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Italien muss abgeschobene Flüchtlinge entschädigen

23. Februar 2012

Für zwei der Kläger kommt das Urteil zwar zu spät, doch für die Flüchtlingspolitik hat es Folgen: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte verurteilt Italien wegen der Abschiebung afrikanischer Bootsflüchtlinge.

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Bootsflüchtlinge vor Lamdedusa (Archivbild dpa)
Bild: picture alliance/dpa

Die Abschiebung von insgesamt 24 Afrikanern ohne Feststellung ihrer Identität oder einer Prüfung der Einzelfälle hat gegen das Verbot der Kollektivausweisung ausländischer Personen verstoßen, entschieden die Straßburger Richter. Die Kläger stammten aus Somalia und Eritrea. Sie waren 2009 mit einem Schiff von Libyen aus nach Italien aufgebrochen. Vor der italienischen Insel Lampedusa hatte sie die Küstenwache aufgegriffen und nach Libyen zurückgebracht, ohne dass sie dagegen Einspruch einlegen konnten. Italien hatte sich bei der Aktion auf ein damals bestehendes Rückführungsabkommen mit Libyen berufen, das erst im Februar 2011 ausgesetzt worden war.

Italien könne sich seiner Verantwortung hinsichtlich der Menschenrechtskonvention nicht durch den Verweis auf bilaterale Abkommen entziehen, urteilten die Richter in Straßburg. Auch die Tatsache, dass Italien mit einer hohen Zahl ankommender Flüchtlinge konfrontiert worden sei, gebe dem Land nicht das Recht, Personen in Länder abzuschieben, in denen ihnen Folter oder Misshandlung drohe. Bereits zum Zeitpunkt der Rückführung hätte für die Flüchtlinge in Libyen das Risiko bestanden, unmenschlicher Behandlung ausgesetzt zu werden.

Flüchlingsurteil in Straßburg # 23.02.2012 # Journal

Italien will seine Flüchtlingspolitik "überdenken"

Der Menschenrechtsgerichtshof kritisiert, dass die auf See aufgegriffenen Flüchtlinge nicht über das Vorgehen der Küstenwache unterrichtet worden seien. Sie hätten nicht gewusst, dass sie statt nach Italien zurück nach Libyen gebracht würden. Daher seien sie nicht in der Lage gewesen, einen Verstoß gegen die Menschenrechtskonvention anzuprangern und eine Untersuchung ihres Falles einzufordern. Berufung gegen das Urteil ist nicht möglich.

Italien muss nun jedem der Kläger 15.000 Euro Schmerzensgeld zahlen. Allerdings haben die Anwälte derzeit nur Kontakt zu sechs von ihnen. Sie befinden sich teils in Afrika, teils in Europa. Zwei Bootsflüchtlinge sind gestorben, das Schicksal der übrigen ist ungewiss. Man werde die europäische Dimension dieser Entscheidung sehr sorgfältig beachten, sagte der italienische Minister für Integration und Zusammenarbeit, Andrea Riccardi, und kündigte an, die italienische Flüchtlingspolitik "zu überdenken". Der damals verantwortliche Innenminister Roberto Maroni klagte, der Richterspruch mache den Weg frei für ungehinderte Einwanderung.

Menschenrechtler begrüßen das Urteil

Menschenrechtler äußerten sich hoch erfreut über das Urteil. Die Entscheidung sei richtungweisend für den Schutz von Flüchtlingen auf hoher See, erklärte das Deutsche Institut für Menschenrechte in Berlin. Deutschland müsse aus dem Urteil ebenfalls Konsequenzen ziehen und sich auf EU-Ebene für klare und verbindliche Regelungen zum Flüchtlingsschutz einsetzen. Zudem solle es sich nicht an Einsätzen der EU-Grenzschutzagentur Frontex beteiligen, so lange die Menschenrechte nicht garantiert seien.

Auch Amnesty International unterstrich, alle EU-Staaten müssten nun den Flüchtlingsschutz verbessern. Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) begrüßte das Urteil als "Wendepunkt" bei der Frage nach der Verantwortung von Staaten im Umgang mit Flüchtlingen.

rb/re/wl (afp,epd,kna)