Japan und Südkorea als Favoritenschreck bei der Fußball-WM?
4. Dezember 2022"Wenn jemand Spanien und Deutschland schlägt, dann kann das kein Zufall sein. Ich erwarte einen großen Kampf", sagt Zlatko Dalic vor dem Achtelfinalspiel der Fußball-WM seines kroatischen Teams gegen Japan (Montag, 16 Uhr MEZ). Kroatiens Trainer ist beeindruckt von den Leistungen, die die japanischen "Samurai Blue" bislang in Katar gezeigt haben. Vor allem, weil Japans Team in beiden Spielen gegen die Ex-Weltmeister zunächst mit 0:1 zurücklag, die Partien dann aber mit großem Einsatz und binnen weniger Minuten noch drehte. Auch Verteidiger Josko Gvardiol von RB Leipzig warnte: "Ich kenne die Japaner sehr gut, sie sind sehr gefährlich. Sie kämpfen bis zum Ende."
In Japan selbst ist man stolz, bleibt aber gleichzeitig bescheiden: "Wir müssen noch viel lernen, aber wir sind zuversichtlich, dass der asiatische und der japanische Fußball die Topteams der Welt schlagen kann", sagte Chefcoach Hajime Moriyasu. "Auch für Asien wird die Tatsache, dass wir gegen Deutschland und Spanien, Top-Länder der Welt, gewinnen konnten, viel Selbstvertrauen geben." Nach den beiden Ex-Weltmeistern soll in der Runde der besten 16 nun auch der aktuelle Vizeweltmeister in Bedrängnis gebracht werden. Das große Turnierziel, der erstmalige Einzug ins WM-Viertelfinale, ist in greifbarer Nähe.
Zweimal haben beide Teams bei der WM schon gegeneinander gespielt. 1998 bei der WM in Frankreich gewannen die Kroaten durch ein Tor von Davor Suker in der Gruppenphase mit 1:0. Kroatien schlug anschließend im Viertelfinale auch Deutschland und wurde am Ende WM-Dritter. 2006 duellierten sich Kroaten und Japaner erneut in der Vorrunde und trennten sich 0:0. Schon damals ging es also eng zu, allerdings hat der Fußball seitdem noch einmal einen Entwicklungssprung gemacht.
"Das ist kein Wunder"
"Ich sehe eine klare Verbesserung", findet auch Daichi Kamada, der bei Eintracht Frankfurt spielt und der mit dem Traditionsklub im Sommer die Europa League gewann. "Viele Akteure sind in Europa tätig, das ist eine tolle Entwicklung. Aktuell ist es so, dass es sehr schwer ist, in den WM-Kader zu kommen, wenn man nicht in Europa spielt." Neben Kamada machte bei der WM vor allem Ritsu Doan vom SC Freiburg auf sich aufmerksam. Gegen Deutschland und Spanien erzielte der kleine Stürmer jeweils das wichtige 1:1 - und leitete damit die Wende ein.
Das Selbstbewusstsein bei Doan und seinen Teamkollegen ist nun stark wie selten zuvor. "Jeder sagt, das ist ein Wunder, aber das ist kein Wunder", sagte Ao Tanaka, der für Fortuna Düsseldorf in der 2. Bundesliga spielt und den Siegtreffer gegen Spanien erzielte. "Wir haben das verdient. In der zweiten Halbzeit haben wir aggressiver gespielt und so gewonnen." Mittelfeldspieler Takefusa Kubo sah es ähnlich: "Ihr seid überrascht? Wir sind es nicht!", sagte er. "Man muss den asiatischen Fußball ernst nehmen."
Südkorea - entgegen aller Wahrscheinlichkeit?
Das stimmt umso mehr, als mit Südkorea auch der zweite WM-Teilnehmer aus Ostasien in der K.o.-Runde noch dabei ist. Mit einem späten Tor gegen Portugal sicherten sich die "Taeguk Warriors" einen 2:1-Sieg und schoben sich damit in der Tabelle der Gruppe H auf Rang zwei. In der Heimat löste das große Begeisterung aus, aber auch Erstaunen. "Die Spieler und die Betreuer haben die Menschen dieses Landes mit ihrem Kampfgeist und ihrer Leidenschaft stark beeindruckt", schrieb Südkoreas Präsident Yoon Suk Yeol in einer Glückwunschbotschaft in den sozialen Medien. Er hoffe, dass sich das Potenzial des südkoreanischen Fußballs jenseits von Sieg oder Niederlage zeige.
Die Mannschaft habe es "entgegen aller Wahrscheinlichkeit" geschafft, die K.o.-Phase zu erreichen, schrieb die Zeitung "The Korea Herald". Die Zeitung "Dong-A Ilbo" titelte angesichts der Tatsache, dass man Uruguay und Ghana hinter sich gelassen hatte, gar euphorisch mit: "Wunder von Katar". Dabei sind die Qualitäten des südkoreanischen Teams nicht erst bekannt, seit es Deutschland 2018 im letzten Gruppenspiel aus dem Turnier warf. Stets diszipliniert, mit hoher Laufbereitschaft und technisch gut ausgebildet treten die Südkoreaner ihren Gegnern auf dem Platz entgegen.
Das Team ist seit Jahrzehnten eines der besten und konstantesten in Asien. Verwunderlich ist lediglich, dass die Südkoreaner trotz ihrer Klasse nicht öfter die Asien-Meisterschaft gewinnen konnten. Ihre beiden kontinentalen Titel datieren von 1956 und 1960. Bei Weltmeisterschaften ist Südkorea aber seit 1986 Dauergast und war seit Mexiko ununterbrochen bei allen WM-Turnieren dabei. Zwar kam bei den Endrunden oft das Aus in der Vorrunde, aber 2002 bei der Heim-WM wurde man Dritter, 2010 in Südafrika ging es bis ins Achtelfinale.
Son: "Hoffen auf weiteres Wunder"
An der Außenseiterrolle im Achtelfinale von Katar ist aber nicht zu rütteln. Immerhin ist Rekordweltmeister Brasilien der nächste Gegner, bei dem möglicherweise auch Superstar Neymar nach seiner Knöchelverletzung wieder mitspielen kann (Montag, 20 Uhr MEZ). Südkoreas Superstar heißt Heung-min Son und ist auch in Deutschland kein Unbekannter: Der Stürmer, der seit 2015 für Tottenham Hotspur in der Premier League spielt, kam 2008 als 16-Jähriger zum Hamburger SV, für den er zwischen 2010 und 2013 in der Bundesliga auflief, bevor er anschließend zwei Spielzeiten lang für Bayer 04 Leverkusen erfolgreich auf Torejagd ging.
Son steht ein wenig sinnbildlich für die "Auferstehung" der Südkoreaner in Katar. Nach dem 0:0 gegen Uruguay zum Auftakt und der anschließenden 2:3-Niederlage gegen Ghana war Son wegen seiner eher dürftigen Leistungen im Internet kritisiert worden. Nach dem Last-Minute-Sieg gegen Portugal, bei dem er die Vorlage zum Siegtreffer gab, vergoss er Freudentränen. "Das ist großartig, doch das Turnier ist noch nicht vorbei", sagte Son. "Ich hoffe, wir können ein weiteres Wunder vollbringen."