Japan und China spielen auf Zeit
28. September 2020Neun Tage nach seiner Amtsübernahme hat Japans neuer Premierminister Yoshihide Suga am vergangenen Freitag erstmals mit Chinas Präsident Xi Jinping telefoniert. Nach japanischen Angaben betonte Suga in dem Gespräch, dass stabile Beziehungen zwischen den beiden Ländern "nicht nur bilateral extrem wichtig" seien. Auch Präsident Xi schlug bei dem Telefonat einen positiven Ton an. Er sei bereit, neue Entwicklungen der Beziehung zu fördern, sagte er laut einem Bericht der staatlichen Nachrichtenagentur Xinhua.
Die beiden Politiker sprachen Stolpersteine wie Chinas neues Sicherheitsgesetz für Hongkong und die militärischen Spannungen um die von China beanspruchten Senkaku-Inseln (in China also "Diaoyu-Inseln" bezeichnet) nur indirekt an. Chinesische Schiffe sind in diesem Sommer mehr als 100 Tage in Folge in die Hoheitsgewässer um die unbewohnten Eilande eingedrungen. "Suga muss in der China-Politik eine schwierige Gratwanderung vollziehen", meinte der deutsche Politologe Sebastian Maslow von der Frauenuniversität Sendai. Einerseits könne er sich China nicht annähern, ohne den Bündnispartner USA zu verprellen. Andererseits sei er sich bewusst, dass Japan ein rascher wirtschaftlicher Aufschwung nach Corona nur mit China gelingen kann.
Keine konkreten Gipfelpläne
Zwar vereinbarten Suga und Xi, auf hochrangiger Ebene inklusive Gipfeltreffen zusammenzuarbeiten. Doch über einen konkreten Besuch von Präsident Xi in Japan haben die beiden Politiker nicht gesprochen.
"Wir sind nicht an dem Punkt, um über einen spezifischen Reiseplan zu diskutieren", erklärte der neue Kabinettssprecher Katsunobu Kato. Ursprünglich sollte Xi im April nach Japan kommen, nachdem der kürzlich zurückgetretene Premier Shinzo Abe China im Herbst 2018 besucht hatte. Es wäre der erste Staatsbesuch eines chinesischen Staatspräsidenten in Japan seit zwölf Jahren gewesen.
Aber wegen der Corona-Pandemie gaben beide Seiten den Besuchsplan auf. Mit einer schnellen Vereinbarung eines neuen Termins rechnet man in Tokio nicht. "Japan wartet die Neuwahl des US-Präsidenten und China mögliche Neuwahlen in Japan ab", sagte Maslow. Erst danach werde es Bewegung im bilateralen Verhältnis geben.
Touristen aus China willkommen
Daher dürfte Suga zunächst die Gratwanderung der letzten Regierungsjahre von Abe in der Chinapolitik fortsetzen. Das bedeutet: Einerseits will Japan die wirtschaftlichen Beziehungen mit dem größten Handelspartner vor Schaden bewahren, da die japanische Auto- und Elektronikindustrie stark auf China angewiesen sind. Ein gutes Verhältnis ist auch wichtig, damit chinesische Touristen Japan als Reiseziel wählen. Vor der Pandemie machten Chinesen fast ein Drittel aller Japan-Besucher aus. Daher vermeidet die Regierung in Tokio eine einseitige Parteinahme im Handelsstreit zwischen China und den USA. Offiziell hat die Regierung den privaten Telekomanbietern nicht verboten, den chinesischen Konzern Huawei als Netzwerkausrüster zu verwenden. Allerdings haben alle vier Mobilfunkunternehmen von sich aus darauf verzichtet.
Wettrüsten
Andererseits will Suga das zunehmende Hegemoniestreben und entsprechende Machtdemonstrationen von China nicht einfach hinnehmen. Unter Ex-Premier Shinzo Abe hat Japan seine Verteidigungsausgaben jedes Jahr erhöht. Abe hatte Donald Trump schon unmittelbar nach dessen Wahlsieg im November 2016 bei einem Blitzbesuch in New York auf Chinas rasante Aufrüstung aufmerksam gemacht.
"Ich habe ihm gesagt, China habe die Rüstungsausgaben in 30 Jahren um das Vierzigfache erhöht, schneller als jedes andere Land", berichtete Abe in einem Interview der Finanzzeitung Nikkei. Suga will Abes Politik fortsetzen und kündigte bereits eine erneute Anhebung des Verteidigungsetats an.
Japans neuer Verteidigungsminister sorgt für Unbehagen
Als Signal der Kontinuität beließ er Außenminister Toshimitsu Motegi und den nationalen Sicherheitsberater Shigeru Kitamura in ihren Ämtern. Die Ernennung von Abes jüngerem Bruder Nobuo Kishi zum Verteidigungsminister dürfte China nicht gefallen. Kishi leitet eine Parlamentariergruppe, die den Austausch mit Taiwan fördern will. Peking betrachtet Taiwan als eine abtrünnige Provinz.
Vor fünf Jahren begleitete Kishi die damalige Oppositionsführerin von Taiwan und heutige Präsidentin Tsai Ing-wen während ihres Japan-Besuchs. Auf Kishi angesprochen, sagte Chinas Außenamtssprecher Wang Wenbin, er hoffe, dass Japan das "Ein-China-Prinzip" beachte und auf jeden offiziellen Austausch mit Taiwan verzichte. Nach seiner Ernennung hatte Kishi seine Sorge über Chinas schnellen Militäraufbau geäußert und zugleich die Bedeutung von mehr Vertrauen zwischen den Vertretern der Verteidigungsministerien unterstrichen.