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Politik

Kampf um Europas letzten Urwald

Galina Petrowskaja
4. August 2017

Trotz Verbot des Europäischen Gerichtshofs halten die Rodungen im polnischen Bialowieza-Urwald an. Angeblich wegen Schädlingsbekämpfung. Umweltschützer vermuten andere Gründe. Polen riskiert neuen Ärger mit der EU.

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Polen  - Protest
Proteste gegen die Abholzungen im Bialowieza-WaldBild: Greenpeace/Grzegorz Broniatowski

Und jetzt auch noch das. Als ob es mit dem Streit über die Justizreform nicht schon genug Probleme zwischen Warschau und Brüssel gebe, zieht nun ein zusätzliches politisches Tief zwischen Polen und der EU auf. Diesmal geht es um verbotene Rodungen in Europas letzten Urwald, dem Bialowieza-Nationalpark, an der polnisch-weißrussischen Grenze. 

Warschau will dort trotz eindringlicher Warnungen seitens der EU weiterhin Bäume fällen und riskiert damit ein zusätzliches EU-Rechtsstaatlichkeitsverfahren. Grund ist der Verstoß gegen eine Anordnung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH). Dieser hatte am 3. August verfügt, dass im Wald von Bialowieza vorerst keine Bäume mehr im großen Stil gefällt werden dürfen.

Polen auf der Anklagebank 

"Es geht hier um eine juristische Anordnung, an die sich alle Mitgliedsstaaten halten müssen", erklärte eine Sprecherin der EU-Kommission gegenüber der Presse. Sollte sich bestätigen, dass im Bialowieza-Wald weiter Holz gefällt wird, solle das bereits wegen Auflagen für die Justiz laufende Rechtsstaatlichkeitsverfahren gegen die Warschauer Regierung ausgeweitet werden. Polen werde seine Haltung vor dem Gerichtshof erklären müssen.

Der Bialowieza-Urwald ist der älteste Wald in Europa. Zusammen mit seinem weißrussischen Teil ist er seit 2014 das eine einzige grenzüberschreitende UNESCO-Weltnaturerbe. Die Gesamtfläche des von der UNESCO geschützten Waldes beträgt 150.000 Hektar, davon liegen 60.000 in Polen und 80.000 in Weißrussland.

Karte Infografik Bialowieza Wald DEU

Invasion der Borkenkäfer

Den Startschuss zu den Rodungen hatte das polnische Umweltministerium im März 2016 gegeben, unter dem Vorwand, nur so könne die Borkenkäferplage bekämpft werden. Laut Behörden sind mehr als eine halbe Million Bäume von dem Schädling betroffen. Daher änderte das Ministerium den mit der EU abgestimmten Bewirtschaftungsplan für den Wald bis zum Jahr 2021. Es erlaubte, die Holzernte um das Dreifache auf 188.000 Kubikmeter zu erhöhen.

Im Juni dieses Jahres sagte der polnische Umweltminister Jan Szyszko im Parlament, der Bialowieza-Nationalpark sei im Jahr 2014 widerrechtlich und ohne Rücksprache mit der Bevölkerung vor Ort von der UNESCO auf die Liste des Weltnaturerbes gesetzt worden. Szyszko will, dass der Bialowieza-Wald von der Liste gestrichen wird. 

Unterstützt wird Szyszko von "Lasy Panstwowe", dem polnischen Staatsforstbetrieb. Seine Aufgabe ist es laut Gesetz, als ein von der öffentlichen Verwaltung unabhängiger staatlicher Betrieb den überwiegenden Teil des polnischen Staatswaldes nach marktwirtschaftlichen Grundsätzen zu bewirtschaften. Aber auch der Verband der polnischen Forstwirte, die Kommunen in der Region und gesellschaftliche Vereinigungen rufen zum Kampf gegen "Pseudo-Umweltschützer" auf. Viele Einheimische verlangen, der Wald müsse vor dem Borkenkäfer geschützt werden. Der Forstwissenschaftler Janusz Sowa glaubt, dass der Schädling nur durch Abholzung bekämpft werden könne. Nur das könne den sterbenden Wald retten.

Polen Wald von Bialowieza
Unberührte Natur: Europas letzter Urwald "Bialowieza" in PolenBild: Getty Images/AFP/J. Skarzysnki

Eingriff ins Ökosystem

Doch auch die Gegner der Rodungen - Wissenschaftler, Umweltschützer und Vertreter von Umweltverbänden - haben ihre Argumente. Erstens werde durch das Abholzen das natürliche Ökosystem zerstört. Zweitens werde unter dem Vorwand der Bekämpfung des Borkenkäfers illegale Holzernte betrieben. Denn es gebe Beweise, dass auch gesunde Bäume gefällt würden. Und drittens verstoße das Vorgehen der polnischen Behörden gegen die Kriterien eines UNESCO-Weltnaturerbes.

Der Leiter der Geobotanischen Station der Universität Warschau in Bialowieza, Bogdan Jaroszewicz, ist überzeugt, dass die Eingriffe des Menschen die gesamte Struktur des Urwaldes verändern. Im Totholz und in umgefallenen Bäumen würden mehr als 150 seltene Arten von Pflanzen und Tieren leben. Selbst der Borkenkäfer sei Nahrung für den einzigartigen Dreizehenspecht.

"Die Rodungen zerstören die Umwelt von Pilzen und Insekten. Es ist unklar, wie sich in Zukunft die künstlich gepflanzten Baumarten verhalten werden, für welche Krankheiten sie anfällig sein werden", sagte Jaroszewicz der DW. Die Probleme mit dem Borkenkäfer sind ihm zufolge entstanden, weil Fichten in Böden gepflanzt wurden, in denen davor keine Tannen wuchsen.

Biologische Vielfalt - der Urwald von Bialowieza

Wie sieht es in Weißrussland aus?  

"In dem Urwald auf weißrussischer Seite werden keine Bäume gefällt", sagte der DW der stellvertretende Leiter des Nationalparks "Belaweschskaja puschtscha", Wassilij Arnolbik. Der weißrussische Wissenschaftler betonte, geschützt seien 80.000 Hektar. Diese Fläche plus 70.000 Hektar angrenzender Forste, also insgesamt 150.000 Hektar, hätten den Status "Nationalpark Belaweschskaja puschtscha". "Auch wenn wir den Wald lichten, zerstören wir nicht den Urwald. Totholz darf nur auf den touristischen Routen weggeräumt werden", sagte Arnolbik.

Er stimmt den Gegnern der Rodungen auf polnischer Seite zu. Ein weiteres großes Problem ist seiner Meinung nach, dass es keine Koordinierung zwischen Weißrussland und Polen gibt, was den gesamten Bialowieza-Urwald angeht. "Wir sind doch ein Ganzes", sagte Arnolbik.