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Kampf der Biopiraterie!

Sonia Phalnikar19. Januar 2015

Wie können artenreiche Länder ihre Natur und ihr traditionelles Wissen schützen, wenn Firmen diese Ressourcen nutzen wollen, um daraus Saatgut oder Heilmittel zu entwickeln? Ein globales Abkommen könnte die Antwort sein.

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Eine traditionelle indische Gewürzdose mit gelbem Kurkuma (Foto: Florent Martin)
Kurkuma oder Gelbwurz ist ein Alltagsgewürz in der indischen Küche und ist auch bekannt für seine entzündungshemmende WirkungBild: Florent Martin

Auf den ersten Blick könnten die Hoodia- und die Kurkuma-Pflanzen kaum unterschiedlicher sein. Die eine ist ein dorniger Kaktus, wächst in der Kalahari-Wüste und wird traditionell von den San-Buschleuten genutzt, um während des Jagens den Hunger zu unterdrücken. Die andere, heimisch in Indien, wird als Gewürz eingesetzt, aber auch als Heilmittel für verschiedene Leiden.

Aber 1996 fanden sich beide Pflanzen im Mittelpunkt eines Streits um "Biopiraterie". Eine Pharmafirma hatte die appetithemmenden Stoffe der Hoodia-Pflanze ohne die Zustimmung der San lizensiert und daraus eine Schlankheitspille entwickelt. Und eine US-Firma patentierte die Nutzung von Kurkuma - auch Gelbwurzel genannt - wegen ihrer wundheilenden Eigenschaften, obwohl die Wurzel in Indien schon seit Jahrhunderten für den gleichen Zweck eingesetzt wird.

Diese kommerzielle Vereinnahmung provozierte einen öffentlichen Aufschrei - man konnte sich schließlich einigen und den Streit beilegen. Aber dieser prominente Fall unterstreicht, wie biologische Ressourcen und lokales Wissen den Pharmafirmen, Biotech-Unternehmen oder Wissenschaftlern regelrecht ausgeliefert sind - in vielen Fällen ohne Einbeziehung oder Kompensation jener Gemeinschaften, die sie als erste entdeckt und seit Jahrhunderten genutzt haben.

'Eine riesige Chance'

Jetzt gibt es Hoffnung, dass ein grundlegendes internationales Abkommen helfen kann, das Problem zu bekämpfen. Im Oktober 2014 trat das #link:http://www.cbd.int/abs/about/:Nagoya-Protokoll# in Kraft. Es ist Teil der bekannteren UN-Artenschutz-Konvention (CBD) von 1993.

Unterschrieben von mehr als 90 Ländern zielt das Protokoll darauf ab, dass artenreiche Entwicklungsländer nicht länger ein uneingeschränktes Spielfeld für Forschungsunternehmen sind, die nach Pflanzen, Tieren und anderem biologischen Material suchen, um daraus neue Medikamente, Saatgut und Impfstoffe zu entwickeln, zu patentieren und zu verkaufen. Das Protokoll soll Ländern Anreize bieten, ihren Naturreichtum zu schützen und gleichzeitig Unternehmen in die Lage versetzen, auf nachhaltige Weise aus biologischen Ressourcen neue Produkte zu entwickeln.

Dabei ist es immer drängender, die schwindende Artenvielfalt der Welt zu schützen. Ein #link:http://www.livingplanetindex.org/home/index:Bericht der Londoner Zoologischen Gesellschaft# kam vergangenes Jahr zu dem Schluss, dass die wild lebenden Populationen von Säugetieren, Vögeln, Reptilien, Amphibien und Fischen in den letzten 40 Jahren um die Hälfte geschrumpft sind.

"Das Nagoya-Protokoll ist eine große Chance, die Kosten für den Artenschutz für alle Beteiligten zu senken", sagte CBD-Generalsekretär Braulio Ferreira gegenüber dem Inter Press Service im vergangenen Jahr.

Den wirtschaftlichen Nutzen aufteilen

Das Protokoll verlangt, dass Wissenschaftler sogenannte "Zugang- und Nutzen"-Abkommen (engl. "Access and Benefit" - ABD) mit artenreichen Ländern abschließen müssen. Demnach müsste etwa eine europäische Biotech-Firma, die im brasilianischen Amazonas-Regenwald Pflanzenproben sammelt, um daraus Medikamente zu entwickeln, ihre Profite mit der brasilianischen Regierung teilen und ebenso mit den lokalen Bewohnern, die Pflanzen traditionell nutzen.

Im Gegenzug würde von der brasilianischen Regierung erwartet, dass sie mit diesen Einkünften den Artenschutz unterstützt. Die Firma könnte nur nach spezieller Erlaubnis vor Ort forschen und Pflanzen sammeln und nutzen. Gesetze dieser Art gibt es bereits in einigen Ländern. Aber mit dem Nagoya-Protokoll existiert zum ersten Mal ein rechtlich bindendes internationales System, das eine gerechte Verteilung der Einkünfte sicherstellen soll.

"In der Artenschutzkonvention war die kommerzielle Nutzung genetischer Ressourcen weitgehend unreguliert", sagt Krystyna Swiderska, eine Forscherin vom Internationalen Institut für Umwelt und Entwicklung in London. "Aber das Nagoya-Protokoll ist ein stärkeres rechtliches Instrument, das von den Nutzerländern (der genetischen Ressourcen) Maßnahmen verlangt, die sicherstellen, dass die Zugangs- und Nutzen-Abkommen der artenreichen Geberländer eingehalten werden."

'Ein nützliches Werkzeug'

Außerdem gehe das Nagoya-Protokoll stärker auf die Belange indigener und lokaler Gemeinschaften ein, die oft eine wichtige Rolle dabei spielen, traditionell angebaute Sorten und Heilpflanzen zu kultivieren und zu erhalten, so Swiderska.
Sie weist darauf hin, dass das Protokoll von den Ländern verlangt, sogenannte "Gemeinschaftsprotokolle" zu unterstützen. Das sind Regeln, die es Gemeinden erlauben, festzulegen, wie genau der Zugang zu biologischen Ressourcen erfolgen sollen und Erlöse daraus genutzt werden. Einige Beispiele zeigen, wie das funktionieren könnte.

Swiderska sagt, dass die von Bauern im "#link:http://www.parquedelapapa.org/:Kartoffelpark#" in Peru entwickelten Gemeindeprotokolle geholfen haben, traditionelle Anbausorten zu bewahren und die Erlöse aus ihrer kommerziellen Nutzung gerecht unter den beteiligten Gemeinden zu verteilen. In einem anderen Fall haben #link:http://www.scidev.net/global/indigenous/opinion/making-the-nagoya-protocol-work-at-the-community-level.html:traditionelle Heiler in Bushbuckbridge# in Südafrika mithilfe von Gemeindeprotokollen Heilpflanzen schützen und effektiver mit einer Kosmetikfirma über deren Nutzung verhandeln können.

“Gemeindeprotokolle für die ABDs sind ein nützliches Werkzeug, um Gemeinden ihre Rechte an traditionellem Wissen und genetischen Ressourcen zu sichern und den Artenschutz zu verbessern", sagt Swiderska.

Der Teufel steckt im Detail

So weit, so gut. Aber einige Experten weisen darauf hin, dass die Umsetzung problematisch ist. Die Protokolle hängen davon ab, wie effektiv die artenreichen Länder den Zugang und Nutzen rechtlich umgesetzt haben, sagt Shalini Bhutani, eine Artenschutzexpertin bei Kalpavriksh, einer indischen Umweltorganisation.

"Der Artenschutz in Indien und die technischen und administrativen Kapazitäten dafür sind schwach entwickelt", sagt Bhutani. "Mit der Umsetzung des Nagoya-Protokolls hapert es auf allen Ebenen." Und das, obwohl das Land bereits 2002 ein Artenschutz-Gesetz verabschiedet und einige Erfahrung mit Zugangs-Nutzen-Abkommen hat.

Sie weist auf ein Abkommen von 2007 hin, das Indiens nationale Artenschutzbehörde mit Pepsi abschloss, nachdem der Limonadenhersteller rund 64.000 Euro zahlte, um Zugang zu einer Art von trockenem Seegras aus dem Golf von Mannar im südlichen Bundesstaat Tamil Nadu zu erhalten und es für die kommerzielle Nutzung in der Lebensmittel- und Kosmetikindustrie nach Südostasien auszuführen.

Doch die betroffenen Gemeinden Tamil Nadus warten bis heute darauf, dass die Erlöse bei ihnen ankommen, sagt Bhutani. "Wir haben kein System, um zu überwachen, was passiert, nachdem der Zugang gewährt wurde. Und das bedeutet, wir müssen ernsthaft fragen, ob der versprochene Nutzen wirklich existiert, bei den beteiligten Gemeinden ankommt und langfristig in den Artenschutz investiert wird", sagt sie.

Dazu kommt, dass indigene Gemeinden zu den ärmsten Gruppen gehören, so Bhutani. Oft hätten gerade sie keine Lobby, um ihren Anspruch auf die Erlöse von der Regierung einzufordern.

Stellen Handelsinteressen den Artenschutz in den Schatten?

Eine andere Sorge ist, dass das Nagoya-Protokoll von Handelsinteressen dominiert wird und weniger von Prioritäten des Artenschutzes. Viele Regierungen der "Nehmer"-Länder sind vor den kommerziellen Interessen praktisch eingeknickt, was die Effektivität der neuen Regeln verwässere, sagen einige. "Die Industrie-Lobby hat sich stark für freiwillige statt rechtlich bindender Maßnahmen eingesetzt", erläutert Krystyna Swiderska. "Die entsprechenden Regeln der Europäischen Union und Großbritanniens fordern im Kern nur eine Sorgfaltspflicht ein. Was die Überwachung von Verstößen und Strafen angeht, sieht es eher mau aus."

Auch Indien sieht sich dem Druck von Firmen aus Europa, Nordamerika und Japan ausgesetzt, die nach Zugang zum Artenreichtum des Landes streben, sagt Bhutani. "Die Erlaubnis, dass Firmen Zugang zu den Ressourcen erhalten, ist der Ausgangspunkt für den ganzen ABS-Mechanismus", so Bhutani. "Damit ist das Nagoya-Protokoll, das eigentlich ein Artenschutz-Vertrag sein sollte, zu einem kommerziellen Abkommen geworden."

Doch auch in der Industrie gibt es einen Bewusstseinswandel, sagt Maria Julia Oliva. Sie arbeitet für die Union für ethischen Biohandel in den Niederlanden und berät Unternehmen zu Themen sozialverträglichen Handels. Pharmafirmen und die Biotech-Industrie hätten ein wachsendes Interesse zu verstehen, wie das Nagoya-Protokoll und die darin enthaltenen Regeln zum Zugang zu biologischen Ressourcen umgesetzt werden.

"Auf den Handelsmessen für Lebensmittel oder Kosmetika gibt es immer mehr Events zu dem Thema. Die Stimmung hat sich wirklich gedreht", sagt sie.

Umweltschützer halten es für verfrüht zu sagen, dass das Nagoya-Protokoll hilft, der Biopiraterie zu begegnen sowie den Artenschutz und die Rechte indigener Gemeinden zu stärken. Andere sind aber der Ansicht, dass es den Tenor der ganzen Debatte bereits erfolgreich verändert hat.

"Das Protokoll hat dazu beigetragen, dass wir davon wegkommen, nur die Artenvielfalt zu schützen. Es wird jetzt realisiert, dass man sie aktiv erforschen muss, um daraus einen Nutzen zu generieren und Technologien zu entwickeln, die aus einem Blatt ein Produkt machen, das einem Geld bringt", sagt Maria Julia Oliva. "Die Länder versuchen, Unternehmen aktiv zu involvieren, aber so, dass es auf gerechte und nachhaltige Weise geschieht."

Symbolbild Tabletten (Quelle: Quelle:https://www.flickr.com/photos/cosmoflash/2392022758 Foto: CC BY SA 2.0/ cosmo flash)
Artenschutz oder Kommerz? Viele sind skeptisch, ob Pharmafirmen und andere große Unternehmen wirklich am Umweltschutz interessiert sindBild: CC BY SA 2.0/ cosmo flash
Ein Mann von der Dongria Kondh Gemeinde in Indien steht in einem Wald
Indigene Völker wie die Dongria Kondh in Indien haben keine Lobby, um ihren Anspruch auf die Erlöse von der Regierung einzufordernBild: Lewis Davies/Survival International
Dichtes grünes Blätterdach eines Regenwaldes (Photo: Phil P Harris / cc-by-sa-2.5/ Quelle: http://en.wikipedia.org/wiki/Amazon_rainforest#mediaviewer)
Der Amazonas Regenwald in Brasilien beherbergt eine riesige ArtenvielfaltBild: cc-by-sa-2.5/Phil P Harris
Heilpflanzen auf einem Markt in Madagaskar
Artenreiche Entwicklungländer haben viele einheimische medizinische Pflanzen, an der Pharmaunternehmen sehr interessiert sindBild: cc-by-sa-3.0/Marco Schmidt