Kann Deutschland sein NATO-Versprechen halten?
6. Februar 2019Endlich ist er in Brüssel angekommen: Deutschlands Strategic Level Report, ein jährlicher Bericht an das Nordatlantische Bündnis (NATO) über Rüstungspläne, militärische Kapazitäten und Sicherheitsmissionen. Als letztes Mitgliedsland hatte die Bundesrepublik den Bericht knapp eine Woche vor einem geplanten NATO-Treffen in Brüssel eingereicht. Dort sollen diese nationalen Strategiepapiere zwischen den Bündnispartnern diskutiert werden.
Deutschland hat versprochen, das Verteidigungsbudget auf 1,5 Prozent des nationalen Bruttoinlandsprodukts (BIP) bis 2024 zu erhöhen. Geeinigt hatten die NATO-Mitglieder sich aber auf ein Ziel von zwei Prozent. US-Präsident Donald Trump hat den Bündnispartnern bereits gedroht, sonst aus dem Nordatlantikpakt auszutreten. Deutschland liegt notorisch unter der Etatvorgabe, auch weil sein BIP stetig steigt.
Aktuell liegt die BIP-Quote seiner Verteidigungsausgaben mit 1,24 Prozent vergleichsweise niedrig, im Vergleich zu den anderen Mitgliedsstaaten rangiert es bei seinen tatsächlichen Ausgaben aber direkt hinter den USA, dem Vereinigten Königreich und Frankreich auf Platz vier. In seinem Bericht an dem NATO-Generalsekretär will Deutschland an dem 2014 bei einem Gipfel in Wales verabschiedeten Zwei-Prozent-Grundsatz festhalten.
Finanzminister Scholz: Geld für Rüstungsetat fehlt
Für Deutschland ist das viel Geld. Denn je nach Entwicklung des Inlandsprodukts könnte das Budget für die Bundeswehr auf mehr als 60 Milliarden Euro steigen. Bereits der aktuelle Haushaltsetat des Verteidigungsministeriums für 2019 liegt bei 43,2 Milliarden Euro. Runtergerechnet auf den BIP-Anteil hat sich der jedoch nur von 1,18 auf 1,24 Prozent in 2018 gesteigert.
Woher soll das weitere Geld kommen? Diese Frage kann die Bundesregierung bislang nicht klar beantworten. Anfang der Woche hatte Bundesfinanzminister Olaf Scholz vor Haushaltsdefiziten in der Höhe von 25 Milliarden Euro und sinkenden Steuereinahmen gewarnt.Die Nachricht hatte auch die Finanzplanung des Verteidigungsministeriums in Frage gestellt. Zwar hatte nach Informationen der Deutschen Welle auch das Bundesfinanzministerium den Bericht an die NATO abgezeichnet, aber weiter festlegen wollte sich die Pressesprecherin des Ministeriums nicht: "Wir stehen am Beginn dieser Planungen", sagte die Sprecherin des Finanzministeriums Jeanette Schwamberger. "Ich kann das Ende nicht vorwegnehmen."
Streit mit Brüssel und Washington ist programmiert
Der dreiseitige Bericht könnte dementsprechend in der NATO-Zentrale in Brüssel und Washington für Unverständnis sorgen. Dort verlangt man konkrete Angaben darüber, wie die Ziele bei den Verteidigungsausgaben erreicht werden können.
Auch Sicherheitsexperten kritisieren die Strategie der Bundesregierung. "Ich halte es für einen Fehler, dass Deutschland im Strategic Level Report keine konkreten Zahlen eingefügt hat, weil es Deutschland in der NATO singularisiert", sagte Carlo Masala, NATO-Experte an der Bundeswehr-Universität in München. Die USA könnten Deutschland so als "schwachen" NATO-Partner anprangern.
Ablenkungsmanöver oder eine neue NATO-Strategie?
Aber Sanktionen von Seiten der NATO gibt es nicht. Deutschland weiß das zu nutzen. Das Auswärtige Amt argumentiert, man könne die Haushaltsplanungen künftiger Legislaturperioden nicht vorgreifen. "Das sind politische Absichtserklärungen", sagte der stellvertretende Ministeriumssprecher Rainer Breul in Bezug auf den NATO-Bericht. Der Haushalt werde im Bundestag entschieden. "Daran endet eine Einmeldung bei der NATO nichts." Andere Länder nehmen die Verpflichtung aber ernster. Polen etwa hatte das Zwei-Prozent-Ziel in einem Rüstungsgesetz festgeschrieben.
Deutschland könnte mit dem Beharren, beim NATO-Bericht handle es sich um ein politisches Versprechen, sein Ansehen bei den Bündnispartnern verspielen. "Am Ende könnte es so aussehen, als ob Deutschland seine Versprechen nicht einhält", sagte Transatlantik-Experte Henning Riecke von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik der DW.
Auf Seiten der Opposition sieht man im Verhalten des Verteidigungsministeriums ein Ablenkungsmanöver: "Immer wieder verkündet die Verteidigungsministerin unrealistische Zahlen bei ihren zahlreichen Trendwenden für hübsche Schlagzeilen", kritisiert etwa die Verteidigungspolitische Sprecherin der Grünen, Agnieszka Brugger.
Wofür steht die NATO?
Die Bundesregierung wehrt sich gegen den Fokus der USA auf Finanzmittel als alleinigen Messwert. "Es ist fraglich, ob das klappt", meint US-Experte Riecke. "Trump muss sein Wahlkampfversprechen einhalten, dass die anderen Länder ihre zwei Prozent des BPI einhalten. Sonst sollten sie aussteigen."
Deutschlands Umgang mit der Budget-Frage zielt auch die Grundsatzfrage ab, wofür die NATO steht. Bei ihrem Besuch deutscher NATO-Missionen im Baltikum bekräftigte Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen die Bündnistreue der Partner. "Die Kontinuität unseres Engagements innerhalb des NATO-Bündnisses ist ein hoher Wert", sagte auch Regierungssprecher Steffen Seibert in Berlin.
Engagement bedeutet Arbeit - wird aber nicht gemessen
"Dass Kapazitäten und Fähigkeiten wichtiger als abstrakte Ausgaben sind, stimmt zwar, hilft Deutschland aber nicht weiter", sagte Gustav Gressel vom European Council for Foreign Relations der DW. "Es ist aber viel sinnvoller als nur abstrakten Ausgabegrößen hinterherzulaufen." Von dieser Argumentation muss Berlin Brüssel und die NATO-Partner aber noch überzeugen.