1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Jordaniens Mittelstand rebelliert

4. Juni 2018

Nach tagelangen Protesten ist der jordanische Premierminister Hani al-Mulik von seinem Amt zurückgetreten. Das Land steht international unter Druck. Einen Teil der Probleme halten die Demonstranten aber für hausgemacht.

https://p.dw.com/p/2yvMH
Jordanien Proteste
Bild: picture-alliance/Photoshot/M. Abu Ghosh

Tagelang waren die Jordanier auf die Straße gegangen, nun zeigte ihr Protest Wirkung: Ministerpräsident Hani Mulki trat zurück. Immer stärker war der Druck zuletzt gewachsen, so dass der Premier sich entschloss, König Abdullah II. seinen Rücktritt anzubieten. Der Monarch nahm an und beauftragte Bildungsminister Omar al-Rassas mit der Bildung einer neuen Regierung.

Seit Mittwoch hatten tausende Jordanier bei landesweiten Protesten gegen die Sparmaßnahmen der Regierung protestiert und Mulkis Rücktritt gefordert. Waren es am Samstag noch etwa 3000 Demonstranten, die in Amman vor den Amtssitz des Regierungschefs zogen, waren es am Sonntag bereits 5000.

Amman, die teuerste Stadt der arabischen Welt

Ausgelöst hat den Protest ein Gesetzentwurf der Regierung, mit dem Vorgaben des Internationalen Währungsfonds (IWF) umgesetzt werden sollten. Die Einkommensteuer solle um mindestens fünf Prozent angehoben werden, auch sollen die Unternehmenssteuern um 20 bis 40 Prozent erhöht werden.

Jordanien Hani Mulki
Zurückgetreten: Premierminister Hani al-MulikBild: Imago

Der Zorn der Jordanier reicht allerdings tiefer, sagt Tim Petschulat, Leiter des Büros der Friedrich-Ebert-Stiftung in Amman. Amman gelte einer Studie des "Economist" zufolge als teuerste Hauptstadt in der gesamten arabischen Welt. Die Lebenskosten seien deutlich höher als etwa Dubai  und Abu Dhabi - bei gleichzeitig viel geringeren Gehältern. Dieser Umstand bereite den Jordaniern erhebliche Probleme. "Die übliche Miete für eine Vier-Zimmer-Wohnung beträgt mindestens 350 jordanische Dinar im Monat. Wenn das Durchschnittseinkommen bei 400 Dinar (umgerechnet 500 Euro, Anm. d. Red.) liegt, kann man sich vorstellen, dass dann nicht mehr viel übrig bleibt. Dazu kommen Kosten für Gesundheit, auch für Bildung. Es gibt zwar einen staatlichen Bildungssektor. Aber die Mittelschicht will ihren Kindern schon eine gute Bildung garantieren. Daher werden Kinder oft an Privatschulen angemeldet, die natürlich Geld kosten."

Schwierige geopolitische Lage

Gewiss, Jordaniens geographische Lage sei nicht einfach, räumt die in Amman ansässige freie Journalistin Rana Sabbagh ein. Das Land verfüge über keinerlei Bodenschätze. Zugleich sei es angesichts von Krieg und Terror in einigen seiner den Nachbarländern gezwungen, einen großen Teil seines Haushalts in Sicherheit und Militär zu investieren.

Das trage dazu bei, dass der öffentliche Sektor kaum mehr Arbeitskräfte absorbieren könne. Jahr für Jahr strömten 60.000 junge Absolventen auf den Arbeitsmarkt. "Zugleich steht der Privatsektor unter erheblichem Druck, denn Jordanien kann kaum etwas exportieren: Saudi-Arabien, der Irak, Syrien oder die Golfregion sind aufgrund der gegenwärtigen politischen Situation recht verschlossen. Wir zahlen für unsere geopolitische Lage einen sehr hohen Preis", sagt die Journalistin. 

Vorwurf: Hohe Steuern, wenig Gegenleistung

Was ihre Landsleute aber aufbringe, sei der Eindruck, die öffentliche Hand lasse es an Effizienz vermissen. Neben dem Bildungssystem sei auch die Infrastruktur veraltet. "Das haben die Leute satt. Sie zahlen enorme hohe Steuern und erhalten im Gegenzug sehr wenig." Hinzu kämen die hohen Belastungen des Staatshaushalts durch die Gehälter der öffentlichen Angestellten und Beamten. Auch die Pensionen für ehemalige Minister schlügen enorm zu Buche.

Als direkter Nachbar Syriens hat Jordanien über eine Millionen Kriegsflüchtlinge aufgenommen. Internationale Hilfen haben Jordanien bislang allerdings erst in Teilen erreicht. Das UN-Flüchtlingshilfswerk hat einen dringenden Appell an die internationalen Geldgeber gerichtet, ihre Hilfszusagen für die syrischen Flüchtlinge einzuhalten. Bisher hätten die Geldgeber erst ein Fünftel der benötigten 4,8 Milliarden Euro für das laufende Jahr überwiesen, sagte der UNHCR-Direktor für den Mittleren Osten und Nordafrika, Amine Awad in der vergangenen Woche.

Jordanien Flüchtlingslagers Zatari
Fast eine Stadt: das Flüchtlingslager Zatari Bild: picture-alliance/dpa/J. Nasrallah

Bislang allerdings gingen die Jordanier mit den durch die Flüchtlingskrise aufgebrachten Herausforderungen vergleichsweise gelassen um, sagt Tim Petschulat. Nennenswerten Ressentiments gegen Flüchtlinge habe es bislang nicht gegeben. "Das liegt daran, dass die syrischen Flüchtlinge mit den Jordaniern nicht um Sozialleistungen konkurrieren. Auch auf dem Arbeitsmarkt gibt es diese Konkurrenz nicht. Die jordanische Regierung hat den Arbeitsmarkt zwar für Syrer geöffnet, allerdings nur für gewisse Bereiche wie etwa die Gastronomie oder das Baugewerbe, in denen Jordanier selbst nicht tätig sind."

Der Mittelstand begehrt auf

Die Proteste dieser Tage haben so viele Menschen wie nie zuvor auf die Straße gebracht. Es sind mehr als im Jahr 2011, als eine Protestwelle durch weite Teile der arabischen Welt rollte. Ihr falle vor allem eines auf, sagt Rana Sabbagh: Die derzeitigen Demonstranten seien dezidiert säkular. "Es sind nicht die Islamisten, die ständig alles dominieren wollen. Die Leute, die jetzt demonstrieren, gehören jenem Rest an, der von der Mittelklasse übrig geblieben ist. Es sind junge Jordanier."

Die Menschen, die nun protestierten, gehörten ihrer Ausbildung nach zur Elite der Gesellschaft. "Sie haben alle eine Universität besucht und sind durch das Internet - über Facebook und Twitter - mit der Welt verbunden. All das freut mich sehr. Wir haben eine Mittelklasse, die sich nun artikuliert."

Jordanien Proteste
Der Zorn der Ausgebildeten: Amman, 4. Juni 2018Bild: picture-alliance/AP Photo/R. Adayleh

"Jordanier sind bereit, Opfer zu bringen"

Jordanien sei eines der wenigen stabilen Länder im Nahen Osten, sagt Tim Petschulat. Darum sei der Westen gut beraten, ihm entgegenzukommen - auch finanziell. "Wenn man sich ein stabiles Land im Nahen Osten erhalten will, dann muss man ihm etwas Luft zum Atmen lassen. Und das heißt, man muss ihm weiter Finanzierungsmöglichkeiten verschaffen, ohne den Druck auf die wirtschaftlichen Bedingungen der Bevölkerung stark zu erhöhen."

Ebenso aber, sagt Rana Sabbagh, seien auch die Jordanier selber gefragt. Das Land müsse sich verändern. Das hätten ihre Landsleute verstanden und seien bereit, Opfer zu bringen. "Allerdings müssen Regierung und sonstige Autoritäten mit ihrem Beispiel vorangehen. Sie müssen aufhören, uns derart hohe Steuern aufzuerlegen und selbst einen Lebensstil zu pflegen, als wäre Jordanien ein reiches Land."

DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika