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Gesellschaft

JaafarTalk: Streit um Polygamie

1. August 2019

In der ersten Ausgabe der neuen DW-Sendung "JaafarTalk" entwickelte sich ein heftiger Streit zum Thema Polygamie. Die Sendung wurde danach im Netz kontrovers diskutiert. Das Thema gewinnt auch in Deutschland an Relevanz.

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JaafarTalk, Jaafar Abdul Karim
Bild: DW

Die erste Ausgabe von "JaafarTalk", der neuen DW-Sendung von Moderator Jaafar Abdul Karim, hat ein enormes Publikumsecho ausgelöst. Im Netz wurde der Mitschnitt der in Beirut aufgenommenen Diskussion über eine Million Mal geklickt - so groß war die Aufregung über den in der Sendung ausgetragenen Streit. Das Thema: Polygamie.

Ist es richtig, dass ein Mann mehrere Frauen haben darf? Oder ist das eine Sitte, die immer schon fragwürdig war und heute vollends veraltet ist? Über diese Frage gerieten in der Sendung zwei der Gäste aneinander: der saudische, mit drei Frauen verheiratete Anwalt Youssef Alquait und die irakische Frauenrechtlerin und Architektin Mawj Aldarraji.

Polygamie sei angemessen, sagt Alquait. Seine Begründung: "Ich will eine Frau, damit jedes Mal, wenn ich Sex haben will, ich sie direkt vor mir habe." Aldarraji konterte zunächst mit demselben Argument: "Und ich brauche einen Mann, damit jedes Mal, wenn ich Sex haben will, er mir zur Verfügung steht."

Doch der Anwalt sah einen Unterschied: "Ich meine die sieben Tage, wenn sie ihre Periode hat. Dann kann ein Mann eine Frau nicht anfassen." - "Er kann sich nicht mal für sieben Tage zusammenreißen?", fragt Aldarraji zurück. "Ich bin also nur für Sex da, ohne Gefühle oder jegliche Emotionen?"

Streit bis zur persönlichen Beleidigung

In diesem Stil ging es weiter. Alquait wies darauf hin, dass Sex auch 40 Tage nach einer Geburt nicht möglich sei. Auf Aldarrajis Hinweis, die Frau tue das ja nicht freiwillig, erwiderte er, sie verstehe die Psyche des Mannes nicht. "Du bist nicht genug für deinen Ehemann", schob er nach. Und weiter: "Dein Mann ist sexuell kalt…"

Jaafartalk Studio in Beiru
Moderator Jaafar Abdul Karim mit seinen Gästen. Hinten links Architektin Aldarraji, vorne rechts Anwalt Alquait Bild: DW/H. Baydoun

Das gehe zu weit, empörte sich Aldarraji, das lasse sie sich nicht gefallen. Moderator Jaafar Abdul-Karim forderte Alquait auf, sich zu entschuldigen, sonst müsse er gehen. Der kam der Aufforderung nach und entschuldigte sich.

Die Praxis der Polygamie geht im Islam auf die Sure 4,3 zurück. "Und wenn ihr fürchtet, den Waisen gegenüber nicht gerecht zu handeln, so heiratet von den Frauen, was euch gut dünkt - zwei, drei oder vier", heißt es dort. Die Sure gibt weitere Anweisungen: "Und wenn ihr fürchtet, ihnen nicht gerecht zu werden, dann nur eine oder was ihr an Sklavinnen besitzt! So könnt ihr am ehesten Ungerechtigkeit vermeiden." (aus dem Koran in der Übertragung von Hartmut Bobzin).

"Polygyne Ehen mit maximal vier Frauen zugleich sind als zulässig angesehen", schreibt  der Jurist und Islamwissenschaftler Mathias Rohe, "wenn jeder Frau ein eigener Hausstand finanziert wird. Gestattet ist daneben ohne Begrenzung der Verkehr mit Sklavinnen." "Sklavinnen" ist allerdings ein problematischer Begriff. Die Saudi-Arabien-Expertin Madawi Al-Rasheed weist darauf hin, dass einflussreiche wahhabitische Theologen in Saudi-Arabien unter den Begriff auch junge Frauen aus Südostasien fassen, die ursprünglich als Haushaltshilfen ins Land kamen, von ihren männlichen Arbeitgebern aber sexuell unterdrückt und ausgebeutet werden.

Die Diskussion im Netz

In letzter Zeit wird die Legitimität der Polygamie jedoch zunehmend in Zweifel gezogen. So hatte sich der Großimam der Kairoer Al-Azhar-Moschee, Ahmad Mohammad Al-Tayyeb, einer der angesehensten Theologen der islamischen Welt, im März dieses Jahres kritisch zur Polygamie geäußert. Die im Islam verbreitete Praxis der Vielehe stamme aus einem mangelnden Verständnis des Korans und stelle oft eine Ungerechtigkeit gegenüber Frauen und Kindern dar, sagte er laut Medienberichten vom Wochenende in seiner wöchentlichen TV-Sendung. Für ein Verbot der Vielehe sprach sich der muslimische Geistliche nicht aus.

Entsprechend umstritten verlief auch die Diskussion der Sendung im Internet sowie in einer Straßenumfrage, die Moderator Jaafar Abdul Karim in der Berliner Sonnenallee unternahm.

Einige Twitternutzer kritisierten das Prinzip der Polygamie:

"Einige Männer sehen Frauen nur als Werkzeug, um ihre sexuellen Wünsche zu erfüllen", heißt es in diesem Tweet.

"Eine erfolgreiche Ehe ist wenn die Eheleute auch Freunde sind und sie mit allem ehrlich umgehen, schreibt Nutzer "Mensch".

Andere hingegen sprechen sich für die Polygamie aus:

"Sie spricht vom Prinzip der Eifersucht und die Ablehnung der Polygamie", liest man bei Nutzer "ahlnbcom". "Gott schuf Männer und Frauen und das Gesetz zur Polygamie. Eine Frau sollte nicht egoistisch sein und ihrem Mann die Polygamie aus Eifersucht vorenthalten, wenn sie davon überzeugt ist, dass sie all ihren Pflichten nachkommt und an ihr nichts fehlt."

"Dinge, die durch die Sharia erlaubt sind, stehen nicht zur Debatte", schreibt Ahmed Wehady.

Keine Einigung in Aussicht

Ähnlich kontrovers zeigten sich auch die Auffassungen in der Straßenumfrage, die Jaafar Abdul Karim in Berlin für die Sendung führte.

Irak Bagdad Frauen Demonstration Frauenrechte Gleichberechtigung
Für Frauenrechte: Demonstration in Kairo, 2012Bild: DW/M. Al-Saidy

Polygamie sei falsch, erklärt ein junger Mann. "Ich lehne sie komplett ab." Die Frau neben ihm stimmt zu: Sie lehne sie ebenfalls ab. Anders sieht es ein etwas älteres Paar. "Wenn ich meine Pflichten nicht erfülle und er sich bei mir unwohl fühlt und ihm an mir etwas fehlt, dann erlaube ich es ihm." Und ein weiterer Passant sagt: "Wenn an einer Frau etwas fehlt, hat der Mann das Recht, auf einen zweite Frau." Aber wenn der Frau etwas fehle, dann dürfe sie keinen zweiten Mann haben, wendet Jaafar Abdul Karim ein. "So ist halt die Religion, unsere Religion schreibt das so vor." Ähnlich sieht es ein jüngerer Mann Anfang 20. "Ich heirate die zweite, die dritte und die vierte Frau, kein Problem", sagt er. "Aber das Gesetz verbietet er dir", sagt der Moderator. "Aber ich heirate nicht nach dem Gesetz, ich heirate islamisch", entgegnet der Mann.

Die Sendung zeigt: Die Polygamie ist auch in der arabischen Welt unter Druck. Sie bleibt aber ein Phänomen der Gegenwart. Auch die Bundesrepublik Deutschland ist gefordert, sich mit ihr auseinanderzusetzen.

DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika