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Italiens Regierung hält

Kirstin Hausen2. Oktober 2013

Italiens Senatoren bestätigen Ministerpräsident Enrico Letta im Amt und Silvio Berlusconi scheint geschlagen. Doch so einfach ist es nicht. Denn wer hält jetzt weiter die Regierung in Geiselhaft? Natürlich Berlusconi.

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Der italienische Premierminister Enrico Letta (Foto: epa)
Premierminister Enrico Letta hat das Misstrauensvotum überstandenBild: picture-alliance/dpa

Großes Kino. Mal wieder. Silvio Berlusconi weiß, was man für einen guten Plot braucht. Und die Aula des Senats verwandelte sich einmal mehr in seine Bühne. Hatte er die Spannung seit Tagen ins Unerträgliche gesteigert, so sollte am Mittwoch (02.10.2013) der Showdown zwischen ihm und Enrico Letta stattfinden. Doch dann legt der Medienunternehmer und Parteiführer in der Rolle des Bösewichtes kurz vor zwölf die Pistole aus der Hand und gibt dem jungen Sheriff seinen Segen. Enrico Letta darf weiterregieren. Auch von Berlusconis Gnaden.

Niederlage oder Finte?

Und vielleicht war das genau seine Absicht und die innere Spaltung seiner Partei in Berlusconi-treue Nein-Stimmer und eine Dissidentengruppe, die Letta unterstützt, war eine Finte? Es liegt zumindest im Bereich des Möglichen, denn Silvio Berlusconi ist mit allen Wassern gewaschen und sowohl ein Politprofi als auch ein Meister der Kommunikation. Mit seinen überraschenden Wendungen der vergangenen Tage hat er die Medien vollkommen für sich beansprucht und der Öffentlichkeit suggeriert, dass das Schicksal des Landes mit seinem ganz persönlichen unlösbar verknüpft ist.

Nun ist die Regierung also nicht gestürzt, entgegen Berlusconis Drohungen. Seine Gegner feiern das als Sieg, und beschwören das Ende der Berlusconi-Partei PdL herauf. Es herrsche "Chaos" und "Berlusconi habe die Kontrolle über die Partei verloren" ist auf den Onlineseiten der Tageszeitung La Repubblica zu lesen. Es kursieren bereits mögliche neue Parteinamen.

Doch längst nicht alle Italiener bezeichnen das gescheiterte Misstrauensvotum gegen die Regierung als Niederlage Berlusconis. Gianni Barbacetto von der unabhängigen Tageszeitung "Il fatto quotidiano" fragt sich, was Berlusconi von einer Regierungskrise gehabt hätte, genau zwei Tage vor einer Sitzung im Immunitätsausschuss des Senats, in der entschieden werden soll, ob Berlusconi seinen Sitz in der Kammer entzogen wird. "Wäre die Regierung gestürzt, wäre Berlusconi jetzt draußen. So aber ist er immer noch der politische Geiselnehmer Italiens." Denn so bleibt Berlusconis Partei PdL weiterhin in einer großen Koalition mit den Linksdemokraten. Und vielleicht werden die es Berlusconi am Freitag danken, indem sie ihn nicht aus dem Senat ausschließen? Vielleicht wollte Berlusconi den Druck auf Letta vor diesem wichtigen Termin bis zum Anschlag steigern?

Ex-Premier Silvio Berlusconi (Foto:
Verlierer oder heimlicher Sieger? Silvio BerlusconiBild: picture-alliance/AP Photo

"Ära des Cavaliere nicht vorbei"

"Berlusconi ist immer noch Berlusconi. Er findet einen Ausweg", sagt Pino Fabbri, ein Schuhhändler in Mailand. Und eine Kundin im dunkelroten Mantel bekräftigt, dass die "Ära des Cavaliere" noch nicht abgeschlossen sei. Bei Neuwahlen nach dem gültigen Wahlrecht, das klare Mehrheiten im Senat verhindert, hätte Berlusconi sogar Chancen, wieder gewählt zu werden. Deshalb will Staatspräsident Giorgio Napolitano so schnell wie möglich eine Wahlrechtsänderung, doch diese Reform steht schon seit Jahren an und niemand nimmt sie in Angriff.

Die Regierung Letta hält zwar vorerst, und das beruhigt die Finanzmärkte und europäischen Partner, aber Italien ist noch lange nicht aus dem Schneider. Die Wirtschaft will nicht in Gang kommen, verkrustete Strukturen bleiben dank starker Lobbies bestehen und vier von zehn jungen Italienern sind arbeitslos - ein neuer Rekord. Sprengstoff ist genug vorhanden, als Entschärfer hat sich Enrico Letta bisher nicht sonderlich hervorgetan. Deshalb sind viele Italiener von ihm und der Großen Koalition enttäuscht. Und Silvio Berlusconi heizt die Unzufriedenheit an, indem er dem Koalitionspartner PD immer wieder vorwirft, Steuererhöhungen aus der Amtszeit von Mario Monti nicht zurücknehmen zu wollen.

Meinungen und Fakten

Der Mythos von Berlusconi als mächtigster Mann Italiens scheint zu halten in der italienischen Öffentlichkeit. Obwohl die Fakten anders aussehen. Silvio Berlusconi ist rechtskräftig verurteilt, er kann wählen zwischen Hausarrest oder Sozialdienst, Ende Oktober wird das Urteil vollzogen.

Doch Fakten spielen in dem surrealen Theater, das auf der politischen Bühne des Landes derzeit aufgeführt wird, keine große Rolle mehr. Und die Medien haben ihren Anteil daran, so der Journalist Gianni Barbacetto: "Die Fakten verschwinden und werden durch Meinungen ersetzt. Gegenteilige Meinungen werden uns als Pluralismus und als gute Berichterstattung verkauft." Statt Berlusconis kriminelle Machenschaften ins Zentrum der Berichterstattung zu stellen, geht es in den italienischen Zeitungen und Fernsehsendungen nur darum, welche politischen Folgen sie haben.

Mit der Vertrauensabstimmung im Parlament wollte sich Regierungschef Enrico Letta aus dem Würgegriff Berlusconis befreien. Aber es könnte zu einem Eigentor werden. Denn in der italienischen Politik gibt es nichts umsonst. Und so wird Letta einen Preis für die Treue von 235 Parlamentariern zahlen müssen. Möglicherweise bereits am Freitag, wenn es um Berlusconis Zukunft geht, und damit mal wieder um die des ganzen Landes.