Die kranke Frau Europa
16. April 2013Die Weltwirtschaft wird in diesem Jahr um 3,3 Prozent wachsen, im nächsten Jahr sollen es dann vier Prozent werden. Zu diesem Ergebnis kommen die Konjunkturforscher des Internationalen Währungsfonds (IWF) in ihrem jüngsten Wirtschaftsausblick, den sie am Dienstag (16.04.2013) in Washington präsentierten.
Das Wachstum kommt dabei aus allen Ecken der Welt, aber nicht aus Europa. Denn die Eurozone steckt als einzige Region noch immer in der Rezession. Um 0,3 Prozent wird die Wirtschaft hier in diesem Jahr schrumpfen.
Olivier Blanchard, Chefökonom des IWF, spricht inzwischen von drei unterschiedlichen Geschwindigkeiten der Erholung. "Die Schwellen- und Entwicklungsländer wachsen weiter stark", so Blanchard. "Bei den entwickelten Volkswirtschaften sehen wir dagegen eine zunehmende Trennung: auf der einen Seite die USA, auf der anderen die Eurozone."
Um 1,9 Prozent soll die US-Wirtschaft demnach in diesem Jahr wachsen. "Das ist nicht genug, um die Arbeitslosenrate wesentlich zu verbessern", so Blanchard. Doch angesichts des aktuellen Sparkurses sei das ein beachtliches Ergebnis. Im nächsten Jahr könne das US-Wachstum sogar 3,0 Prozent betragen.
Die Wachstumsmotoren
Noch stärker die Zahlen der Schwellen- und Entwicklungsländer: Mit einem Plus von 5,3 Prozent in diesem und 5,7 Prozent im nächsten Jahr haben sie fast wieder zu alter Stärke zurückgefunden. Für China erwartet der IWF in beiden Jahren ein Plus von acht Prozent und mehr, für Indien 5,7 bzw. 6,2 Prozent.
Auch die afrikanischen Staaten südlich der Sahara sind ein Wachstumsmotor der Weltwirtschaft. "Diese Länder sind schon 2012 mit fast fünf Prozent gewachsen", so IWF-Konjunkturforscher Abdul Abiad im Gespräch mit der Deutschen Welle.
Das Wachstum werde sich weiter beschleunigen, auf rund fünfeinhalb Prozent in diesem und über sechs Prozent im nächsten Jahr. "Das liegt an einer starken Nachfrage im Inland, sowohl beim Konsum als auch bei den Investitionen", so Abiad. "Wir glauben, dass dieses Wachstum in den nächsten Jahren anhalten wird. Viele Länder der Region wachsen seit 2008 stärker als vor der Finanzkrise."
Für Nordafrika, den arabischen Raum und Lateinamerika erwarten die IWF-Forscher zumindest ein Wachstum in Höhe des weltweiten Durchschnitts, also zwischen drei und vier Prozent. Selbst Japan, dessen Wirtschaft seit Jahren stagniert, entwickelt sich mit einem Plus von rund 1,5 Prozent deutlich besser als die angeschlagene Eurozone.
Der Kern schwächelt
In den europäischen Schwergewichten Italien und Spanien bricht die Wirtschaft in diesem Jahr um 1,5 Prozent ein, so der IWF. Noch stärker schrumpft die Wirtschaft demnach in Griechenland (-4,2%), Portugal (-2,3%) und Slowenien (-2,0%), dem nächsten Sorgenkind der Eurozone. Zahlen für Zypern nannte der IWF nicht.
Die schwache Entwicklung der Eurozone erklärt sich aber nicht allein durch die Situation in den Krisenländern am Rand. "Auch im Zentrum gibt es Schwächen", so Chefökonom Blanchard. "Für Frankreich erwarten wir ein negatives Wachstum in diesem Jahr. Das liegt an einer Kombination aus Sparmaßnahmen, schwachem Export und geringem Vertrauen."
Auch die deutsche Wirtschaft kann die Rolle des Wachstumsmotors nicht übernehmen. Zwar wächst hier die Wirtschaft, aber das Wachstum fällt mit 0,6 Prozent sehr gering aus. "Ein schwaches Wachstum im Kern der Eurozone ist schon an sich eine schlechte Nachricht", so Blanchard. "Es ist außerdem eine schlechte Nachricht für die Länder an der Peripherie, denn die sind auf einen starken Kern angewiesen."
Selbstkritik beim IWF?
Blanchard nennt die schwache Entwicklung in Europa "besorgniserregend". Die Lage der Banken sei weiter unsicher, Investitionen und vor allem der private Konsum sein schwach. "Unsere Botschaft ist: Wir müssen darüber nachdenken, wie wir die private Nachfrage ankurbeln."
Man könnte diesen Satz auch als leise Selbstkritik des IWF verstehen. Schließlich ist der IWF mitverantwortlich für die harten Sparauflagen, die das Wachstum in vielen Euroländern zum Stillstand gebracht haben. Der Sparkurs müsse an die jeweilige Situation angepasst werden, sagt Blanchard nun. "Er muss glaubwürdig bleiben, sollte aber nicht zu negative Folgen für das Wachstum haben."