Japans Wende: Hilfe für Kiew, Distanzierung von Moskau
13. April 2024Wenn Europa über Hilfe für die Ukraine spricht, schaut es auf sich selbst und auf die Vereinigten Staaten, den Hauptgeldgeber. Doch in Washington können sich Republikaner und Demokraten seit Monaten nicht auf ein neues milliardenschweres Hilfspaket für Kiew einigen. Angesichts dessen hat Japan, wie andere Staaten auch, seinen Anteil an Unterstützungsleistungen erhöht. Wie das ukrainische Finanzministerium mitteilte, ist Tokio, ohne es groß zu verkünden, zu einem der wichtigsten und in den ersten Monaten des Jahres 2024 sogar zum führenden Geldgeber Kiews geworden.
Milliardenhilfe, keine Waffen
Auf einer Konferenz in Japan im Februar sagte der ukrainische Ministerpräsident Denis Schmyhal, dass sich die bereitgestellten und zugesagten Hilfen auf über zwölf Milliarden Dollar belaufen würden. Nach Angaben des Kieler Instituts für Weltwirtschaft stand Japan im Januar mit mehr als sieben Milliarden Euro an sechster Stelle bei den internationalen Ukraine-Hilfen.
Das japanische Geld hilft dabei, die ukrainische Wirtschaft über Wasser zu halten. Die Nationalbank schätzt, dass die Ukraine seit dem russischen Überfall im Februar 2022 ein Drittel ihres Bruttoinlandsproduktes eingebüßt hat. Aus historischen Gründen und aufgrund nationaler rechtlicher Beschränkungen kann Tokio Kiew nicht mit tödlichen Waffen beliefern. Die Lieferungen umfassen daher Lebensmittel, Medikamente, Generatoren, Autos, kugelsichere Westen und Ausrüstung zur Minenräumung.
Raketen-Lieferung an die USA
Das Wichtigste für Kiew ist jedoch, Waffen zu bekommen. Japan könnte trotz seines verfassungsrechtlich verankerten Pazifismus helfen. Die japanische Presse schrieb über eine mögliche Lieferung von in Japan in Lizenz hergestellten Raketen für amerikanische Patriot-Flugabwehrsystemen an die USA, damit Washington seine Raketen an die Ukraine weitergeben kann. Vertreter des russischen Außenministeriums erklärten, dass das Auftauchen japanischer Raketen in der Ukraine "Konsequenzen" für die Beziehungen Moskaus zu Tokio haben würde.
Atsuko Higashino, Professorin an der Universität Tsukuba, befürwortet eine solche Lieferung, denn bei den Raketen handele es sich "nicht um eine Waffe zum Töten, sondern zum Schutz des ukrainischen Volkes". Higashino glaubt jedoch nicht, dass "in naher Zukunft" mit einer derartigen Lieferung zu rechnen sei, da Japan ein "ernsthaftes Defizit" an Verteidigungssystemen habe. James Brown, Professor an der Temple University in Tokio, glaubt, dass die Lieferungen von Patriot-Raketen an die USA bereits "weitgehend vereinbart" sind und dass die Verzögerungen auf die Vorschriften der japanischen Seite zurückzuführen sind. Für Japan sei es sehr wichtig, dass japanische Raketen nicht in der Ukraine landen.
Ein "radikaler Wandel" im Verhältnis zu Russland
Aber wie kommt es, dass gerade Japan zu einem der wichtigsten Partner der Ukraine geworden ist? "Indem es der Ukraine hilft und der russischen Aggression entgegenwirkt, denkt Japan darüber nach, wie es das internationale System vor einer gewaltsamen Veränderung des Status quo schützen kann", sagt Brown. Japan versuche, "China von ähnlichen Versuchen gegen Taiwan abzuhalten". Premierminister Kishida sprach darüber auch mit US-Präsident Joe Biden auf einem Dreiergipfel zum Indopazifik in Washington.
Atsuko Higashino zufolge hat sich Japans Haltung gegenüber der Ukraine und Russland "radikal geändert". Während Japan 2014 die "illegale Annexion der Krim" und "die russische Propaganda hinnahm", habe sich mit der groß angelegten Invasion in der Ukraine alles geändert, sagt sie. Higashino glaubt, dass dies unter anderem auf "die deutliche Verletzung der UN-Charta" und die "Brutalität" der russischen Armee in Butscha bei Kiew zurückzuführen ist.
Japan bleibt am LNG-Projekt beteiligt
Dabei spielte nicht zuletzt ein Wechsel an der Regierungsspitze eine Rolle. "Unter der vorherigen Führung, unter Premierminister Shinzo Abe, war Japan sehr um eine Annäherung an Russland bemüht und hatte sich das Ziel gesetzt, Partnerschaften aufzubauen, den Territorialstreit (über die Kurileninseln - Anm. d. Red.) beizulegen und einen Friedensvertrag zu unterzeichnen", sagt James Brown. "Aber nach 2022 wurde der japanischen Regierung klar, dass diese Bemühungen nicht funktionieren würden. Stattdessen wurde die Priorität nicht auf den Aufbau einer Partnerschaft mit Russland gelegt, sondern darauf, das Scheitern der russischen Aggression gegen die Ukraine sicherzustellen".
Im Gegensatz zu Abe ist Premierminister Kishida zu "sehr weitreichenden Sanktionen gegen Russland übergegangen", sagt Atsuko Higashino. "Das war zuvor einfach undenkbar", so die politische Analystin. Japan hat sich aber nicht für eine vollständigen Abbruch der Beziehungen zu Russland entschieden. Ausnahmen gibt es für einige Bereiche der Wirtschaft, vor allem im Energiesektor. Japanische Autofirmen haben sich aus dem lukrativen russischen Markt zurückgezogen, aber Japan ist nach wie vor am Öl- und Gasprojekt Sachalin-2 beteiligt, obwohl andere westliche Unternehmen nicht mehr daran teilnehmen. Das Projekt beliefert Japan mit verflüssigtem Erdgas (LNG). Japan, das so gut wie keine eigenen fossilen Brennstoffe besitzt, bezieht etwa neun Prozent seines LNG aus Russland. Auch Japan Tobacco ist weiterhin in Russland tätig.
Kiew stellt sich hinter Japan
Als Geste der Unterstützung für Tokio verabschiedete das ukrainische Parlament im Oktober 2022 ein Dekret, in dem sich Kiew im russisch-japanischen Streit um die Kurileninseln auf die Seite Tokios stellte. Im dem Dekret wird anerkannt, dass die "Nördlichen Territorien", wie die Inseln in Japan genannt werden, "weiterhin von der Russischen Föderation besetzt sind". Ein ähnlicher Erlass wurde auch von Präsident Wolodymyr Selenskyj unterzeichnet.