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Streit um Basic Law

Hans Spross29. September 2014

Die Demokratiebewegung in Hongkong will echte Wahlen, Peking will die Bindung Hongkongs an China festigen. Beide berufen sich auf das "Grundgesetz" der "Sonderverwaltungsregion."

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Studentenprotest in Hong Kong Occupy Central 28. Sept
Bild: picture-alliance/AP Photo/Vincent Yu

Die Auseinandersetzung zwischen den Demokratie-Aktivisten in Hongkong und der Führung in Peking entzündet sich derzeit am Modus der Wahl des nächsten Regierungschefs (Chief Executive) von Hongkong. Grund dafür ist zum einen, dass der Chief Executive im Rahmen der politischen Verfassung Hongkongs die dominierende Rolle hat, und zum anderen, dass die Art und Weise seiner Wahl Spielraum für Interpretationen lässt.

Große Machtfülle

Der Chief Executive hat in Hongkongs politischem System, das im sogenannten "Basic Law" festgelegt ist, weitreichende Kompetenzen. Der Regierungschef ernennt Richter und die Ressortleiter seines Kabinetts, er erlässt Dekrete, er genehmigt die Vorlage von Gesetzesvorlagen im Legislativrat (Parlament), die Ausgaben und Einnahmen betreffen, er entscheidet "im Lichte der Sicherheit und des öffentlichen Interesses" darüber, ob Staatsdiener vor Ausschüssen des Parlaments aussagen dürfen. Last but not least ist der Chief Executive die Schaltstelle für alles, was zwischen der Sonderverwaltungsregion HK und der Führung in Peking geregelt werden muss.

Hongkong Li Fei Rede 01.09.2014
Chief Executive Leung Chun-ying (li.) mit Li Fei vom Ständigen NVK-Ausschuss in PekingBild: Reuters

"Basic Law" gewährt Kontinuität

Diese umfassenden Vollmachten entsprechen im Großen und Ganzen den Kompetenzen des früheren Gouverneurs der ehemaligen britischen Kronkolonie Hongkong, der vom Staatsoberhaupt des Vereinigten Königreiches ernannt wurde. Insofern steht die Exekutivverfassung Hongkongs, wie sie im Basic Law niedergelegt ist, in gewisser Weise in Kontinuität zur kolonialen Vergangenheit Hongkongs.

Kontinuität ist auch die Grundlage des Basic Law, der neuen Verfassung Hongkongs unter chinesischer Souveränität. Denn als Hongkong 1997 an China zurückfiel, war im Zuge der langwierigen chinesisch-britischen Verhandlungen festgelegt worden, dass "das sozialistische System in der Sonderverwaltungsregion Hongkong nicht praktiziert wird und dass das vorherige kapitalistische System und das entsprechende Gesellschaftssystem für 50 Jahre unverändert bestehen bleiben." So Artikel 5 des Basic Law.

Demokratische Elemente in Artikel 45

Allerdings enthält das Basic Law explizit auch die Möglichkeit der Veränderung und Entwicklung des politischen Systems. Das zeigt sich insbesondere im Artikel 45, der die Besetzung des Postens des Chief Executive regelt.

Bildergalerie Demonstrationen Hong Kong 29.09.2014
Demonstrantin im Finanzdistrikt am 29.9.Bild: Reuters/Carlos Barria

Dort heißt es: "Die Methode der Auswahl des Chief Executive soll im Lichte der aktuellen Situation und in Übereinstimmung mit einem graduellen und ordnungsgemäßen Fortschritt konkretisiert werden. Das Endziel ist die Auswahl des Chief Executive durch allgemeine und gleiche Wahlen ('universal suffrage'), und zwar" – und hier kommt eine entscheidende Qualifikation - "nach seiner Nominierung durch ein möglichst repräsentatives (broadly representative) Nominierungskomitee im Einklang mit demokratischen Verfahrensweisen."

Bislang wird der Chief Executive von einem Komitee gewählt, in das berufsständische, gesellschaftliche und religiöse Gruppen Vertreter entsenden, ebenso sind dort Abgeordnete Hongkongs im Legislativrat und im chinesischen Volkskongress vertreten. Derzeit besteht das Komitee aus 1200 Mitgliedern. Beobachter innerhalb und außerhalb Hongkongs sind sich einig, dass dieses System vor allem dazu dient, den Einfluss Pekings auf die Politik Hongkongs zu gewährleisten.

Pekings umstrittene Entscheidung zum Wahljahr 2017

Seit etwa 2007 verstärkte sich die Forderung der Demokratiebewegung in Hongkong, dass Peking mit der Gewährung des allgemeinen und gleichen Wahlrechts bei der Wahl des Chief Executive Ernst machen solle. Die Pekinger Führung legte erst Ende August 2014 ihre Entscheidung (nominell die des Ständigen Ausschusses des Nationalen Volkskongresses - NVK) vor. Die Entscheidung führte aus mehreren Gründen zu Empörung bei den Demokratie-Aktivisten.

Hongkong Parlamentswahlen
Kandidaten von Pekings Gnaden: Wahl zum Legislativrat im September 2009Bild: Getty Images

So soll der nächste Chief Executive Hongkongs im Jahre 2017 zwar von allen Wahlberechtigten Hongkongs bestimmt werden dürfen. Aber weiterhin soll die Auswahl der Kandidaten einem Komitee wie dem bereits bestehenden vorbehalten bleiben. Dessen Auswahlmöglichkeiten werden jedoch eingeschränkt: Denn von 2017 an müssen "zwei bis drei Kandidaten" durch mindestens die Hälfte der Komiteemitglieder bestimmt werden, nicht wie bisher durch mindestens 150 von 1200.

Peking kann diese neue Regelung zur Wahl des Chief Executive nicht einfach dekretieren, sondern der Legislativrat Hongkongs muss ihr mit Zwei-Drittel-Mehrheit zustimmen. Dafür wären auch Stimmen des pro-demokratischen Lagers im Legislative Council (Legco) nötig, was offen ist. Für den Fall hat Peking allerdings vorgesorgt: Bei Ablehnung würde der bisherige alte Modus der Wahl des Chief Executive weitergelten.

Hunderte Menschen demonstrieren vor Tiananmen-Jahrestag in Hongkong 1.6.2014
In Hongkong Tradition: Gedenken an Tiananmen-MassakerBild: Getty Images

"Gegen Geist und Buchstaben des Basic Law"

Das Pro-Demokratie-Lager argumentiert, dass Peking mit seiner Entscheidung Geist und Buchstaben des Basic Law widerspricht. Zum einen stehe eine derart eingeschränkte Vorauswahl von Kandidaten für das Amt des Chief Executive in eklatantem Gegensatz zur Idee des "allgemeinen und gleichen Wahlrechts". Die dem Basic Law zugrundeliegende Idee sei es, dass die Hongkonger Bevölkerung zwar graduell, aber zunehmend mehr über ihre eigenen Angelegenheiten entscheiden könne, nicht nur im Wirtschafts- und Rechtssystem.

Durch die Festlegung des Nominierungskomitees, was Zusammensetzung und Abstimmungsmodus betrifft, werde es noch mehr als bisher zu einem bloßen Scheinorgan und Erfüllungsgehilfen der Pekinger Führung, so die Kritiker.

Eine weitere graduelle demokratische Entwicklung Hongkongs, wie in Artikel 45 des Basic Law eigentlich vorgesehen, sei durch die Entscheidung vom 31. August beendet. Sollte der Hongkonger Legislativrat der Entscheidung zustimmen, werde es kein juristisches Argument mehr für weitere Reformen geben, befürchtet Kommentator Frank Ching in der Hongkonger Zeitung "South China Morning Post."

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In Hongkong möglich: Gedenken an das Tiananmen-Massaker am 1. Juni 2014Bild: AFP/Getty Images

Vaterlandsliebe gewährleisten

Pekings Führung legt im Beschluss des Ständigen NVK-Ausschusses von Ende August 2014 offen dar, warum sie eine solche restriktive Auslegung der "allgemeinen Wahl" des Hongkonger Regierungschefs für nötig hält. "Der Chief Executive … ist sowohl gegenüber der Sonderverwaltungsregion HK als auch gegenüber der Regierung der VR China rechenschaftspflichtig … Deshalb muss das Prinzip hochgehalten werden, dass das Amt des Chief Executive von einer Person ausgeübt werden muss, die das Vaterland und Hongkong liebt."

Die Vaterlandsliebe des Chief Executive sei ein "unentbehrlicher Bestandteil" der Politik "Ein Land, zwei Systeme", heißt es in der offiziellen Mitteilung des Beschlusses laut Xinhua. Sie sei auch nötig für die Gewährleistung der langfristigen Stabilität und Prosperität Hongkongs. "Zu diesem Zweck muss die Methode zur Auswahl des Chief Executive durch allgemeine Wahlen die entsprechenden institutionellen Sicherheitsmaßnahmen enthalten."

China Militärparade Militär Armee
In Peking üblich: Militärparade am 60. Jahresstag der Gründung der VolksrepublikBild: Getty Images

Mit anderen Worten: Allgemeine Wahlen dürfen keinesfalls dazu führen, dass jemand ohne feste innere Bindung an die Volksrepublik die Geschicke Hongkongs in die Hand nimmt.