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ITS: Hamburg zeigt Mobilität von Morgen

Anja Steinbuch Hamburg
12. Oktober 2021

Der ITS Weltkongress in Hamburg zeigt vernetzte Verkehrssysteme. Sie werden als Schlüssel für die Mobilität der Zukunft gehandelt. Und manches davon wird schon heute ausprobiert.

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Deutschland Hamburg Autonom fahrendes Sammeltaxi
Prototyp ID. Buzz von VW - ein autonom fahrendes Sammeltaxi, das 2025 marktreif sein soll. Bild: Marcus Brandt/dpa/picture alliance

Bis zum 15. Oktober ist Hamburg Ziel von 10.000 Fachleuten aus mehr als 100 Ländern zum World Congress on Intelligent Transport Systems (ITS Weltkongress). In den Messehallen und im renovierten Congress Centrum Hamburg ist es das erste internationale Business-Event in der Hansestadt nach der Corona-Zwangspause.

Bei der seit rund fünf Jahren mit Pilotprojekten vorbereiteten Mobilitäts-Messe stehen sechs Schwerpunkte im Mittelpunkt: ein leistungsfähigerer und digitalisierter Nahverkehr, individuelle Mobilitätsangebote, autonomes Fahren, der Ausbau von Fuß- und Radwegen, Umwelt- und Klimaschutz sowie ein intelligenterer Transport von Waren - vor allem beim Logistik-Knotenpunkt im Norden Deutschlands, dem Hamburger Hafen. Schlüssel für diese Ziele ist die Vernetzung von digitalisierten Lösungen. Themen, die auf der zur Mobilitätsmesse IAA Mobility mutierten Show vor vier Wochen in München komplett fehlten. 

Deutschland Erste digitale S-Bahn in Hamburg gestartet
Die erste autonom fahrende S-Bahn Deutschlands fährt in den Bahnhof Hamburg-Dammtor ein. Bild: Marcus Brandt/dpa/picture alliance

Zur Eröffnung des Kongresses liessen die Deutsche Bahn und Siemens erstmals eine S-Bahn digital gesteuert vollautomatisch fahren. Bahnchef Richard Lutz kündigte an, die Technologie werde schrittweise auf das gesamte S-Bahn-Netz der Hansestadt und später auch auf andere Netze in Deutschland ausgedehnt. Nach Worten von Siemens-Chef Roland Busch handelt es sich um eine "Blaupause für die Digitalisierung der Schiene in Deutschland, Europa und der ganzen Welt". Autonome Bahnen gebe es zwar schon länger. Neu sei das offene System, das mit jeder Bahn kompatibel sei, die die technischen Standards beherrsche.

Weitere Ankerprojekte vor Ort sind unter anderem die online buchbaren Elektro-Shuttle des Anbieters Moia (siehe Artikelbild), der autonome Busverkehr Heat in der HafenCity und das Projekt Hyperloop für den Containertransport der Zukunft sowie zahlreiche Neubauprojekte im öffentlichen Nahverkehr der Elbmetropole. "Keine andere Stadt in Deutschland investiert so viel in ihr Schnellbahnnetz", sagt Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher. Dies seien die leistungsfähigsten Verkehrsträger in einer Metropole wie Hamburg, die für eine Verbesserung der Mobilität benötigt würden.  

Deutschland Hamburg Autonomes Fahren im HVV Bus
Heat - Nahverkehrsprojekt mit autonom fahrenden Bussen in der Hamburger HafencityBild: picture alliance

Emissionsreduzierung durch Vernetzung

Auf dem ITS Weltkongress soll so die Zukunft der Mobilität in Großstädten weltweit gezeigt werden. Dabei geht es auch um Emissionsreduzierung durch technische und politische Weichenstellungen für den Individualverkehr mit dem Auto.

In einigen Hauptstädten werden bereits Schadstoffemissionen durch eine intelligente digitale Vernetzung von Ampeln und Fahrzeugen gesenkt: Mit einer Smartphone-App können Auto- und Fahrradfahrer ihre Fahrgeschwindigkeit so wählen, dass sie immer auf der Grünen Welle fahren. Das spart Energie, Zeit und vermeidet Stress. Hierfür sendet die Ampel die Daten über ihre Rot-Grün-Phasen an einen zentralen Verkehrsrechner der Stadt, von dort gehen sie als Vorhersage an die App. Der Fahrer sieht auf dem Screen, wie schnell er fährt und wie schnell er fahren sollte. Wer sich an den Tempo-Vorschlag des smarten Helfers hält, erreicht die nächste Ampel dann garantiert bei Grün.

Das lässt sich in allen Metropolen der Welt anwenden, ist Michael Ganser, Verkehrsexperte beim Mautspezialisten Kapsch TrafficCom überzeugt: "Mit diesem Wissen spart ein Autofahrer bei einer Strecke von 50 Kilometern im Stadtverkehr durch selteneres Bremsen und Beschleunigen etwa 15 Prozent Kraftstoff, die Fahrzeit wird verkürzt und die Herzfrequenz des Fahrers ist deutlicher niedriger mit dieser Verkehrslenkung." Der Automobilhersteller Audi habe den ersten Service dieser Art mit dem Partner Traffic Technology Services als Traffic Light Info bereits realisiert, so Ganser.

Michael Ganser, Verkehrsexperte bei Kapsch TrafficCom
Michael Ganser, Verkehrsexperte bei Kapsch TrafficComBild: Kapsch

Auch im australischen Melbourne kommunizieren die Verkehrsteilnehmer mit der Infrastruktur. Auf einer Fläche von sechs Quadratkilometern haben die Wissenschaftler der University of Melbourne mit Kapsch TrafficCom das nach eigenen Angaben größte Testfeld zum smarten Verkehrsmanagement ausgerollt: Straßenbahnen, Busse und Lkw sind auf 100 Straßenkilometern und an rund 70 Kreuzungen über Sensoren mit Autofahrern, Radfahrern und Fußgängern vernetzt. Voraussetzung: Alle nutzen Bluetooth. Ebenfalls eingebunden: Umweltsensoren, die die Luftverschmutzung messen.

Ampeln kommunizieren mit Autos

Angesichts der Tatsache, dass fast ein Viertel aller Treibhausgase durch den weltweiten Verkehr verursacht werden und davon wiederum 70 Prozent durch den Straßenverkehr, hält Ganser "effektive Maßnahmen in diesem Bereich für unerlässlich". Gut wäre es, wenn diese technische Unterstützung künftig in jedem Auto mit der Bordelektronik verfügbar wäre. In den USA wird Traffic Light Info bereits an rund 35.000 Kreuzungen eingesetzt. In Europa läuft die Fahrzeug-Infrastruktur-Kopplung auch schon im österreichischen Salzburg, demnächst dazu in Skandinavien und Spanien.

Das nützt auch dem Klima, denn laut Professor Dr. Martin Fellendorf, Leiter des Instituts für Straßen- und Verkehrswesen an der Technischen Universität Graz, lassen sich durch digitale Verkehrslenkung schrittweise bis 2027 in allen Ballungsräumen des Straßenverkehrs jährlich rund 42 Millionen Tonnen CO2 einsparen: "Das ist mehr als die gesamte Photovoltaik, die 2020 in Deutschland etwa 35 Millionen Tonnen eingespart hat."

Martin Fellendorf, TU Graz
Martin Fellendorf, TU GrazBild: privat

Offen für Kooperationen

Die digitale Verkehrslenkung ist laut Michael Ganser ein Technologieschub für bessere Mobilität und deshalb Thema auf dem ITS Weltkongress: "Wenn wir Routenführung und Navigation mit dem Verkehrsmanagement verbinden, können wir den Verkehr optimal im Netz verteilen und den Stau in Städten mindestens halbieren."

Wettbewerber Siemens Mobility erprobt ebenfalls intelligente Systeme in Singapur mit autonomen Shuttlebussen. Die sind mit Kameras und Sensoren an Fußgängerüberwegen, Ampeln und entlang der Straße vernetzt. Eine Gefahr soll dem Bus künftig so frühzeitig signalisiert werden, dass er gar nicht mehr abbremsen muss, sondern sein Tempo frühzeitig verringert. Bis 2030 soll die gesamte Flotte auf autonomen Betrieb umgestellt werden. 

Kapsch konzentriert sich zunächst auf die Flotte auf der Straße. Mit den Wettbewerbern sei man sich einig, dass es "dramatisch ist, was wir als Branche machen könnten, aber in Politik und Wirtschaft kaum bekannt ist", sagt Verkehrsexperte Michael Ganser. Um den flächendeckenden Ausbau zu beschleunigen, wären die Unternehmen der Branche nach seiner Einschätzung bereit, miteinander enge Kooperation einzugehen: "Wir würden unsere Softwaresysteme füreinander öffnen."

Der Artikel wurde am 12.10. aktualisiert.