Alte Konflikte
4. Januar 2008Noch im Sommer 2007 hatte der kenianische Außenminister Raphael Tuju auf dem Gipfeltreffen der ostafrikanischen Staatschefs selbstbewusst verkündet, Kenia sei nicht Afrika. Gemeint hatte er die blutigen Konflikte in Kongo und Darfur, die Anarchie im nördlichen Nachbarland Somalia und die menschenverachtende Diktatur eines Robert Mugabe in Simbabwe. Sein Land dagegen sei eine beständige Erfolgsgeschichte, so der Minister. Kenia (das in etwa so groß ist wie die iberische Halbinsel) habe keine Militärputsche, keinen Bürgerkrieg und auch keine sozialistischen Experimente, so der Minister.
Statt dessen werben Reisekataloge in schillernden Farben für das Safari-Paradies in Ostafrika, die Wirtschaft zeigt beachtliche Wachstumsraten. Lange Zeit galt Kenia als stabiler Vielvölkerstaat. Und auch unabhängige Experten prophezeiten Kenia zusammen mit Südafrika und Ghana eine Vorreiterrolle bei der Entwicklung des gesamten Kontinents. "Wir haben aus den Fehlern unserer Nachbarn gelernt", hatte Tuju daher auf dem Gipfeltreffen stolz verkündet.
Alte Konflikte
Doch die umstrittenen Wahlen haben alte Konflikte wieder aufbrechen lassen, die Unruhen sind auch eine Folge der in Kenia immer noch fest verwurzelten Stammeszugehörigkeit: Rund 40 Volksgruppen leben in dem ostafrikanischen Land, zu den größten zählen mit rund 21 Prozent die im zentralen Hochland siedelnden Kikuyu, denen auch der zum Sieger der Präsidentenwahlen erklärte Mwai Kibaki angehört. Die zu den Bantu gehörenden Kikuyu sind traditionell Bauern und spielten bei der Unabhängigkeit des Landes eine wichtige Rolle. Heute gelten sie als wirtschaftlich sehr stark und in den Augen der anderen Stämme haben nur die Kikuyu vom wirtschaftlichen Aufschwung der vergangenen Jahre profitiert.
Genau diese wirtschaftliche Dominanz werfen ihnen Gegner, die mehrheitlich wie Oppositionskandidat Raila Odinga dem Stamm der Luo angehören, vor. Die Luo leben im Westen Kenias in der Region am Victoriasee an der Grenze zu Uganda. Mit einem Anteil von etwa 13 Prozent an der Gesamtbevölkerung konkurrieren sie schon lange mit den Kikuyu um Machtpositionen in Staat und Gesellschaft und konnten dabei auf Unterstützung verwandter Volksgruppen rechnen. Zu Odingas Wahlbezirk Langata in Nairobi gehört eine der größten Armensiedlungen Afrikas, deren mehrheitliche Luo-Bevölkerung ihn fanatisch verehrt.
Kenia ist korrupt
Touristen lernen meist nur die Massai kennen, ein Hirtenvolk, das in den großen Ebenen des Südens lebt, wo auch die Nationalparks liegen. Die Massai machen allerdings nur etwa 1,6 Prozent der kenianischen Bevölkerung aus. Die Kalenjin wiederum sind bekannt für ihre Langstreckenläufer, die Kenia schon zahlreiche Medaillen und Weltrekorde eingebracht haben. Auch Daniel Arap Moi, der zwischen 1978 und 2002 Präsident in Kenia war, gehört den Kalenjin an.
Bereits unter ihm deutete sich die vertiefende gesellschaftliche Krise in Kenia an, bereits damals hatte der kenianische Intellektuelle und Journalist John Githongo über die maßlose Bereicherung einer kleinen Schicht "fetter Katzen" in Kenia auf Kosten der bettelarmen übergroßen Mehrheit geklagt. Weit mehr als die Hälfte der Bevölkerung lebt heute - mehr als vier Jahrzehnte nach der Unabhängigkeit - unterhalb der Armutsgrenze.
Kein Anteil am Aufschwung
Anfangs hatte Kibaki, der vor seiner ersten Wahl im Dezember 2002 den Kampf gegen die Korruption versprach, sich mit Männern wie Githongo geschmückt. Er machte ihn zum Chef einer neuen Anti- Korruptions-Behörde. Drei Jahre später floh Githongo, der wie Kibaki dem Kikuyu-Volk angehört, vor seiner eigenen Regierung nach London. Inzwischen wird auch Kibaki Vetternwirtschaft vorgeworfen. Die Organisation Transparency International weist Kenia mit Platz 144 von 159 Ländern als einen der korruptesten Staaten der Welt aus.
Grundlage des Konflikts sei, dass bis heute die meisten Kenianer nicht vom Wirtschaftsaufschwung der vergangenen Jahre profitiert hätten, sagt Professor Rolf Hofmeier, Afrikaexperte am Hamburger Institut für Afrika-Kunde. Kibaki werde offensichtlich von einflussreichen Wirtschaftskreisen, "die um ihren Einfluss und ihre Pfründe fürchten", gedrängt, an der Macht zu bleiben. Die derzeitige Welle der Gewalt führt Hofmeier zum großen Teil auf die sozialen und ethnischen Konflikte in Kenia zurück. "Teils geht die Gewalt schlicht vom Mob aus den Vorstädten aus, die die Gelegenheit nutzen und Geschäfte zu plündern". Teils eskalierten an "den geografischen Konfliktlinien" alte Konflikte etwa über Landrechte. Dies zeigten auch die jüngsten Übergriffe auf die Kikuyu in einer Kirche.
Ermordet wurden sie offenbar dafür, dass sie Kikuyu waren - also dem Volk des Präsidenten Mwai Kibaki angehörten, dem Oppositionsführer Raila Odinga vom Volk der Luo wohl nicht zu Unrecht vorwirft, Kenias Wahlen gefälscht zu haben. (ina)