Kampf um Koma-Patientin
9. Februar 2009Der Regierungschef hat für Montagabend (09.02.2009) den Senat zu einer Dringlichkeitssitzung einberufen: Er will im Schnelldurchgang ein Gesetz durch das Parlament peitschen, das der 38-Jährigen das Sterben untersagt. Am Mittwoch oder Donerstag soll dann das Abgeordnetenhaus darüber abstimmen. In beiden Häusern verfügt die Mitte-Rechts-Regierung über eine solide Mehrheit.
Berlusconi stellt sich damit erneut offen gegen Präsident Giorgio Napolitano. Dieser hatte sich am vergangenen Freitag geweigert, eine Eilverordnung der Regierung zu unterzeichnen, die die Wiederaufnahme der künstlichen Ernährung Eluana Englaros befahl. Zur Begründung gab der Präsident an, er sehe darin einen Verstoß gegen die in der Verfassung festgelegte Gewaltenteilung. Das Oberste Kassationsgericht hatte im November vergangenen Jahres entschieden, dass die Ärzte die Geräte zur künstlichen Ernährung abschalten dürften. Ende Januar hob der Mailänder Verwaltungsgerichtshof dann einen Bescheid auf, der es dem Pflegepersonal verboten hatte, die künstlichen Ernährung einzustellen.
Der Fall Englaro
Eluana Englaro war 1992 nach einem Autounfall ins Koma gefallen. Ihr Vater kämpfte jahrelang vor Gerichten dafür, dass seine Tochter sterben darf. Er gab an, sie habe ihm nach dem Besuch eines im Koma liegenden Freundes noch kurz vor ihrem eigenen Unfall gesagt, sie wolle niemals auf diese Art und Weise am Leben erhalten werden. Eine Begründung, die das Kassationsgericht überzeugte. Vorige Woche wurde die 38-Jährige aus einer Klinik ihres Heimatortes in das Pflegeheim "La Quiete" in Udine verlegt. Dort stellten die Ärzte am Freitag die Geräte ab, die sie versorgten.
Englaros betreuender Neurologe Carlo Alberti Defanti schätzt, dass sie noch maximal 14 Tage am Leben bleiben werde. Der Zeitung "Corriere della Sera" sagte er, ihre körperliche Verfassung sei "exzellent". Außer ihrer Gehirnverletzung sei sie eine "gesunde Frau". Defanti zegte sich überzeugt, dass er "das Richtige" mache: "Ich helfe einer Person, ihren eigenen Wunsch zu erfüllen, einer hilflosen Person, die von allen Menschen mit Ausnahme ihres Vaters und ein paar anderen betrogen wurde".
Klinik im Visier
Derweil wird der Kampf um den Tod Eluana Englaros mit immer härteren Bandagen geführt. Die Regionalregierung Friaul-Julisch-Venetien schickte am Montag vier von den Behörden bestellte Mediziner in das Pflegeheim "La Quiete", um es zu überprüfen. Der Präsident der Region, Enzo Tondo, gab an, die Polizei habe bei einem Besuch am Wochenende "Unregelmäßigkeiten" in der Verwaltung festgestellt. Er forderte die Heimleitung in einem Brief auf, die künstliche Ernährung Englaros wieder aufzunehmen, bis das Parlament über das Sterbehilfe-Eilgesetz entschieden habe. Die Anwälte der Familie kündigten neuen Widerstand an, falls die Regionalregierung das Heim unter ihre direkte Verwaltung stelle.
Gespaltenes Italien
Der Fall Englaro erinnert unter anderem an die ebenso kontrovers geführte Debatte in den USA um den Tod von Terry Schiavo. Die US-Amerikanerin lag 15 Jahre im Wachkoma. Ende März 2005 durfte sie nach langen Jahren gerichtlicher und öffentlicher Auseinandersetzung zwischen ihrem Ehemann und den Eltern sterben. Auch das katholisch geprägte Italien zeigt sich in der Frage "Sterbehilfe" tief gespalten. Laut Gesetz ist sie verboten. Umfragen lassen jedoch keine eindeutige Tendenz erkennen: Nach einer vom "Corriere della Serra" veröffentlichten Umfrage sind 47 Prozent der Befragten dafür, Eluana sterben zu lassen, 47 Prozent sind dagegen, sechs Prozent waren unentschieden. Beim Nachrichtenkanal Sky TG-24 sieht das anders aus: Bei einer dort durchgeführten Umfrage sagten 62 Prozent, sie seien für Sterbehilfe.
Vatikan bezieht klar Position
Klare Position bezogen dagegen die katholische Kirche und Ministerpräsident Silvio Berlusconi. Dieser sagte zuletzt, er wolle irgendwann nicht "angeklagt werden, weil er einer Person in Gefahr keine Hilfe geleistet hat". Außerdem gehe er davon aus, dass er den Wunsch eines Großteils der Bevölkerung erfülle.
Unterstützt wird Berlusconi von der Kirche. Katholische Gruppen haben vor dem Heim in Udine eine Mahnwache eingerichtet. Der "Osservatore Romano", das Presseorgan des Vatikan, brachte zuletzt in einem Artikel ins Spiel, dass Eluana bis zu ihrem Tod in etwa zwei Wochen leiden müsse. Der Vorsitzende der Katholischen Bischofskonferenz des Landes, Kardinal Angelo Bagnasco, schrieb in einem Beitrag für die katholische Zeitung "L'Avvenire": "Einem Menschen keine Nahrung und kein Wasser zu geben; das kann man doch nicht anders als als 'Mord' bezeichnen". Eluanas Vater bedauerte laut einem Bericht der spanischen Zeitung "El Pais" vom Sonntag, dass sich die katholische Kirche einmische. Er respektiere die Meinung des Vatikan, aber in diesem speziellen Falle "liegen die Dinge jenseits ihrer (der katholischen Kirche) Kontrolle".
Berlusconi ein "Tyrann"
Ebenso klare Position beziehen die Befürworter der Sterbehilfe. Sie riefen zu einer Solidaritätskundgebung in Florenz am Montagabend auf. Unterstützt werden sie von der oppositionellen Demokratischen Partei. Deren führendes Mitglied, der frühere Außenminister Massimo D'Alema, griff Regierungschef Berlusconi wegen der Art und Weise an, in der er sich über die Verfassung hinwegsetzen wolle. Berlusconi habe "keine Ahnung von einer Verfassungskultur". Er sei ein "Tyrann, der die demokratischen Rechte des Präsidenten, die diesem von der Verfassung gegeben sind, in Frage stellt". D'Alema warf Berlusconi vor, "eine menschliche Tragödie" für eigene Zwecke "auszuschlachten". Die liberale, für freie Willensentscheidung eintretende Radikale Partei kündigte an, sie werde im Parlament mehr als 1000 Änderungsanträge einbringen, um das Gesetzgebungsverfahren zu verzögern.
"Politisierung des Todes"
Der "Corriere della Sera" fand in einem Kommentar am Montag deutliche Worte: "Die Politisierung des Todes ist die schlimmste Untat, die eine Demokratie begehen kann". In einem sind sich alle Kontrahenten einig: Das Dilemma, in dem sich das Land befindet, existiert nur, weil es keine klare gesetzliche Regelung etwa in Form einer Patientenverfügung gibt. Darin kann jeder vorab festlegen, welche medizinische Hilfe er für den Fall der Fälle wünscht, nämlich dass er sich selbst nicht mehr äußern kann.