Drei Engel für Mazedonien
23. Mai 2016Lumi Bekiri ist schon ein bekanntes Gesicht bei der "Bunten Revolution" in Mazedonien. Seit Wochen macht die 21-jährige Studentin bei den Demonstrationen in der Hauptstadt Skopje mit - und reist dafür stets die 30 Kilometer aus ihrer Heimatstadt Kumanovo an. Jeweils gegen 18 Uhr am Abend versammeln sich die Demonstranten dann vor dem Sitz der SJO, der neugegründeten Sonderstaatsanwaltschaft. Nicht aus Protest, sondern als Zeichen der Unterstützung.
"Die Ermittlerinnen sind ein starker Hoffnungsschimmer", sagt Bekiri. "Sie sind die Hoffnung und die Stützen für den Staat, den wir für die Zukunft aufbauen wollen. Da wird die Justiz respektiert und wir alle werden vor dem Gesetz gleich sein."
Die täglichen Proteste begannen, als klar wurde, wer alles in den jüngsten Abhörskandal verwickelt ist. Die Aktion, von Rechtsexperten als zutiefst verfassungsfeindlich eingestuft, hat das Land in eine noch tiefere politische Krise gestürzt. Es heißt, dass die Regierungspartei VMRO-DPMNE die Sache koordiniert hat - als einen Angriff auf die Sonderstaatsanwaltschaft SJO. Dabei hat diese genau den Auftrag, solche Machenschaften und das Abhören von mehr als 20.000 Menschen in Mazedonien aufzuklären.
Die "Bunte Revolution" hat drei Heldinnen
Die sogenannte "Bunte Revolution" in Mazedonien gibt sich optimistisch. Für Bekiri und die vielen anderen Demonstranten ist klar: Dies ist ein Signal an Ministerpräsident Nikola Gruevski und seine engsten Verbündeten, dass - im übertragenen Sinne - ihr Schiff sinken könnte. Vor einem Jahr oder so hätte man sich das noch nicht vorstellen können in diesem Land, in dem die Menschen in den Cafés und Bars Angst haben, die Regierung öffentlich zu kritisieren. Für viele Bürger gilt das auch heute noch.
Und es hat schon seine eigene Symbolik, dass es ausgerechnet ein weibliches Trio ist, das in diesem größten Skandal aufräumen will. Ein Skandal, der auf Einschüchterungen und Vetternwirtschaft beruht, aber eben auch darauf, die Gleichberechtigung der Frau einzuschränken. Er beruht auf Machogehabe, auf Chauvinismus, auf Homophobie und - auf Frauenfeindlichkeit.
Die Silhouetten der drei Ermittlerinnen Katica Janeva, Fatime Fetai und Lence Ristoka kann man inzwischen auf T-Shirts sehen, auf Plakaten sowieso, auf Fahnen, Ansteckern und sogar auf Kaffeebechern. Das T-Shirt mit dem Slogan "Unterstützung für SJO" ist inzwischen ein sehr beliebtes Kleidungsstück in Mazedonien. Designer haben sogar schon verschiedene Modelle entworfen - und zur Unterstützung der Bewegung kann man sie im Internet gratis bestellen.
Das Geschlecht der Ermittlerinnen sollte eigentlich keine Rolle spielen. Doch in Mazedonien ist es noch ein langer Weg zur Gleichberechtigung von Frauen - im Berufsleben, in der Politik, aber auch im ganz persönlichen Alltag. Die Staatsanwältin Fatime Fetai sagt, die Reaktionen auf ihre Arbeit in der SJO zeigten, dass Mazedonien ein stärkeres Gewicht von Frauen in der Politik, in der Wirtschaft und im Kulturleben benötige. "Die Berufung von drei Staatsanwältinnen ist eine Reaktion auf diesen Umstand, auf diesen Trend innerhalb der Gesellschaft Mazedoniens." Der DW sagt die prominente Juristin: "Ich denke, es ist wichtig, die Tatsache zu unterstreichen, dass eine Frau die Last der kompliziertesten Arbeit für die Gesellschaft übernehmen und dabei erfolgreich sein kann."
Auch ihre Kollegin Ristoka betont, dass es mit der Gleichberechtigung von Frauen in Mazedonien noch nicht weit her ist, auch wenn das die Gesetze bereits anders vorschreiben. "Deshalb ist es so wichtig, die vielen Beispiele von erfolgreichen Frauen herauszustellen. Und die Herausforderungen, die sie beim Erreichen ihrer Karriereziele gemeistert haben", so Lence Ristoka im Gespräch mit der DW.
Ethnische Konflikte
Mazedonien ist eine Gesellschaft mit komplizierten Verhältnissen zwischen ethnischen Gruppen. Vorurteile gegenüber Minderheiten - speziell gegenüber der albanischen Minderheit, die etwa 25 Prozent der Bevölkerung ausmacht - wurden instrumentalisiert, etwa durch die regierungsfreundlichen Medien.
Fatime Fetai ist albanischer Abstammung. Sie glaubt, dass Menschen mit unterschiedlichem ethnischen Hintergrund eigentlich keine Probleme miteinander haben. Aber die in Mazedonien herrschende Klasse habe diese Konflikte geschürt. "Die politische Agenda, die Interessenlage und der Erfolg der politischen Elite haben dazu geführt, dass es mit diesem Land so weit gekommen ist. Das alles basiert auf Abwertung, und schließlich dachten viele Bürger, dass ein friedliches Zusammenleben der ethnischen Gruppen gar nicht möglich sein kann", analysiert Fetai.
Die Staatsanwältinnen werten die vielen positiven Reaktionen auf ihre Arbeit als Zeichen dafür, dass Mazedonien in dieser Hinsicht reifer geworden ist. Dabei habe auch ihre albanische Herkunft eine Rolle gespielt, sagt Fetai. Am Ende sei die Erkenntnis gereift, dass "wir alle gleich sind und die gleichen Rechte haben".
Die Studentin Bekiri und ihre Freunde wollen ihre "Bunte Revolution" so lange fortsetzen, bis Staatspräsident Gjorge Ivanov seine Amnestie zurückgenommen hat - für alle Politiker, die im Zusammenhang mit dem Abhörskandal beschuldigt werden. Die Demonstranten verlangen die Schaffung eines speziellen Strafgerichts. Ein solches Gericht sollte sich alle Fälle vornehmen, in denen die SJO ermittelt. Und es könnte sich auch mit den organisatorischen Fragen befassen, um demnächst faire Wahlen zu gewährleisten.
Die Revolution geht weiter
"Ich bin zuversichtlich, dass die Sonderstaatsanwaltschaft ihre Arbeit komplett abschließt, und meine Zuversicht ziehe ich aus den Möglichkeiten, die unsere Strafverfolgung bietet", erklärt Ermittlerin Fetai. "Und ich bin mir sicher: Wir werden auf der richtigen Seite der Geschichte stehen."