Italiens Nationalismus verschreckt Nachbarn
13. Februar 2019"Es lebe Triest. Es lebe das italienische Istrien, es lebe das italienische Dalmatien." Diese Aussage des italienischen EU-Parlamentspräsidenten Antonio Tajani sorgt gerade für Aufregung in Kroatien und Slowenien.
Kein Wunder: Denn während Triest eine norditalienische Stadt an der Grenze zu Slowenien ist, gehörten die beiden Urlaubsregionen nach dem Zweiten Weltkrieg zum sozialistischen Jugoslawien. Heute teilen sich die ehemaligen jugoslawischen Teilrepubliken Slowenien und Kroatien Istrien. Dalmatien gehört zu Kroatien.
Tajani ging noch weiter: Seine umstrittenen Äußerungen vom Sonntag waren Teil einer Rede bei der Gedenkfeier für die Opfer der sogenannten Foibe-Massaker (1943-1945). Foiba bezeichnet die Karsthöhlen entlang der Adriaküste - dort hinein warfen jugoslawische Partisanen fünf- bis zehntausend aus Rache getötete Italiener aus Istrien und Dalmatien. Tajani sprach von "tausenden unschuldiger Opfern, die getötet wurden, weil sie Italiener waren". Der italienische Vizepremier Matteo Salvini von der rechtsradikalen Lega verglich bei derselben Gedenkfeier die Foibe-Toten gar mit den Opfern von Auschwitz.
Eine halbherzige Entschuldigung
Das Thema sorgt seit Jahren immer wieder für Spannungen zwischen den EU-Mitgliedern Italien, Slowenien und Kroatien. Die offizielle Lesart in Rom ist, dass die Foibe-Massaker nicht nur wilde Racheakte, sondern auch eine systematische ethnische Säuberung gegenüber der italienischen Minderheit darstellten. Diese Interpretation wird in Ljubljana und Zagreb scharf kritisiert, obwohl Slowenien und Kroatien die jugoslawischen Verpflichtungen für Entschädigungszahlungen an vertriebene Italiener übernommen haben.
Doch jetzt scheint die verbale "Annexion" Istriens und Dalmatiens durch Tajani das Fass zum Überlaufen zu bringen. Zumal die Bevölkerung beider Regionen im Zweiten Weltkrieg schwer unter der faschistischen italienischen Besatzung gelitten hatte - bis sie durch die Partisanen befreit wurde.
Es gehe um "beispiellosen historischen Revisionismus", sagte der slowenische Premierminister Marjan Šarec. Sein kroatischer Kollege Andrej Plenković will in Tajanis Worten außer Revisionismus auch "Spuren territorialer Ansprüche" erkannt haben.
Der slowenisch-kroatische Schulterschluss lässt sogar die Zerwürfnisse zwischen beiden Ländern in den Hintergrund treten - sie streiten über den Verlauf der Seegrenze in der adriatischen Bucht von Piran.
Tajani hat sich mittlerweile entschuldigt. Ihm tue es leid, wenn jemand sich verletzt fühle, ließ der EU-Parlamentspräsident erklären. Die Freundschaft dreier EU-Länder sei stark. Er wiederholte aber seine Aussage weitgehend, wonach die Massaker an Italienern auf "ideologischem und ethnischem" Hass beruht haben sollen. Tajanis als halbherzig empfundenes Zurückrudern konnte die Empörung nicht stoppen.
Rhetorischer Spagat
"Diese Aussagen sind ein ernster Schlag gegen die europäische Idee und den Zusammenhalt", sagte der frühere kroatische Staatspräsident Ivo Josipović gegenüber der DW. Er hatte 2010 gemeinsam mit den Präsidenten Sloweniens und Italiens in Triest an einem feierlichen "Konzert der Versöhnung" teilgenommen. Jetzt sind die ruhigen Zeiten vorerst vorbei.
Dabei sorgte Salvinis Auschwitz-Vergleich weit weniger für Verwunderung als die scharfen Aussagen von Tajani, da der Europapolitiker bisher als eher gemäßigt wahrgenommen wurde. Ein Grund für den Schwenk könnte sein, dass die Europawahlen vor der Tür stehen - und auch Tajanis Forza Italia befindet sich im Wahlkampf und schneidet in den Umfragen nicht gut ab.
Der Sozialdemokrat Ivo Josipović sieht die rhetorische Verschärfung im Kontext der "allgemeinen Verstärkung der radikalen Rechten in Europa, des historischen Revisionismus und der Koketterie mit verschiedenen Formen des Faschismus". Damit habe auch sein Heimatland Kroatien ein Problem.
In Zagreb werden die kroatischen Opfer der Racheakte kommunistischer Partisanen bis heute weitgehend als Unschuldige bezeichnet, obwohl viele mit dem faschistischen Ustascha-Regime kollaboriert haben. Aus dem Staatshaushalt werden auch etliche Bücher und Filme mitfinanziert, die das kroatische Vernichtungslager Jasenovac als bloßes Arbeitslager darstellen und die Zahl der getöteten Serben, Roma, Juden und Regimegegner kleinrechnen.
Im derzeitigen Streit mit Italien bedeutet das einen beachtlichen Spagat: Einerseits gilt das Tito-Regime des späteren Jugoslawiens (zu dem viele ehemalige Partisanen gehörten) als unterdrückerisch. Wenn es andererseits um die Verbrechen an den Italienern geht, gilt die alte Doktrin: Ja, wir haben Verbrechen begangen, aber systematische Verbrechen nicht.