Jelinek und "das schweigende Mädchen"
26. September 2014"Ich habe den Prozess selbst schon als Theaterstück empfunden", begründet der Münchener Intendant Johan Simons die Bühnentauglichkeit des NSU-Prozesses. "Das ist doch völlig befremdlich, dass die Familie eines Opfers fast gezwungen wird, etwas zu sagen und jemand der schuldig ist, einfach nichts sagen darf", so Simons gegenüber der Nachrichtenagentur dpa.
Geschrieben hat das Stück "Das schweigende Mädchen" die Österreicherin Elfriede Jelinek. In dessen Mittelpunkt steht die Hauptangeklagte Beate Zschäpe, die, seit die Gerichtsverhandlung vor rund anderthalb Jahren begonnen hat, auf der Anklagebank schweigt. Simons selbst inszeniert das Stück für die Münchener Kammerspiele.
"Blick in die deutsche Seele"
In der Ankündigung im Spielzeitheft heißt es über das Stück: "Zwischen Prozessprotokollen, Medienberichten und literarischen Referenzen wagt sie einen tiefen Blick ins Unbewusste der deutschen Seele." Zschäpe werde in dem Stück nicht nur von einer Schauspielerin dargestellt, sagte eine Sprecherin des Theaters. Wie schon in anderen Stücken Jelineks seien die einzelnen Rollen nicht trennscharf voneinander zu unterscheiden.
In einem Interview, dass Simons mit der Literaturnobelpreisträgerin führte, erklärte Jelinek ihre Faszination für die Thematik: "Man hatte sich eigentlich schon in Sicherheit gewiegt und die Neonazis fast als Folklore betrachtet." Auch sie habe "den Medien und ihren Fantasien von einer türkischen Mafia geglaubt."
Über Verdächtigungen und Vorurteile
Die Mordserie des nationalsozialistischen Terror-Trios bot bereits Stoff für einige Inszenierungen. So zeigten "Der weiße Wolf" am Schauspiel Frankfurt und "Rechtsmaterial" am Staatstheater in Karlsruhe, wie es in der Terrorzelle ausgesehen haben könnte. Der türkischstämmige Regisseur und Filmemacher Nuran David Calis thematisierte in seinem Stück "Die Lücke" die Verdächtigungen und Vorurteile aus der deutschen Gesellschaft, die den Opfern der Mordserie häufig entgegen gebracht wurden. Zum zehnten Jahrestag des Nagelbombenanschlags in der Kölner Keupstraße brachte Calis seine Inszenierung im Schauspiel Köln auf die Bühne.
Der urteilende Zuschauer
Der Berliner Theaterwissenschaftler Benjamin Wihstutz sieht den Trend des Dokumentartheaters wiederentdeckt. Das Theater habe den Zuschauer als urteilende Instanz wiederentdeckt. Daraus leitet er ab: "Das Urteilen steht wieder im Mittelpunkt des politischen Theaters."
Die deutschen Theater beschäftigten sich darüber hinaus auch mit einigen anderen politisch- und gesellschaftlich relevanten Fragestellungen, meint der Vorsitzende der Intendantengruppe im Deutschen Bühnenverein, Ulrich Khuon. Auch religiöse Konflikte, Antisemitismus, globalisierte Überwachung und die Flüchtlingsthematik würden in den Iszenierungen thematisiert.
(Uraufführung "Das schweigende Mädchen" am 27. September)
nin/sc (dpa )