Die Jagd auf Bin Laden
9. August 2011Deutsche Welle: Sie haben mehr als 30 Jahre für die CIA gearbeitet. Wann haben Sie zum ersten Mal von Osama bin Laden gehört?
John McLaughlin: Persönlich Mitte der 90er-Jahre. Ungefähr 1996 erkannten wir, dass Bin Laden ein wichtiger Finanzier der Al Kaida und anderer terroristischer Aktivitäten war. Zu dem Zeitpunkt zog er aus Saudi-Arabien nach Afghanistan und ich bereitete eine Einschätzung für die US-Regierung vor. Im Jahr 1997 haben wir Bin Laden als eine potenzielle Gefahr für die USA eingestuft. Dann kamen die Botschaftsanschläge des Jahres 1998 und der Anschlag auf die USS Cole im Jahr 2000 und dann natürlich die Anschläge vom 11. September.
Die USA haben vergeblich versucht, Bin Laden vor dem 11. September 2001 zu fassen. Wie hat sich die Jagd auf ihn nach den Terroranschlägen verändert?
Die Terroranschläge des 11. Septembers waren ein enormer Schock für die USA und die Suche nach Bin Laden wurde erheblich intensiviert. Vor 9/11 hatte Bin Laden auch schon Terroranschläge ausführen lassen, aber dabei hatte es sich um Angriffe auf US-amerikanische Einrichtungen außerhalb der Vereinigten Staaten gehandelt. Das hat die Clinton-Regierung zwar sehr ernst genommen, aber zu diesem Zeitpunkt gab es viele andere Probleme in den USA. Und obwohl es eine hohe Priorität genoss, ihn zu fassen, hatte es nicht die gleiche Priorität wie nach den Anschlägen am 11. September. Nach 9/11 wurde viel mehr in den Geheimdienst investiert und die Zahl der Mitarbeiter, die sich mit diesem Problem beschäftigten, ging dramatisch nach oben.
Ein entscheidender Moment bei der Suche nach Bin Laden ereignete sich in den Bergen von Tora Bora, wohin sich hochrangige Al-Kaida-Mitglieder nach dem Angriff der USA auf Afghanistan geflüchtet hatten. Warum konnte Bin Laden den US-Truppen damals entkommen und wie haben Sie darauf reagiert?
Es wird immer noch sehr kontrovers diskutiert, was genau sich in Tora Bora ereignet hat. Einige meiner besten Freunde sind der Meinung, wir hätten ihn damals gefangen nehmen müssen. Andere Freunde bezweifeln hingegen, dass das möglich gewesen wäre. Meine eigene Meinung ist, dass das Terrain dort so zerklüftet ist und die Bedingungen so schwierig waren, dass wir schon eine erhebliche Zahl von US-Soldaten hätten vor Ort haben müssen, um eine echte Chance auf seine Ergreifung zu haben. Ich weiß nicht genau, was damals in den Köpfen der militärischen Befehlshaber vorging, aber ich bin nicht so davon überzeugt wie einige andere, dass wir ihn damals hätten ergreifen müssen. Wir hätten unsere Chancen mit mehr Truppen in Tora Bora sicher etwas verbessert, aber selbst mit einer erheblich größeren Anzahl von Soldaten hätten wir uns möglicherweise angesichts des Terrains und der damals verfügbaren Geheimdienstinformation schwer getan.
Trifft die allgemeine Wahrnehmung zu, dass die USA niemals mehr so knapp vor der Ergreifung Bin Ladens standen wie damals in Tora Bora - bis zu dem Zeitpunkt im vergangenen Jahr, als man seinen Aufenthaltsort in Erfahrung brachte, und ihn dann Anfang Mai getötet hat?
Ich denke, das trifft im Allgemeinen zu. Es gab zwischen 2001 und 2011 immer wieder Berichte über seinen Aufenthaltsort und wie man seiner habhaft werden könnte. Manchmal glaubten wir auch, durchaus gute Informationen zu besitzen, was seinen ungefähren Aufenthaltsort betraf - aber nicht den genauen. Und wir haben ihn daraufhin gesucht und gesucht, aber nicht gefunden. Also haben wir nach und nach bestimmte Gebiete von der Liste gestrichen. Für diesen Zeitraum galt, dass die Jagd auf ihn zwar intensiv weiterging, dass wir uns aber darauf konzentrierten, das Netzwerk der Al Kaida zu zerstören, das ihn unterstützt hat. Mit anderen Worten: Wir waren der Ansicht, dass wir zwar nach ihm suchen müssen, dass wir ihn aber auch erheblich schwächen und die Gefahr eines erneuten Terroranschlages deutlich reduzieren können, indem wir das Netzwerk der Kommunikation, der Logistik, der sicheren Verstecke, der Geldbeschaffer und der Spender zerstören. So wollten wir Bin Laden isolieren und ihn auffindbarer machen. Und, ich denke, das ist uns im Großen und Ganzen auch gelungen.
Warum war es für eine militärische Großmacht wie die USA mit all ihren Geheimdienstquellen so schwierig, den meist gesuchten Terroristen der Welt zu ergreifen?
In meinem Bereich, dem der Geheimdienste, besteht die größte Schwierigkeit darin, jemanden zu finden. Lassen Sie uns für einen Moment in die Zeit des Kalten Krieges zurückblicken. Damals mussten wir nach sehr großen Dingen auf der Welt suchen. Wir mussten sowjetische Atomstreitkräfte lokalisieren, U-Boote und Bomber oder eine motorisierte Gefechtsdivision an der deutschen Grenze. Im Kampf gegen den Terror, der uns sei 9/11 beschäftigt, gilt unsere Suche dagegen sehr kleinen Dingen. Eine Bombe in einem Koffer etwa oder eine Person in einer Stadt von mehreren Millionen. Das ist sehr schwierig. Besonders dann, wenn die betreffende Person alle Möglichkeiten zur Tarnung ausschöpft. Um Ihnen ein Beispiel zu nennen: In den USA gab es vor einigen Jahren einen Bombenanschlag auf ein olympisches Ereignis in Atlanta. Und obwohl wir über alle rechtlichen Zugriffsmöglichkeiten in einem offenen Land verfügen, haben wir drei oder vier Jahre gebraucht, um die verantwortliche Person zu finden. Ein anderes Beispiel: Im Jahr 1993 gab es einen Mord an einem unserer CIA-Mitarbeiter vor dem Hauptquartier und es dauerte vier Jahre, bis wir den Mörder in Pakistan ergreifen und in die USA bringen konnten. Wichtig dabei ist: Wie lange es auch dauern mag, wir geben nicht auf.
Sie haben einen großen Teil Ihrer Zeit bei der CIA mit der vergeblichen Suche nach Bin Laden verbracht. Was war das für ein Gefühl, als Sie den Geheimdienst Ende 2004 verließen?
Ich hab mich ganz gut gefühlt, denn ich war der Meinung, dass wir Al Kaida erheblich geschwächt hatten. Unser Ziel war es, die USA vor neuen Terroranschlägen zu schützen - und seit 9/11 hat es ja keine neuen Anschläge mehr gegeben. So gesehen, hatten wir unser Hauptziel erreicht. Aber natürlich wäre ein jeder in meiner Position auch enttäuscht gewesen, dass man den meist gesuchten Terroristen nicht gefunden hatte. Deswegen sind wir ja alle, die gegenwärtige CIA-Führung mit eingeschlossen, so erleichtert, dass die Operation letztendlich doch erfolgreich war. Erfolgreich, weil wir 15 Jahre lang daran gearbeitet haben. In derartigen Operationen kommt es auf das Schema, die Blaupause an, die man entwickelt hat und vor der dann bestimmte Hinweise plötzlich einen Sinn ergeben. In diesem Sinne haben wir uns alle ein bisschen mitverantwortlich für den Erfolg der Operation gefühlt.
Im vergangenen Jahr ist den US-Geheimdiensten der entscheidende Durchbruch bei der Suche nach Bin Laden gelungen. Auch wenn Sie jetzt nicht mehr bei der CIA sind, so besitzen Sie doch sicher noch genug Informationen, um uns sagen zu können, was die USA letztlich auf die Spur von Bin Laden gebracht hat?
Wir wissen nicht genug, und ich weiß nicht genug, um Ihnen darauf eine überzeugende Antwort geben zu können. Viele Faktoren könnten eine Rolle gespielt haben und einiges steht noch unter Geheimhaltung. Ich denke sogar, dass im Anschluss an die Operation bereits ein wenig zu viel nach außen gedrungen ist. Entscheidend dürfte die Sammlung von Hinweisen über die Jahre gewesen sein. Jemand hat Geheimdienstarbeit mal mit einem Puzzle verglichen, nur ohne die Bildvorlage. So war es auch bei Osama bin Laden. Als wir nach ihm zu suchen begannen, hatten wir viele kleine Puzzleteile - wir wussten nur nicht, wie sie zusammenpassten. Mit der Zeit ergibt sich nach und nach ein Bild. Gegen Ende dieses Prozesses kann man jeden einzelnen Hinweis in dieses Bild einfügen und das Ganze gewinnt an Bedeutung. Ich denke, es war ein solcher Prozess, der uns zu Bin Ladens Aufenthaltsort geführt hat. Dabei müssen Sie bedenken, dass die US-Regierungen sich auch nach eigenem Bekunden nicht zu 100 Prozent sicher sein konnte, dass er tatsächlich dort war. Ich denke, sie waren es zu 70 oder 80 Prozent, aber eine absolute Gewissheit gab es nicht.
Wenn man sich so intensiv mit einer Person wie Bin Laden beschäftigt , ihn sucht und über ihn liest, von seinen Gewohnheiten erfährt , entwickelt man dann auch eine Art Beziehung zu ihm?
Ich nicht so sehr. Ich müsste da über die Personen spekulieren, die ich die Frontlinien-Analysten nenne, die an so etwas arbeiten. Ich habe auf einer höheren Ebene gearbeitet und musste die ganze Welt im Blick behalten, den Nahen und Mittleren Osten, Asien, Afrika, Lateinamerika. Der Terrorismus stand bei mir dennoch ganz oben auf der persönlichen Tagesordnung. Wenn ich über diejenigen spekulieren müsste, die sich tagtäglich mit Bin Laden zu beschäftigen hatten, vermute ich, dass man zwar keine emotionale Beziehung, aber doch so eine Art Intimität zu dem Objekt entwickelt. Man trägt ja so viele Information zusammen , dass man das Gefühl bekommt, den Menschen tatsächlich zu kennen, auch wenn einem die letzten Informationen noch fehlen, um ihn auch zu verstehen. Damit man ein Gefühl für das Entscheidungskalkül der jeweiligen Person bekommt und versteht, wo und wie sie handelt. Ich kann Ihnen versichern, dass Menschen, die so arbeiten, eine ziemliche Obsession zu ihrem Objekt entwickeln. Das ist verständlich und nachvollziehbar.
Die Einstellung bei der CIA zu 9/11 kann ich mit zwei Worten zusammenfassen: Ärger und Entschlossenheit. Ärger darüber, dass wir es versäumt hatten, das Ziel der Terrorangriffe der Al Kaida zu identifizieren. Denn wir wussten ja, dass sie in jenem Sommer zuschlagen wollten. Wir besaßen gute Informationen über eine bevorstehende Attacke. Wir wussten bloß nicht, wo sie zuschlagen würden. Der andere Teil war Entschlossenheit. Wir waren entschlossen, dass wir eine solche Tat nie wieder zulassen würden und dass wir die Organisation, die hinter dieser Tat stand, zerstören würden. Wer an so etwas arbeitet, der wird von einem Ziel und einer Mission angetrieben.
John McLaughlin war von Juli bis September 2004 geschäftsführender und zwischen 2000 bis 2004 stellvertretender CIA-Direktor. Während seiner mehr als 30-jährigen Karriere diente er mehr als elf CIA-Direktoren in unterschiedlichen Funktionen. Im Jahr 2010 wurde er von Präsident Obama an die Spitze eines Teams von nationalen Sicherheitsexperten berufen, die sich mit den Herausforderungen auseinandersetzen sollten, die sich aus geplanten Terroranschlägen in den USA 2009 ergaben. Zurzeit ist McLaughlin Gastprofessor an der Johns Hopkins Universität in Baltimore im US-Bundesstaat Maryland.
Interview: Michael Knigge
Übersetzung: Daniel Scheschkewitz