Italien: Wahlkampf der Schmähungen
11. Februar 2006Mit dem offiziellen Beginn des italienischen Wahlkampfs erlahmt die Kampagne von Silvio Berlusconi. Denn von der Auflösung der beiden Parlamentskammern am Samstag (11.2.2006) bis zur Wahl am 9. April herrscht Waffengleichheit: Es wird gezählt, wie viele Minuten die Politiker in den Fernsehnachrichten auftauchen, Wahlspots dürfen nur nach Quoten gesendet werden und Unterhaltungssendungen sind für die Kandidaten tabu.
Dort war Berlusconi, der über drei private und drei staatliche Fernsehsender verfügen kann, in den vergangen Wochen Dauergast, um über sich, seine Familie und seine Politik zu plaudern. Sogar im Verkehrsfunk der staatlichen RAI wandte sich der Ministerpräsident an die Hörer: "Ich wünsche allen eine gute Fahrt!" Drei Stunden und acht Minuten war er nach Berechnungen eines Medienunternehmens allein in der ersten Januarhälfte im Fernsehen zu sehen - sein Herausforderer Romano Prodi, ehemaliger Präsident der EU-Kommission, dagegen nur acht Minuten. Bewirkt hat die Dauerbestrahlung der Wähler bislang allerdings wenig: In Umfragen liegt der nüchterne Prodi bis zu fünf Prozent vor dem telegenen Medienmogul.
Schmähungen und Spott
Der Wahlkampf verspricht vor allem unterhaltsam zu werden. Denn bislang spielten Inhalte eine deutlich geringere Rolle als gegenseitige Schmähungen. So thematisierten die beiden Kandidaten Körpergröße und Leibesumfang ihres Gegners; Berlusconi nennt die Vertreter von Prodis Mitte-Links-Bündnis "Kommunisten" und Prodi den Premier einen Fall für den Psychiater. Im Radio sang der 69-jährige Berlusconi eine "neapolitanische Samba" und auf einer Wahlkampfveranstaltung gelobte er, bis zur Wahl keinen Sex zu haben.
Dabei mangelt es nicht an Themen: Seit 2002 liefert das staatliche Amt für Statistik Jahr für Jahr vernichtende Wirtschaftsdaten. Im Jahr 2005 verzeichnete Italien keinerlei Wachstum und die Verschuldung ist größer als in jedem anderen EU-Land. "Dass nicht über den Reformbedarf geredet wird, ist furchtbar", sagt Renato Mannheimer, Politologe an der Universität Mailand-Bicocca. Andererseits jedoch verhielten sich die Kandidaten klug. "Sie versuchen vor allem, ihre eigene Wählerbasis zu mobilisieren. Und das geht mit Angriffen besser als mit komplizierten Programmen."
Leere Versprechen
Für Berlusconi seien die dauernden Fernsehauftritte der beste Weg, seine Zielgruppe zu erreichen, sagt Mannheimer. Analysen hätten nach der Wahl 2001 gezeigt, dass er besonders gut bei Hausfrauen ankam, die sich nicht für Politik interessieren. "Berlusconis Wahlkampagne war damals exzellent und hat die Bevölkerung von seinen Versprechen überzeugt." Derer hatte er viele gemacht: Rentenanhebungen, Steuersenkungen, Einkommenszuwächse und Großprojekte wie eine sechs Milliarden Euro teure Brücke nach Sizilien. Dank der Mehrheit, die die Wahlallianz aus Berlusconis Forza Italia, der postfaschistischen Alleanza Nazionale und der rechtspopulistischen Lega Nord errang, blieb Berlusconi als erster Premierminister seit 1953 eine ganze Legislaturperiode lang im Amt.
Doch nun holen ihn die Wahlversprechen ein. So erklärte am Montag (6.2.) der Vorsitzende der Rentnerpartei PPE, seine Gruppierung werde nach zehn Jahren an der Seite Berlusconis nun das Oppositionsbündnis unterstützen, weil die Regierung die Ankündigung, die Mindestrente zu erhöhen, nicht wahr gemacht habe. Zwar dürfte die Partei lediglich etwas mehr als ein Prozent der Stimmen gewinnen - doch angesichts des voraussichtlich knappen Wahlausgangs zählt jeder Wähler. Aus diesem Grund umwirbt Berlusconis Wahlbündnis "Haus der Freiheiten" auch rechtsradikale Splitterparteien, die zusammen auf mehr als zwei Prozent kommen könnten.
Eine Million Arbeitsplätze
Ungeachtet der Kritik gehört eine Rentenerhöhung nun erneut zu den Werbebotschaften Berlusconis, zudem verspricht er eine Million neuer Arbeitsplätze. Prodi kündigte an, er werde die Lohnnebenkosten senken, die italienischen Truppen aus dem Irak abziehen und das Projekt der längsten Hängebrücke der Welt nach Sizilien stoppen.
"Angesichts seiner Bilanz müsste Berlusconi abgewählt werden", sagt Michael Kreile, Italien-Experte an der Humboldt-Universität Berlin. "Am meisten ist unter seiner Regierung noch in der Justizpolitik passiert - sofern seine eigenen Prozesse tangiert waren." Berlusconis Bündnis hatte immer wieder Gesetze erlassen, die ganz unverhohlen dazu dienten, den Ministerpräsidenten vor drohenden Korruptionsprozessen zu schützen und seine Macht zu erweitern. Der seriöser wirkende Prodi habe trotz seines derzeitigen Vorsprungs ein Problem, glaubt Kreile: "Sein Bündnis hat darunter gelitten, dass es starke Rivalitäten zwischen den Führungsfiguren gibt." Prodi, Piero Fassino von den Linken Demokraten und Francesco Rutelli von La Margherita müssten stärker vermitteln, dass sie an einem Strang ziehen.
Auch Renato Mannheimer hält eine Niederlage Berlusconis keineswegs für ausgemacht. "Eigentlich ist er politisch bankrott", sagt der italienische Politologe. "Aber das sehen nur die politisch Interessierten so. Für die große Mehrheit der Italiener ist Politik nur Unterhaltung - und darin ist Berlusconi sehr gut."