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Kanzler der Einheit und großer Europäer

Karin Jäger / Klaus Dahmann4. Oktober 2012

Vor genau 30 Jahren - am 1. Oktober 1982 - wurde Helmut Kohl Bundeskanzler. Er regierte 16 Jahre lang. Höhepunkt seiner Karriere waren der Fall der Berliner Mauer und die Wiedervereinigung Deutschlands.

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Helmut Kohl wird zum Bundeskanzler vereidigt.
Bild: picture-alliance/dpa

Er prägte eine ganze Generation - die "Generation Kohl". Die Jugendlichen, die während seiner Amtszeit als Bundeskanzler heranwuchsen, wussten, dass Helmut Kohl geschätzte Staatsgäste schon mal ins heimische Oggersheim einlud, um ihnen sein Lieblingsgericht, Saumagen, servieren zu lassen. In seiner Freizeit trug er bevorzugt unkonventionelle Strickjacken auf dem massigen Leib. Seinen vierwöchigen Sommerurlaub verbrachten seine Frau Hannelore und er stets am österreichischen Wolfgangsee. Hin und wieder unterzog er sich einer Diät nach F. X. Mayr, um Pfunde abzuspecken, die er aber bald wieder drauf hatte. "Kohlwitze" waren reichlich im Umlauf, und seine Kritiker spotteten über die behäbige Art, in der der 1,93 Meter große Pfälzer sich bewegte und redete. Wohl gerade wegen seiner Statur wurde Kohl oft unterschätzt, dabei wusste er in seiner Zeit als Bundeskanzler genau, was er wollte.

Machtmensch mit Kalkül und Beharrlichkeit

Helmut Kohl trat schon mit 17 in die Christlich Demokratische Union (CDU) ein. Neben seinem Studium der Geschichte, Rechts- und Staatswissenschaften, das er mit der Promotion abschloss, engagierte er sich schon in jungen Jahren politisch. Mit nur 39 Jahren wurde Kohl jüngster Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz. 1976 stellten ihn die Schwesterparteien CDU und CSU als Spitzenkandidaten bei der Bundestagswahl auf. Mit 48,6 Prozent der Stimmen erzielte er zwar das zweitbeste Ergebnis für die Union bei Bundestagswahlen, das sozial-liberale Bündnis unter Helmut Schmidt konnte er damit aber trotzdem nicht ablösen.

Die letzten Akzente an einem Kohl-Porträt nach Andy Warhol-Art setzt der Designer Jens Henning (Foto: dpa)
Kohl-Porträt nach Andy Warhol-ArtBild: picture-alliance/dpa

Sechs Jahre später aber, am 1. Oktober 1982, war Kohl am Ziel: Der Oppositionsführer wurde mit der Mehrheit der Abgeordneten im Deutschen Bundestag zum Bundeskanzler und somit zum mächtigsten Politiker im Land gewählt. Nicht durch das Votum des Volkes, sondern durch ein Misstrauensvotum gegen den sozialdemokratischen Kanzler Schmidt war Kohl der Machtwechsel gelungen. Kohl hatte es geschafft, den FDP-Vorsitzenden Hans-Dietrich Genscher zum Bruch der Koalition mit der SPD zu bewegen. Mit Hilfe der Liberalen wurde Kohl Regierungschef. Durch eine umstrittene Vertrauensfrage steuerte der Christdemokrat wenige Monate später Neuwahlen an und gewann diese.

Kohls Lösungsstrategie: Probleme einfach aussitzen

In den ersten Jahren seiner Amtszeit machte sich allerdings Unmut in der deutschen Bevölkerung breit: Kohl erwarb sich den Ruf, innenpolitische Probleme nicht zu lösen, sondern "auszusitzen". Auf Kritik reagierte er mit zahlreichen Kabinettsumbildungen. Heftige Debatten löste dann der Besuch mit US-Präsident Ronald Reagan auf dem Friedhof Bitburg aus, wo neben deutschen und amerikanischen Soldaten auch Angehörige der Waffen-SS begraben sind. Man warf Kohl "Geschichtsklitterung" vor. Auch mit einem Vergleich zwischen dem sowjetischen Parteichef Michail Gorbatschow und NS-Propagandaminister Joseph Goebbels setzte er sich in die Nesseln.

Doch war es gerade Gorbatschows "Perestroika-" und "Glasnost-"Politik, von der der Bundeskanzler nachhaltig profitierte. Kohl empfing den sowjetischen Staatschef im Juni 1989 in Bonn, der Mauerfall wenige Monate später war noch nicht abzusehen, doch empfing er Gorbatschow mit den erwartungsvollen Worten: "Auf ihrem Besuch hier bei uns ruhen viele Hoffnungen. Bei Ihnen zu Hause und bei uns zu Hause."

Helmut Kohl, Michail Gorbatschow (Mitte) und Bundesaußenminister Genscher (links) im Kaukasus (Foto: dpa)
Helmut Kohl, Michail Gorbatschow (Mitte) und Bundesaußenminister Genscher (links) 1990 im KaukasusBild: picture-alliance/dpa

Auf den raschen Mauerfall nicht vorbereitet

Dann überstürzten sich die Ereignisse und Kohl wurde vom Mauerfall buchstäblich überrumpelt. Er befand sich gerade auf einer Reise durch Polen, als die DDR-Bürger die innerdeutschen Grenzen stürmten und die Wachhabenden auf ostdeutscher Seite sie gewähren ließen. Obwohl Kohl seine Polen-Reise unverzüglich abbrach, schaffte er es nicht, als erster Politiker Westdeutschlands am Mahnmal der Teilung, am Brandenburger Tor in Berlin, zu allen Deutschen zu sprechen. Stattdessen verhallten die Worte des Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker in der Nacht.

Wahlkampfveranstaltung der konservativen 'Allianz für Deutschland' auf dem Erfurter Domplatz 1990 (Foto: dpa)
1990: Helmut Kohl bei einer Wahlkampfveranstaltung auf dem Erfurter DomplatzBild: picture alliance/dpa

Doch Helmut Kohl übernahm schnell die Initiative und lancierte einen 10-Punkte-Plan, der auf eine schnelle Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten abzielte. Ängste aus dem Ausland vor einem zu mächtigen nationalistischen Gesamtdeutschland versuchte er zu entkräften: "Wir Deutschen haben aus der Geschichte gelernt. Wir sind ein friedens-, wir sind ein freiheitsliebendes Volk. Für uns gehören Vaterlandsliebe, Freiheitsliebe und der Geist guter Nachbarschaft immer zusammen", so Kohl damals.

Die Kosten der deutschen Einheit überschätzt

1989/90 war Helmut Kohl auf dem Zenit seiner politischen Karriere angelangt. In Ostdeutschland wurde er als Star gefeiert. Den Menschen dort versprach er die viel zitierten "blühenden Landschaften".

Doch trotz der Einführung des Solidaritätsbeitrags zum Aufbau Ost gelang es nicht, den Lebensstandard im Osten dem im Westen anzugleichen. Viele Ostdeutsche, die ihre Arbeit verloren hatten, fanden keine Perspektive und zogen nach der Wiedervereinigung in den Westen. Der Aufbau in den fünf neuen Bundesländern verlief nur schleppend. Frust machte sich breit, und Kohls Popularität sank rapide.

Angela Merkel und Helmut Kohl 1991 (Foto: dpa)
Angela Merkel, spätere Bundeskanzlerin, spricht 1991 während des CDU-Parteitags in Dresden mit Helmut KohlBild: picture-alliance/dpa

Trotzdem gilt er als "Kanzler der Einheit" und "großer Europäer", denn auf europäischer Ebene setzte Helmut Kohl auch gegen Ende seiner Amtszeit weiter Akzente: Gemeinsam mit dem französischen Präsidenten François Mitterrand brachte er die politische und wirtschaftliche Integration Europas voran.

Parteispendenaffäre wirft Schatten auf Kohls Lebensleistung

Doch auch dieser Triumph dauerte nicht ewig. Die Unzufriedenheit mit dem verkrusteten System Kohl wurde zu groß, viele hielten den auch körperlich sehr mächtigen Mann inzwischen für einen reinen Machtpolitiker. Dazu kamen Nachrichten über vertuschte Parteispenden und illegale Kassen bei "seiner" CDU - Kohl geriet immer mehr in Bedrängnis.

Bei der Bundestagswahl 1998 gelang es der SPD im Verbund mit den Grünen, die konservativ-liberale Koalition abzulösen. Nach 16 Jahren Kanzlerschaft, ein Rekord in Deutschland, musste Kohl abtreten.

Die Untersuchungen zur CDU-Parteispenden-Affäre gingen indes weiter. Kohl wiegelte ab, tat unschuldig und beteuerte immer wieder, niemals bestechlich gewesen zu sein. Die CDU entzog ihm schließlich die Ehrenmitgliedschaft und drängte ihn auf einem Sonderparteitag dazu, auch sein Bundestagsmandat niederzulegen. Schließlich gestand er sein Mitwissen ein, die anonymen Spender nannte er jedoch bis zuletzt nicht. Gegen ein Bußgeld in Millionenhöhe wurde die Anklage gegen Kohl fallengelassen. In der Folgezeit zog sich Kohl aus dem politischen Geschäft zurück.

Helmut Kohl 2001 in Schkopau (Foto: AP)
Nach Aufdeckung der Spenden-Affäre: Helmut Kohl 2001Bild: AP

Schicksalsschlag und das späte Glück

Im Juli 2001 hatte er einen schweren Schicksalsschlag zu verkraften, als seine Frau Hannelore im heimischen Oggersheim mit einer Überdosis Schlaftabletten ihrem Leben ein Ende setzte; sie litt unter einer Lichtallergie.

Mit wachsendem Abstand zur Parteispendenaffäre findet Kohl in der CDU inzwischen wieder in hohem Maße Zuwendung und Anerkennung über alle Generationen hinweg. Selbst im engeren Führungszirkel der Bundes-CDU um Angela Merkel ist der Rat des Patriarchen ausdrücklich gefragt. Der feierliche Festakt zum 30. Jahrestag seiner Kanzlerschaft war eine uneingeschränkte Würdigung seiner großen Verdienste als Kanzler der deutschen Einheit und als antreibende Kraft der europäischen Einigung.