drei Minister aus der Übergangsregierung abgezogen und kämpft seitdem für die Ablösung des Kabinetts. Der Protest der Gewerkschaft wendet sich dagegen, dass dem Kabinett von Übergangsregierungschef Ghannouchi acht Minister angehören, die Gefolgsleute von Ben Ali sind. Nach dem Willen der Übergangsregierung soll der Unterricht an den Schulen am Montag wieder aufgenommen werden.

Autor: Manfred Böhm (dpa, rtr, afp)
Redaktion: Dirk Eckert/Ursula Kissel