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Japanische Tattookünstler ringen um ihren Ruf

12. August 2023

Tattookünstler in Japan fühlen sich oft missverstanden. Ihre Kunst wird oft mit kriminellen Gangs, den Yakuza, in Zusammenhang gebracht. Menschen mit Tattoos müssen mit Benachteiligungen rechnen.

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Ganzkörpertätowierungen, möglicherweise von einem Mitglied der japanischen Mafia oder der Yakuza
Über Jahrhunderte wurden Tätowierungen in Japan mit kriminellen Milieus in Verbindung gebrachtBild: Rodrigo Reyes Marin/ZUMAPRESS.com/picture alliance

Das Bunshin Tattoo Museum in der japanischen Großstadt Yokohama ist der Arbeit von Yoshihito Nakano gewidmet, einem Meister der traditionellen japanischen Tätowierung, der in der Welt der Körperkunst besser bekannt ist als Horiyoshi III.

Geleitet wird das Museum von Mayumi Nakano, der Frau Horiyoshis. Sie trägt ein ärmelloses Hemd, das verschlungene Blumen-Tattoos in leuchtenden Rot-, Grün- und Gelbtönen, die von den Handgelenken bis zur Schulter reichen, unbedeckt lässt. Ihr erstes Tattoo ließ sie sich mit zwanzig Jahren stechen, erzählt sie. Die Nadel führte ihr Mann.

"In Japan werden Tattoos missverstanden", sagt Nakano inmitten von Schablonen mit kunstvollen Tattoo-Motiven und Bildern seiner zufriedenen Kunden im Gespräch mit der DW.

"Tattoos wurden immer mit der Unterwelt in Zusammenhang gebracht. Ich hatte gehofft, das würde sich mit der Zeit ändern. In anderen Ländern sind Tätowierungen nicht mit einem Stigma verbunden, aber die japanische Gesellschaft ist nicht bereit für Veränderungen."

Meister einer geächteten Kunst

In einem Interview erzählte der mittlerweile 77-jährige Horiyoshi, wie er erstmals von Tattoos fasziniert war, als er im Alter von elf oder zwölf Jahren in seinem örtlichen Badehaus ein Mitglied der Yakuza mit einem traditionellen Tattoo sah, das den ganzen Körper bedeckte. Den Titel Horiyoshi III erwarb er durch seine Lehre bei dem legendären Tattoo-Meister Horiyoshi von Yokohama.

Porträt des japanischen Tätowierers Horiyoshi III im Bunshin Tattoo Museum in Yokohama
Ein Porträt des japanischen Tätowierers Horiyoshi III im Bunshin Tattoo Museum, YokohamaBild: Julian Ryall

Für seine Arbeiten hat Horiyoshi III zahllose Preise gewonnen. Bis in die 1990er stach er die Umrisse seiner Designs mit der Hand, dann stieg er auf elektrische Geräte um. Farben und Schattierungen fügt er noch immer mit der traditionellen Tebori-Technik hinzu, bei der ein schlanker Bambus- oder Metallstab, an dessen Spitze Nadeln befestigt sind, verwendet wird.

Wie bei den meisten japanischen Tattookünstlern sind auch die Designs von Horiyoshi Variationen schillernder Koi-Karpfen, Drachen, Tiger, Schlangen, Pfingstrosen und Ahornblätter.

Andere Designs sind inspiriert von buddhistischen Gottheiten oder Kreaturen aus der Mythologie. Auch rosa Kirschblüten sind ein beliebtes Motiv. In einem Interview mit der Tageszeitung "The Japan Times" erklärte Horiyoshi: "Die Wesen, die ich zeichne, werden auf der Haut eines Menschen lebendig."

Warum die Assoziation mit Kriminellen?

Vor langer Zeit verwendete das Volk der Ainu auf der Insel Hokkaido zum Tätowieren Tinte, die aus der Indigopflanze hergestellt wurde. Auch die Völker auf den Inseln weit südlich des japanischen Festlands, die damals zum Königreich Ryukyu zählten und heute der Präfektur Okinawa angehören, praktizierten eine durch ihre Umwelt und Kultur inspirierte Hautkunst.

Während der Edo-Ära zwischen 1603 und 1867 wuchsen die Macht und der Einfluss des Zentralstaats. Bestimmte Verbrechen wurden durch Tätowierung geahndet. So wurden Diebe tätowiert, und das Gesicht von Mördern wurde durch eine Markierung gekennzeichnet.

Tätowierungen wurden so bald mit Verbrechen assoziiert, obwohl zeitgleich dekorative Tattoos auftauchten und sich ein eigenes künstlerisches Genre entwickelte. Die überwiegende Mehrheit der Japaner denkt bei Tattoos noch immer an die Unterwelt. 

Wenige Jahre nach Beginn der Meiji-Ära im Jahr 1868 wurden Tätowierungen verboten. Japan öffnete seine Grenzen und entsandte Handelsdelegationen und politische Missionen ins Ausland und man befürchtete, die aufwändigen Tätowierungen könnten Fremde schockieren oder beleidigen. Im Verborgenen entwickelte sich die Kunstform jedoch weiter und insbesondere Ausländer waren daran interessiert, sich japanische Tattoos stechen zu lassen.

Die königliche Familie Großbritanniens zeigte ein besonders großes Interesse an japanischer Tätowierkunst. 1869 ließ sich Prinz Alfred, der Herzog von Edinburgh, in Tokio einen sich windenden Drachen auf den rechten Unterarm tätowieren. Auch Prinz Albert und George, der Prinz von Wales, die auf dem Schiff "HMS Bacchante" dienten, ließen sich während eines Besuchs im Jahr 1881 tätowieren.

Das Tätowierungsverbot wurde 1948 aufgehoben. Ihren zweifelhaften Ruf wurde die Kunst jedoch nicht los, zumal in den schwierigen Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg Zehntausende von Männern rivalisierenden Yakuza-Banden beitraten.

Tattoos zählen noch immer zur Subkultur

Aus diesem Grund weigerten sich Unternehmen lange, Bewerber mit Tattoos einzustellen. Sie machen sich Sorgen, Kunden oder Geschäftspartner könnten den Verdacht hegen, das Unternehmen habe Verbindungen in die kriminelle Unterwelt Japans.

Menschen mit Tattoos wird häufig der Eintritt in öffentliche Schwimmbäder oder Sento und Onsen, öffentliche Badehäuser, verwehrt. Auch am Strand machen die meisten einen großen Bogen um jeden mit einem sichtbaren Tattoo.

Japan: Wo sind die Rekruten?

Doch auch wenn die japanische Öffentlichkeit Tätowierungen weiterhin ablehnt, gibt es doch Anzeichen dafür, dass sich die Haltung der Regierung ändert. Angesichts der Schwierigkeiten, neue Rekruten für die japanischen Streitkräfte anzuwerben, hat das Verteidigungsministerium angedeutet, dass es eine Änderung der Zulassungsbedingungen plane, um auch Männer und Frauen mit Tattoos in die Streitkräfte aufzunehmen.

"In Japan gehören Tattoos noch immer zu einer kleinen Subkultur, die mit Musikern, Künstlern oder der Modewelt in Verbindung gebracht wird", sagt Kyle Cleveland, Professor für japanische Kultur am Tokio Campus der Temple University.

"Doch man muss zwischen den historischen Wurzeln, den Verbindungen zu den Yakuza und den Tattoos, die heute insbesondere von jungen Menschen getragen werden, unterscheiden."

Touristen mit Tattoos

Vor den Olympischen Spielen in Tokio wurde in Japan viel über Sportler debattiert, die aus aller Welt kamen und sichtbare Tattoos trugen, so Cleveland. Diese Debatte setzt sich angesichts der Touristen aus dem Ausland fort. Doch deren Tattoos unterscheiden sich von jenen, die von Angehörigen der Unterwelt getragen werden, fügt Cleveland hinzu.

Die Tattoos von Gangmitgliedern hätten große Symbolkraft und sollen die Träger als Mitglied einer kriminellen Vereinigung kenntlich machen, erklärt Cleveland. Die andernorts gebräuchlichen, oft verspielteren Motive wie Blumen oder Tiere, ein Zitat oder Lieblingsbild, seien hingegen sehr individuell und würden oft auf einschneidende Lebensereignisse wie eine Heirat, eine Geburt oder einen Todesfall verweisen.

In der japanischen Gesellschaft werden diese beiden Arten der Tätowierung noch immer in einen Topf geworfen, meint Cleveland. So würden sie nur schwer eine größere Anhängerschaft gewinnen.

Im Bunshin Tattoo Museum ist Mayumi Nakano nicht davon überzeugt, dass sich in Japan bald etwas ändern wird, auch wenn Tattoos in anderen Ländern weiterhin beliebt sind.

Auf einem Tisch steht ein gerahmtes Foto von David Bowie, der das Tattoo-Studio von Horiyoshi III um etwa 1990 besuchte. "Er war ein echter Gentleman", sagt Nakano. "Er hat hat uns verstanden."

Adaptiert aus dem Englischen von Phoenix Hanzo.

Freiberufliche Mitarbeiter, Julian Ryall
Julian Ryall Korrespondent und Reporter in Tokio