Versäumnisse
8. November 2011Das hochverschuldete Euro-Land Italien gerät an den Finanzmärkten immer stärker unter Druck. Zu Wochenbeginn stieg die Rendite für zehnjährige Staatsanleihen erstmals über die Marke von 6,5 Prozent. Am Montag (07.11.2011) kletterte die Rendite kräftig um rund einen viertel Prozentpunkt auf bis zu 6,63 Prozent. Der Risikoaufschlag im Vergleich zu deutschen Staatsanleihen mit gleicher Laufzeit stieg damit auf einen Rekordwert von etwa 4,78 Prozentpunkten. Hohe Renditen und Risikoaufschläge gelten als Zeichen eines großen Misstrauens der Investoren.
Italien wächst nicht. Das Land, das mit einer Wirtschaftsleistung von rund 1,5 Billionen Euro die achtgrößte Volkswirtschaft der Welt bildet, hat von 2000 bis 2010 real so gut wie kein Wirtschaftswachstum generiert. Es liegt damit im europäischen Vergleich abgeschlagen an letzter Stelle. Trotzdem wurde das Land lange Zeit als stabil eingestuft. Italien ist zwar mit fast 1,9 Billionen Euro oder 120 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts verschuldet - nach Griechenland die zweithöchste Verschuldung in der Eurozone. Dem steht aber ein Nettoprivatvermögen von 180 Prozent des BIP gegenüber - Deutschland und Frankreich kommen jeweils nur auf ca. 140 Prozent. Nahezu 60 Prozent der Staatsanleihen werden von italienischen Investoren gehalten. Alles Argumente für ein stabiles Italien. Weshalb nun aber der Druck seitens der Finanzmärkte?
Ausufernde Staatsausgaben
Die lange mit Stabilität interpretierte, beruhigende Außendarstellung der italienischen Volkswirtschaft verdeckte den tatsächlichen Zustand eines verfilzten Politiksystems. Im Oktober-Outlook für Europa bescheinigte der Internationale Währungsfonds Italien enorme strukturelle Probleme. Dazu gehören ausufernde Staatsausgaben, die zudem sehr ineffizient verwendet würden, und ein Steuersystem, das mit einer Abgabenquote von rund 43 Prozent die Wirtschaft enorm belastet. Traditionell ist der Anteil der Schattenwirtschaft sehr hoch - die Schätzungen liegen zwischen 18 und 30 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung.
Im internationalen Wettbewerb verliert Italien seit der Festlegung des Wechselkurses zum Euro im Jahr 1996 kontinuierlich an Boden. Lag vor zehn Jahren der Anteil der Exporte am BIP bei rund 30 Prozent, war der Anteil im Jahr 2005 auf ein Fünftel geschrumpft. Während Länder wie Deutschland, Österreich oder die Niederlande in den letzten Jahren ihre Weltmarktanteile in etwa halten konnten, gehört Italien zusammen mit Frankreich und Großbritannien zu den Ländern, die auch 2010 weiter an Weltmarktanteilen verloren haben. Vor zehn Jahren noch exportierte Italien mehr Waren, als es einführte. Heute ist es umgekehrt, die Handelsbilanz ist negativ.
Marktanteile verloren
Schuld daran ist vor allem die verminderte Wettbewerbsfähigkeit italienischer Unternehmen auf dem Weltmarkt. Zwar exportiert Italien nach wie vor hauptsächlich Maschinen, Automobile, chemische Erzeugnisse, hochwertige Textilien und Designermöbel, doch die geringe Produktivität in Folge von steigenden Lohnstückkosten und hohen Steuerabgaben machen italienische Produkte zunehmend unattraktiver. Früher gehörte Italien zu den Ländern, die ihre Landeswährung regelmäßig abwerteten. Mit der Einführung der Gemeinschaftswährung Euro hat Italien die Möglichkeit der Abwertung verloren.
Ein weiteres Problem ist die Arbeitslosigkeit in Italien. Zwar liegt die Arbeitslosenquote mit aktuell etwa 8,7 Prozent unter dem EU-Durchschnitt von zehn Prozent. Trotzdem hat das Land ein Beschäftigungsproblem. Denn nur 59 Prozent der erwerbsfähigen Bevölkerung hat einen regulären Arbeitsplatz - die Beschäftigungsquote ist deutlich niedriger als in den anderen EU-Staaten. Besonders dramatisch gestaltet sich die Jugendarbeitslosigkeit. Etwa jeder dritte unter 25-Jährige steht ohne Arbeit da.
Vertrauensverlust
Vor allem die stark gesunkene Wettbewerbsfähigkeit lastet auf Italiens Wirtschaft, obwohl das Land nicht mit einer Immobilienblase und Bankenkrise zu kämpfen hat. Als Konsequenz des Vertrauensverlusts folgt eine sich nun selbst verstärkende Verschlechterung der Finanzierungskonditionen. Anders als in Deutschland, Frankreich und Großbritannien, war die Staatsverschuldung Italiens zwischen 2007 bis 2011 nicht von Konjunkturpaketen, Bankenrettungen und Steuerausfällen geprägt, sondern nahezu ausschließlich von steigenden Refinanzierungskosten.
Italien leidet an einem Vertrauensverlust seitens der Märkte. Das Land hätte ausreichend volkswirtschaftliche Substanz, um die vom IWF gezeigten Defizite aufarbeiten zu können. Doch Strukturreformen benötigen Zeit. Zugleich drängt die Zeit für unmittelbare Ergebnisse, weil weder die Europäische Zentralbank noch der Rettungsschirm EFSF Italien bei weiter steigenden Refinanzierungskosten auffangen können.
Autor: Rolf Wenkel
Redaktion: Klaus Ulrich