Ist Xi der neue Mao?
1. August 2014Wer die chinesischen Staatsmedien liest, kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass Xi Jinping beinah im Alleingang den chinesischen Staat lenkt. Der Präsident und Parteichef tritt damit in die Fußstapfen des "großen Steuermanns" Mao Tsetung. Eine Studie der Universität Hong Kong hat festgestellt, dass Xis Name im wichtigsten Publikationsorgan der Kommunistischen Partei, der "Tageszeitung des Volkes" (People's Daily), häufiger erwähnt wird als der jedes anderen Spitzenfunktionärs der Partei seit Mao.
Die Autoren der Studie untersuchten die Berichterstattung der "Tageszeitung des Volkes" über acht amtierende und ehemalige Präsidenten in den ersten 18 Monaten ihrer Amtszeit. Qian Gang, Direktor des China Medien Projekts an der Universität Hong Kong und Hauptautor der Studie sagte der DW, dass es nun an der Öffentlichkeit und den Experten sei, politische Schlussfolgerungen aus dem Ergebnis der Studie zu ziehen.
Hoffnung auf starken Führer
"Unter bestimmten Bedingungen kann ein starker Führer für die Bekämpfung der Korruption, zur Durchsetzung eines Rechtssystems und um moderne gesellschaftliche Institutionen zu schaffen, hilfreich sein", sagt zum Beispiel Hu Xingdou, Wirtschaftsprofessor an der Universität Beijing für Wissenschaft und Technik, im Gespräch mit der DW. Denn in China gebe es starke Interessengruppen, die Reformen entgegenstünden.
Tatsächlich kündigte Xi Jinping kurz nach seinem Amtsantritt im März 2013 eine Anti-Korruptionskampagne an, die nicht nur "Fliegen", sondern auch "Tiger" treffen sollte. Viele Chinesen waren von Reichweite und Radikalität der Kampagne überrascht. Am Dienstag (29.08.2014) wurde etwa bekannt, dass gegen Zhou Yongkang, ehemaliges Mitglied des Politbüros, wegen Korruption ermittelt wird. Mitglieder des Ständigen Ausschusses des Politbüros, und damit des höchsten politischen Entscheidungsorgans Chinas, galten bisher als tabu. Xi hat mit den Ermittlungen gegen einen der mächtigsten Männer der chinesischen Politik ein ungeschriebenes Gesetz gebrochen. Experten sind der Ansicht, dass Xi in doppelter Weise davon profitiert: Er konsolidiert seine Macht in der Partei, indem er unliebsame Gegner aus dem Weg räumt, und mehrt sein Ansehen in der chinesischen Bevölkerung.
"Xi Jinping war mit seiner Tigerjagd erfolgreich, was seinem Prestige sehr zuträglich ist", sagt Willy Lam, ein in Hong Kong lebender Experte für chinesische Politik und Geschichte. Xi sei nun der unangefochtene Machthaber, mächtiger noch als die beiden vorigen Präsidenten Jiang Zemin and Hu Jintao, sagt Lam. "Nachdem Deng Xiaoping an die Macht kam, etablierte er ein System kollektiver Führerschaft, mit einer Arbeitsteilung innerhalb des Ständigen Ausschusses des Politbüros. Der Generalsekretär mischte sich nicht in die Angelegenheiten der anderen Mitglieder ein. Aber Xi hat mit diesem Modell gebrochen", erklärt Lam. Hinzu komme: "In Xis Umfeld gibt es einige Leute, die an einem mao-artigen Personenkult arbeiten. Das ist auch der Grund, warum Xi häufiger als jedes andere Mitglied des Politbüros in der Tageszeitung des Volkes und im chinesischen Staatsfernsehen CCTV auftaucht."
Fortschritt oder Rückschritt?
Eine Wiederholung der Ära Maos hält Professor Hu für unmöglich. Denn: Die heutige Generation sei viel besser informiert. Trotzdem gebe es einen fruchtbaren Boden für den Personenkult, sagt Hu: "Die Menschen haben viele Probleme und wenig Hoffnung. Deswegen wünschen Sie sich einen charismatischen, starken Führer, der die Probleme von Grund auf löst." Taiwans ehemaliger Präsident Chiang Ching-kuo habe einmal gesagt: "Ich werde autoritäre Mittel nutzen, um das autoritäre System zu beenden." Hu zitiert Chiang, um die Erwartungen an Xi zu erklären.
China-Experte Lam hingegen ist der Ansicht, dass die Hoffnungen auf einen charismatischen Führer überholt sind. Die Probleme Chinas ließen sich nur durch mehr Demokratie, politische Teilnahme und öffentliche Kontrolle lösen. "Das jetzt ist ein Rückschritt."