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Kampf um besetzte Flüchtlingsschule

Mathias Bölinger27. Juni 2014

In Berlin haben Flüchtlinge seit Monaten eine ehemalige Schule besetzt. Der Bezirk möchte das Gebäude räumen, schließt aber Gewaltanwendung aus. Ein Tag im Kreuzberger Ausnahmezustand.

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Demonstranten (Bild: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Schon zwei Häuserecken vor dem eigentlichen Ort des Geschehens beginnt die Sperrzone. Am Gitter diskutiert ein junger Mann mit der Polizei. Zwei Mitarbeiter einer Fixerstube warten auf ihre Klienten. Nur Anwohner dürfen das Gebiet rund um die ehemalige Gerhart-Hauptmann-Schule betreten, die seit eineinhalb Jahren von Flüchtlingen besetzt ist. Auch die Drogenabhängigen, die sich in der Fixerstube in einer Seitenstraße unter hygienischen Bedingungen ihre Injektion setzen können, müssen von den Mitarbeitern persönlich an der Polizeisperre vorbeigelotst werden. Eine ehemalige Bewohnerin der Schule wartet darauf, ihre Sachen abholen zu können. Sie wohne jetzt in einem Heim in Spandau, erzählt sie. Drei Monate habe sie in der Schule gelebt - mehr möchte sie nicht von sich erzählen.

Flüchtlinge drohen mit Selbstmord

Die ehemalige Grundschule im Berliner Bezirk Kreuzberg war im Dezember 2012 von Flüchtlingen besetzt worden. Einige Monate zuvor hatten Asylsuchende nicht weit von hier ein Zeltlager errichtet, um gegen die EU-Flüchtlingspolitik und die deutschen Asylgesetze zu protestieren. Das Lager wurde im vergangenen April aufgelöst, das Schulgebäude blieb weiter besetzt. Immer wieder war die ehemalige Hauptschule in den letzten Monaten in den Schlagzeilen. Von unhaltbaren hygienischen Zuständen war die Rede. Die Bewohner wurden mit den Drogendealern im nahegelegenen Görlitzer Park in Verbindung gebracht. Im April dann erstach einer der Bewohner einen anderen. Offenbar war ein Streit um die einzige Dusche in dem Gebäude eskaliert.

Tur zur Gerhart-Hauptmann-Schule (Bild: dpa)
Die Schule wird von der Öffentlichkeit abgeschirmtBild: picture-alliance/dpa

Gerüchte über eine Räumung kursierten deshalb seit mehreren Monaten. Vor einigen Tagen hatte ein Vertreter der Bezirksregierung die Flüchtlinge besucht. Er forderte sie zum Verlassen der Schule auf. Am Dienstag riegelte die Polizei das Gebiet ab. Etwa 190 Flüchtlinge verließen das Gebäude. Sie wurden in Flüchtlingsheime gebracht. Ihnen wurde zugesagt, dass ihre Asylanträge erneut geprüft werden. 40 weitere weigerten sich. Sie harren seit Dienstag in der abgeriegelten Schule aus, zum Teil auf dem Dach. Einige haben gedroht, sich hinunterzustürzen.

Grünes Dilemma

Die Situation ist ein wenig grotesk. Mehrere tausend Polizisten haben das Gebiet weiträumig abgeriegelt, nicht einmal die Presse hat Zutritt zu dem Bereich. Gleichzeitig schließt Kreuzbergs Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann von den Grünen eine gewaltsame Räumung der Schule aus und möchte eine Lösung in Verhandlungen finden. Das Wort "Räumung" ist in Kreuzberg ein Reizwort, fanden doch hier in den 1980er Jahren die Kämpfe um die besetzen Häuser statt. Die Grünen selbst haben ihre Wurzeln in dem linksalternativen Milieu, das sich rund um diese Hausbesetzer bildete. Und da sie außerdem eine andere Flüchtlingspolitik fordern, wollen sie nun auf keinen Fall als diejenigen wahrgenommen werden, die die Flüchtlinge mit Gewalt vertreiben.

Demonstranten mit Transparent (Bild: dpa)
Die Flüchtlinge fordern Bleiberecht und eine andere AsylpolitikBild: picture-alliance/dpa

Herrmann hatte versucht, sich aus diesem Dilemma zu befreien, indem sie versprach, in dem Gebäude werde der Bezirk ein "Flüchtlingszentrum" mit einem Wohnbereich und Räumen für Projekte einrichten, nachdem die Flüchtlinge die Schule verlassen haben. Doch die vierzig verbliebenen Besetzer wollen darauf nicht eingehen. "Unsere Forderung ist simpel: Wir wollen hier drin bleiben", sagt eine Bewohnerin, die sich als "Sista Mimi" vorstellt, am Telefon. Eine andere Aktivistin erklärt, die Flüchtlinge verlangten direkte Gespräche mit dem Innensenator Frank Henkel. Dieser solle ein dauerhaftes Bleiberecht für die Bewohner aussprechen. Der allerdings hat das mehrfach abgelehnt. Im Fernsehen erklärte er sich am Donnerstagabend (26.06.2014) für nicht zuständig: "Der Bezirk hat jetzt die Verantwortung, über Gespräche, über den Dialog eine Lösung zu suchen." Und nicht nur der konservative Innensenator scheint das Bild der Überforderung zu genießen, das die grüne Bezirksregierung abgibt. Nachmittags hatten sich erneut Unterstützer der Flüchtlinge vor den Absperrungen versammelt, um zu demonstrieren. Während die Demonstranten in Sprechchören ihrer Empörung Luft machten, kam Reza Amiri, Abgeordneter der Linkspartei im Bezirk, an das Gitter. "Das ist eine dumme, falsche Politik", erklärte er den Demonstranten. "Von einer 'friedlichen Räumung' kann hier wirklich keine Rede sein."

Dann lag plötzlich einen kurzen Moment lang Eskalation in der Luft. Eine Gruppe Journalisten wurde hinter die Absperrung gelassen, durfte aber nicht in die Schule. "Lasst die Presse rein", skandierten die Demonstranten. Unter ihnen waren junge Menschen ebenso wie ergraute Anwohner, die bereits in den 1980er Jahren an den Häuserkämpfen teilgenommen haben könnten. Als immer mehr Demonstranten am Gitter rüttelten, kamen auch mehr Einsatzkräfte angerannt. Ein Polizist und ein Demonstrant versuchten, sich gegenseitig ein Transparent aus den Händen zu reißen. Polizisten zückten Pfeffersprayflaschen, einige junge Männer stellten sich in Angriffspose vor die Beamten. Dann beruhigte sich die Lage plötzlich wieder. Ein Ausweg aus dem Dilemma ist damit aber immer noch nicht gefunden.

Demonstranten vor der Schule (Bild: dpa)
Die Demonstranen fordern den Abzug der PolizeiBild: picture-alliance/dpa