Wie grün ist Deutschland?
10. Mai 2016Einmal im Jahr stehen sie im Mittelpunkt: Sieben renommierte Professoren aus unterschiedlichen Disziplinen. Und die Bundesregierung hört auf den Rat der Experten für Umweltgerechtigkeit, Energie und Klimaschutz, Stadtentwicklung oder Recyclingtechnologie.
Die Idee, ein solches Gremium einzurichten, hatte schon Willy Brandt. Rauchende Schlote im Ruhrgebiet, von ungeklärten Industrieschlämmen verseuchte Flüsse und das daraus resultierende größte Fischsterben der Nachkriegszeit im Rhein stimmten den damaligen Bundeskanzler nachdenklich.
In einer Regierungserklärung 1969 sprach er erstmals den Umweltschutz an. Der SPD-Politiker forderte Schutzmaßnahmen gegen Lärmbelästigung, gegen Luftverschmutzung durch Autoabgase, gegen Wasserverunreinigung und gegen Insektizide. Brandt reagierte damit auf die massive Umweltbelastung infolge des Industriewachstums.
Umwelt-Expertise seit 45 Jahren
Zwei Jahre später, 1971, wurde der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) ins Leben gerufen. Das unabhängige Gremium berät bis heute die Bundesregierung in ökologischen Belangen und veröffentlicht jedes Jahr ein Gutachten.
2016 wollen die Wissenschaftler Impulse für eine ökologische Transformation geben - den Wandel hin zu mehr Nachhaltigkeit, mehr Gerechtigkeit und Lebensqualität. Das Gremium unter dem Vorsitz des Clausthaler Ingenieurwissenschaftlers Martin Faulstich orientiert sich dabei an den Vorgaben der UN. Im September hatten die Vereinten Nationen die "2030 Agenda für eine nachhaltige Entwicklung" verabschiedet und darin 17 Ziele festgesteckt: Armut und Hunger beenden, Gesundheit und Wohlergehen fördern, Bildung gewährleisten.
Zur "Transformation der Welt" zählen laut der UN-Agenda, dass alle Menschen Zugang zu bezahlbarer, verlässlicher, nachhaltig erzeugter und moderner Energie haben sollen. Nachhaltiges Wirtschaftswachstum soll vorangetrieben, eine widerstandsfähige Infrastruktur aufgebaut werden.
Im Fokus steht auch die Verpflichtung der Weltgemeinschaft, umgehend Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels und seiner Auswirkungen zu ergreifen. Erst im Dezember hatte sich die Staatengemeinschaft bei der UN-Klimakonferenz in Paris darauf verständigt, die Klimaerwärmung deutlich unter zwei Grad (seit Beginn der Industriellen Revolution) zu begrenzen. Zum Erreichen dieses Ziels müssten die globalen Emissionen spätestens ab 2050 auf Null sinken.
Ozeane und Landökosysteme sollen geschützt oder wiederhergestellt, Wälder nachhaltig bewirtschaftet werden. Wüstenbildung gilt es zu bekämpfen, die Verschlechterung von Böden zu beenden den Verlust der Artenvielfalt zu stoppen. So heißt es in den UN-Vorgaben.
Anspruchsvoller Klimaschutz, mehr Raum für Wildnis
Doch wie soll das geschehen? Noch dominieren angesichts der auf Wachstum ausgerichteten Wirtschaftsweise Massentierhaltung, Bodenversiegelung, Rohstoffausbeutung oder die Verstromung fossiler Energieträger. Noch sind laut Klimaforschern ansteigende Meeresspiegel, der Verlust der Arten, Überschwemmung, Dürren, Ernteausfälle, Hungerperioden oder Wüstenbildung Folgen der globalen Misshandlung der Erde und ihrer Ressourcen.
"Die ökologischen Handlungsnotwendigkeiten in der EU und in Deutschland sind so groß, dass sie mit den bisherigen Ansätzen eines nachsorgenden oder selbst eines technisch-vorsorgenden Umweltschutzes alleine nicht mehr bewältigt werden können." - So steht es in der Einleitung des SRU-Berichts. Der Beirat fordert einen besseren Schutz der Biodiversität vor Pestiziden, mehr Raum für Wildnis, er zeigt Lösungsansätze auf für eine Reduzierung des Flächenverbrauchs.
Doch die Verfasser machen auch Mut. Sie geben Impulse für Deutschlands Vorreiterrolle beim nachhaltigen Umbau der Industriegesellschaft: Das Land stehe aufgrund seiner internationalen Verflechtungen in der Verantwortung. Deutschlands Verhandlungsposition genießt international einen glaubwürdigen Ruf. Andererseits greift es erheblich auf die natürlichen Ressourcen anderer Länder zurück.
Durch die große Wirtschaftskraft, ein starkes Innovationssystem und eine breite gesellschaftliche Unterstützung für aktive Umweltpolitik habe Deutschland exzellente Voraussetzungen, globaler Vorreiter der Transformation zu werden, so die Autoren.
Handlungsbedarf bei der Landwirtschaft
Bei der Stromversorgung und der Umstellung auf erneuerbare Energien nimmt Deutschland bereits eine Vorreiterstellung ein. Allerdings sieht der Umweltrat auch Handlungsbedarf bei der Umsetzung einer umweltgerechten und zukunftsfähigen Landwirtschaft. Und auch nicht mehr zukunftsfähige Technologien wie die Verstromung von Braunkohle sollten schrittweise zurückgefahren werden.
Das Gremium vertritt die Ansicht, dass eine klimapolitische Führungsrolle der deutschen Exportwirtschaft vielfältige Chancen bietet und dieser Anspruch die Modernisierung der Volkswirtschaft vorantreiben kann.