Kultur in Italien
26. November 2011Der Historiker Thomas Schlemmer hat als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Deutschen Historischen Institut in Rom die Kulturpolitik des Landes hautnah miterlebt. Er beklagt ein staatliches Desinteresse an den Kulturgütern sowie mangelnde Investitionen in die Bildung. Seine Hoffnung richtet sich jetzt auf den Reformwillen der neuen Regierung.
Unterfinanziert und interessengeleitet
"Der italienische Staat hat in den letzten Jahren immer weniger Geld in diesen Sektor investiert", so Schlemmer. Das größte Manko bestehe darin, dass an der Bestandserhaltung gespart worden sei. "Vor zwei Wochen hat es Erdrutsche in Pompeji gegeben, die Ausgrabungen zerstört haben, weil man immer weniger in den Erhalt dieser Kulturdenkmäler investiert hat und das Geld an anderer Stelle ausgegeben worden ist."
Neue Projekte hatten kaum eine Chance realisiert zu werden. "Eigentlich ist ganz Italien ein Weltkulturerbe, das an vielen Stellen kaputt gespart worden ist", beklagt der Historiker. Das betrifft nicht nur Baudenkmäler und archäologische Ausgrabungsstätten. Auch Forschungseinrichtungen und Archive haben durch Kürzungen der finanziellen Ausstattung ganz schön bluten müssen. Man habe den Service heruntergefahren, Projekte nicht verlängert und befristet angestellte Mitarbeiter nicht weiter beschäftigt. Über das spezielle Interesse Berlusconis konnten sich allerdings einige wenige Prestigeobjekte freuen: eine geplante prunkvolle Brücke über die Straße von Messina gehörte zu Berlusconis Lieblingsprojekten. Aber, meint der Historiker, "wenn man schon sparen muss, sollte man an solchen Prestigeprojekten sparen, die nach viel aussehen, aber keine Nachhaltigkeit vermitteln."
Flucht der besten Köpfe
Der größte Reformbedarf besteht allerdings im Bildungsbereich. Das beginnt beim Bauzustand der oft sehr alten Universitäten und endet beim Lehrpersonal, das an allen Ecken und Enden fehlt. Seit Jahren begleiten Demonstrationen und Proteste von Schülern und Studenten diese Entwicklung.
"Italien ist ein Vorreiter der Bachelorisierung des Studiums, das ist eine Mischung aus Reform und Budgetdeckelung. Durch diese Kürzungen hat sich die Situation in den letzten Jahren erheblich verschlechtert", erklärt der Italien-Experte. Im Jahr 2003 wurden unter der Regierung Berlusconi die Forschungsmittel für Universitäten um 5,3% gekürzt. Zwei Jahre später sorgten Forderungen der Rektoren für Aufsehen, die darauf aufmerksam machten, dass 50000 junge Forscher an den Universitäten vergeblich auf eine reale Berufschance warteten. Im vergangenen Jahr richteten sich 100 Demonstrationen gegen die geplante Streichung von 87000 Lehrerstellen. Dieses System führt zu einer Flucht der besten Köpfe, die in Italien keine Perspektive für sich sehen und ins Ausland abwandern. An erster Stelle stehen Universtäten in den USA, in England und in Japan.
Zwiespältiges Deutschlandbild
Die italienischen Beziehungen zu den deutschen Nachbarn sind bis heute von Empfindlichkeiten geprägt, die auch mit den nicht unproblematischen politischen Verhältnissen im 20. Jahrhundert zu tun haben. Immerhin hat man zwei Kriege gegeneinander geführt, der Nationalsozialismus und die deutsche Besatzung sind bis heute nicht vergessen. Und es war sicher kein diplomatischer Geniestreich, dass der französische Staatschef Sarkozy und Angela Merkel sich nur vielsagend angelächelt haben, als sie gefragt worden sind, was Italien zur Krisenbewältigung in Europa beitragen könnte. Damals ging ein Sturm der Entrüstung durch Italien, man fühlte sich als Nation und als Partner lächerlich gemacht. Andererseits hat Deutschland auch eine Vorbildfunktion. Da das Land bisher aus italienischer Sicht recht gut aus der europäischen Krise heraus gekommen ist, hört man immer wieder: "wir müssen es so machen wie die Deutschen."
Traumziel Italien?
In einem Land, bei dem die Jugendarbeitslosigkeit bei fast 30% liegt und der Süden von der wirtschaftlichen Entwicklung immer weiter abgekoppelt worden ist, kann von dolce vita keine Rede sein. "Wir haben es hier mit einem hart arbeitenden Volk zu tun, das vom Staat sträflich allein gelassen wird", so Schlemmer. Aber die Idee gibt es nach wie vor vom Italiener, der den lieben Gott den guten Mann sein lässt. Dazu kommen Berichte von organisierter Kriminalität und der Mafia, das alles ist immer sehr präsent. "Die Presse hängt ihre Artikel gern an solchen Klischees auf, weil sie dann leichter an den Mann zu bringen sind. Ich glaube aber, dass diese Klischees viel von ihrem Gift verloren haben." Thomas Schlemmer erinnert sich aber: "Vor einigen Jahren gab es die Geschichte, dass ein italienischer Staatssekretär mit antideutschen Klischees gespielt hat und Gerhard Schröder darauf hin seinen Italienurlaub abgesagt hat. Aber solche Zwischenfälle sind die Ausnahme, und das positive Bild, das man jetzt in Deutschland von Italien und in Italien von Deutschland hat, ist doch die Regel."
Autorin. Gudrun Stegen
Redaktion: Sabine Oelze